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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Massenproteste in EU-Land "Schande der Mafia-Regierung!"
Seit Oktober regiert Robert Fico die Slowakei. Der Linkspopulist strebt eine Reform an, die die Demokratie in dem Land gefährdet. Dagegen regt sich Protest.
Nachdem Robert Fico im vergangenen Oktober als Ministerpräsident der Slowakei vereidigt worden war, fackelte er nicht lange. Der Mann, der bereits zweimal das Land regierte und 2018 nach dem politisch motivierten Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten aus dem Amt gejagt wurde, schickt sich an, eine Justizreform durchzudrücken, wie sie die Slowakei noch nicht gesehen hat.
So sollen unter anderem die Strafen für Korruption gelockert und eine Sonderstaatsanwaltschaft, die sich bislang mit besonders schweren Fällen von Korruption, organisierter Kriminalität und Amtsmissbrauch beschäftigte, abgeschafft werden. Auch die Strafen für Korruption und Wirtschaftsvergehen sollen verringert und der Schutz für Whistleblower bei der Polizei aufgehoben werden.
Dagegen gehen in der Slowakei seit Wochen Menschen auf die Straße. So demonstrierten am Donnerstagabend erneut Tausende gegen den Ministerpräsidenten und seine linksnationale Regierung. Wie die Organisatoren dem TV-Nachrichtensender TA3 sagten, sollen sich allein in der Hauptstadt Bratislava rund 30.000 Menschen versammelt haben.
Fico sieht "politischen Missbrauch" am Werk
Die Demonstrierenden trugen Transparente mit Aufschriften wie "Fico ist das Böse für die Slowakei", "Fico, geh nach Russland!" und "Schande der Fico-Mafia-Regierung!". Kleinere Solidaritätskundgebungen fanden nach Angaben der Nachrichtenagentur TASR auch in Brüssel, Prag, Paris und anderen europäischen Städten statt.
Auch in 30 weiteren Städten des Landes seien mehrere Tausend Menschen dem Aufruf dreier Oppositionsparteien gefolgt. Damit dürfte dieser Demonstrationstag der bisher größte einer bereits im Dezember begonnenen Welle von Oppositionsprotesten gewesen sein.
Fico setzt seit Monaten alles daran, eine Sonderstaatsanwaltschaft einzustampfen, die vor allem deshalb gegründet worden war, weil die Korruption in der Slowakei insbesondere während Ficos zweiter Amtszeit von 2012 bis 2018 überhandgenommen hatte. Die Behörde verfolgt politische Straftaten sowie die Verbrechen der organisierten Kriminalität, mit der auch Fico in Verbindung stehen soll.
Fico will Korruptionsbekämpfung stark einschränken
Nach dem brutalen Doppelmord an dem Journalisten und Whistleblower Ján Kuciak und seiner Verlobten musste Fico im Jahr 2018 unter dem Druck einer beispiellosen Protestwelle zurücktreten. Dem Regierungschef wurde damals die schleppende Aufklärung des Doppelmords zur Last gelegt. Ficos Nachfolgeregierung nahm daraufhin den Kampf gegen die Korruption auf. Nun drohen diese Bemühungen zum Stillstand zu kommen.
Denn Fico behauptet, die Sonderstaatsanwaltschaft sei "politisch missbraucht" worden. Hintergrund dieses Vorwurfs ist eine Anti-Fico-Koalition, die 2020 die Wahlen gegen den Langzeit-Regierungschef gewonnen und die Anklagebehörde dem aus ihren Reihen stammenden Ex-Politiker Daniel Lipsic unterstellt hatte. Dafür waren eigens Gesetze geändert worden. Fico, den politische Kommentatoren als "rachsüchtig" beschreiben, will diese wieder zurücknehmen.
Die Oppositionsparteien halten die geplante Justizreform für einen Vorwand, um dadurch Korruptionsfälle aus früheren Regierungszeiten der von Fico gegründeten Partei Smer vertuschen zu können. Sie sehen den Rechtsstaat in der Slowakei gefährdet. Das Vorhaben hatte kritische Stellungnahmen von EU-Kommission und EU-Parlament ausgelöst.
"Wird Trump immer ähnlicher"
Im Wahlkampf hatte Fico, der als Bewunderer des russischen Diktators Wladimir Putin gilt, seinen Wählern einen kompletten Politikwechsel versprochen. So kündigte er gleich nach seiner Amtsübernahme einen Stopp der Ukraine-Hilfen durch sein Land an. Andererseits überraschte der Gründer der Linkspopulist jüngst mit einem Besuch im ukrainischen Grenzort Uschgorod, wo er den ukrainischen Premierminister Denys Schmyhal traf und der Ukraine seine Unterstützung bei ihren Bemühungen um einen EU-Beitritt zusagte.
Die ukrainische Seite nannte den plötzlichen Sinneswandel des slowakischen Regierungschefs einen "neuen Pragmatismus." Fico hatte Stunden zuvor noch behauptet, in Kiew gebe es gar keinen Krieg, das Leben dort laufe ganz normal. Ficos Aussage kam an einem Tag, als die ukrainische Hauptstadt und weitere ukrainische Städte zum Ziel einer massiven Bombenkampagne der Russen wurden – mit zahlreichen Verletzten und Todesopfern.
Eine weitere erstaunliche Wendung legte Fico am Donnerstag hin, als er sich beim EU-Gipfel in Brüssel gegen den von ihm ebenfalls bewunderten ungarischen Autokraten Viktor Orbán stellte und gemeinsam mit den anderen 26 EU-Mitgliedern für eine Freigabe von 50 Milliarden Euro an Ukraine-Hilfen stimmte. "Seine Auftritte werden immer bizarrer", urteilte hingegen ein politischer Analyst gegenüber der "Deutschen Welle". "Er wird Trump immer ähnlicher."
- dw.com: Slovakia: What's changed in Fico's first 100 days in office? (englisch)
- rferl.org: Ukrainian And Slovak PMs Agree To 'New Pragmatism' To Aid Strained Relations (englisch)
- spectator.sme.sk: Last Week: What is the ‘new pragmatism’ in Slovak foreign policy about? (englisch, kostenpflichtig)
- journalofdemocracy.org: The Return of Robert Fico (englisch)
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa