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Armenien, Aserbaidschan und Erdoğan: Der brüchige Frieden im Kaukasus


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Vergessener Konflikt
Hier droht der nächste Krieg


11.12.2024 - 18:15 UhrLesedauer: 4 Min.
Ein Armenier zeigt in Bergkarabach auf ein zerstörtes Auto (Archivbild): Der Frieden im Kaukasus ist brüchig.Vergrößern des Bildes
Ein Armenier zeigt in Bergkarabach auf ein zerstörtes Auto (Archivbild): Der Frieden im Kaukasus ist brüchig. (Quelle: IMAGO/Aik Arutunyan)
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Im vergangenen Jahr annektierte Aserbaidschan die umstrittene Region Bergkarabach von Armenien. Für Armenien geht es seitdem ums Überleben – denn Aserbaidschan will weitere Gebiete erobern.

Eigentlich sollte endlich Frieden zwischen den beiden Kaukasus-Nationen Armenien und Aserbaidschan herrschen. Nach mehreren Kriegen und Konflikten sollte ein Abkommen im Jahr 2020 den Weg dafür zwischen den Nachbarländern ebnen. Doch dieser Frieden ist brüchig. Immer wieder gibt es Feuergefechte an der Grenze.

Das liegt auch und vor allem an Aserbaidschan. Denn das Land, so der armenische Politikwissenschaftler und Projektkoordinator der Friedrich-Ebert-Stiftung im Kaukasus, Narek Sukiasyan, wolle weitere Gebiete Armeniens erobern. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew, der das Land autoritär regiert, habe am 5. Dezember eine Konferenz in Baku organisiert, um seine territorialen Ansprüche gegenüber "Westarmenien" auszuweiten. "Damit meint Alijew große Teile des heutigen Armeniens inklusive der Hauptstadt Eriwan", erklärt Sukiasyan.

Die Lage im Kaukasus bleibt also schwierig. 2020 griff Aserbaidschan seinen westlichen Nachbarn Armenien an und eroberte in sechs Wochen etwa ein Drittel des kleinen Landes. Doch ein Gebiet konnten die Aserbaidschaner nicht unter ihre Kontrolle bringen: Bergkarabach. Seit Jahrhunderten wurde das Gebiet von ethnischen Armeniern bevölkert, in der Sowjetzeit aber Aserbaidschan zugeschlagen. 1988 hatten die Armenier in Bergkarabach ihre Unabhängigkeit erklärt, nach Gefechten kontrollierte Armenien ab 1994 weite Teile des Gebiets. Zuletzt hatte Armenien jedoch nur noch einen Zugang zur umstrittenen Region: den Latschin-Korridor, über den Waren und Menschen von Armenien nach Bergkarabach und zurück gelangten.

Erdoğan steht fest an Aserbaidschans Seite

Seit Langem hilft ein besonders wichtiger Verbündeter Aserbaidschan, wenn es um die Durchsetzung seiner Gebietsansprüche in Armenien und Bergkarabach geht: die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Die ultranationalistische Bewegung des türkischen Präsidenten und Aserbaidschans Staatschef Alijew sind Anhänger der Ideologie des Panturkismus, der Einheit der turksprachigen Länder. Dazu gehören neben der Türkei und Aserbaidschan auch Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Turkmenistan.

Seit 2009 haben sie sich unter türkischer Führung zur Organisation der Turkstaaten (OTS) zusammengeschlossen. "Das 21. Jahrhundert wird das Zeitalter der Türken", sagte Erdoğan im Dezember 2022 seinen Anhängern auf einer Veranstaltung. Armenien ist ein Keil in der panturkischen Achse. Deshalb passte der gewonnene Krieg 2020 perfekt in die Staatsräson der Türkei und Aserbaidschans.

Die eroberten Gebiete reichten Alijew allerdings nicht. Er wollte auch Bergkarabach erobern – und bereitete den Angriff auf die Region sorgsam vor. Im Januar 2023 blockierten Anhänger des Alijew-Regimes den Latschin-Korridor. Lebensmittel konnten so nicht nach Bergkarabach gelangen, Aserbaidschan hungerte das Gebiet praktisch aus.

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Aserbaidschan erhebt Ansprüche auf "West-Aserbaidschan"

Als Alijews Soldaten die Region im Oktober 2023 angriffen, konnte sich die hungernde armenische Bevölkerung Bergkarabachs nicht wehren. Innerhalb weniger Tage überrannten aserbaidschanische Soldaten das kleine Gebiet. 130.000 Menschen flohen, heute leben keine Armenier mehr in Bergkarabach. Nichtregierungsorganisationen, unter ihnen etwa das amerikanische Council on Foreign Relations, werten das Vorgehen Aserbaidschans als ethnische Säuberung. Seit der Eroberung Bergkarabachs zerstört Aserbaidschan alle Zeugnisse der über Jahrhunderte andauernden armenischen Kultur im von ihm beanspruchten Gebiet – und das wirtschaftlich schwach aufgestellte Armenien hat Probleme, die Geflüchteten aus Bergkarabach unterzubringen und zu versorgen.

Der Politikwissenschaftler Sukiasyan sagt, Aserbaidschans autokratischer Präsident habe das erklärte Ziel, nach Eriwan "zurückzukehren". Und das sei nicht alles: Der Friedensprozess zwischen Armenien und der Türkei ist im Sommer ins Stocken geraten. Seit Juli gab es keine Treffen der Sonderbeauftragten der beiden Länder mehr. "Daran ist auch Alijew schuld", erklärt Sukiasyan. "Er will den stockenden Friedensprozess sabotieren und die Basis für einen erneuten Angriff auf Armenien legen."

Erdoğan unterstützt Aserbaidschan

Der türkische Präsident Erdoğan ist derweil mit anderen Brennpunkten, etwa in Nordsyrien beschäftigt. Sein Fokus liege aktuell nicht auf dem Friedensprozess zwischen Ankara und Eriwan, sagt Sukiasyan. Doch was in Nordsyrien passiert, mache auch den Menschen in Armenien Angst: Der türkische Präsident habe "seine gesamte Agenda hinsichtlich Armenien an Aserbaidschan ausgelagert und unterstützt alles, was Alijew macht. Wenn Aserbaidschan Armenien angreift, dann wird Erdoğan Baku militärisch unterstützen", ist sich Sukiasyan sicher.

Während der Klimakonferenz in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku wurde vom staatlichen aserbaidschanischen Fernsehen ein Entwurf zu einem Verhandlungspapier durchgestochen, mit dem Aserbaidschan in den weiteren Verlauf der Verhandlungen gehen möchte.

Das Schicksal Armeniens als Randnotiz

Alijew fordert darin, dass Armenien seine Verfassung ändert und die im Krieg von 2020 eroberten Gebiete als aserbaidschanisch anerkennt. Zudem soll das Land die Beobachtermission der Europäischen Union aus dem Land werfen und alle Klagen und Ansprüche vor internationalen Gerichten aufgeben. "Diese Punkte zeigen, dass Alijew der gute Wille in Bezug auf den Friedensprozess fehlt", sagt Sukiasyan. "Das gilt insbesondere jetzt, da die Veränderungen in der Geopolitik ihr neue Möglichkeiten bieten, aus Aserbaidschans militärischen Erfolgen und den Schwächen Armeniens Kapital zu schlagen – in einem Moment, in dem niemand auf Armenien schaut."

Schon in der Vergangenheit zeigte sich, dass das Schicksal der kleinen Nation im Kaukasus auf dem internationalen Parkett zweitrangig war. Als im Sommer vor einem Jahr 130.000 Menschen aus Bergkarabach vertrieben wurden, war das eher eine Randnotiz in den internationalen Medien. Narek Sukiasyan hofft trotzdem, dass Europa und die Welt dieses Mal genauer hinschauen.

Verwendete Quellen
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