Im Visier Chinas Droht Taiwan das "Enthauptungs"-Szenario?
Am Samstag wird in Taiwan gewählt. Im Zuge dessen steigt die Spannung zwischen dem chinesischen Festland und dem Inselstaat Taiwan. Experten zeigen mögliche Zukunftsszenarien auf.
Die Präsidentschaft- und Parlamentswahlen in Taiwan am Samstag gelten als entscheidend für das künftige Verhältnis zwischen Taipeh und dem zunehmend aggressiv auftretenden Peking und werden daher international mit Spannung erwartet.
Peking betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz, die wieder mit dem Festland vereinigt werden soll – notfalls mit militärischer Gewalt. Zwar halten Experten eine umfassende Invasion in naher Zukunft für unwahrscheinlich – doch gibt es einige Instrumente, die China für einen möglichen Angriff auf die Insel einsetzen könnte.
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Gezielte Angriffe auf militärische Infrastruktur
Peking hat zuletzt zunehmend seine militärische Stärke in der Region zur Schau gestellt. Täglich entsendet China Kampfjets in Richtung Taiwan, während seine Marine-Schiffe eine fast durchgängige Präsenz in den Gewässern um die Insel aufrechterhalten. China hat zudem in den vergangenen eineinhalb Jahren mindestens zwei große Militärübungen abgehalten. Der Flugzeugträger "Shandong" ist zuletzt häufiger durch die Straße von Taiwan gekreuzt, die die Insel vom Festland trennt.
Ou Si-fu von Taiwans Forschungsinstitut für Nationale Verteidigung und Sicherheit hält es aufgrund vergangener Manöver für wahrscheinlich, dass China Luft- und Raketenangriffe nutzen würde, um Taiwans Militärinfrastruktur zu treffen. Ou nennt dies das "Enthauptungs"-Szenario, weil die Bombardierungen Taiwans Kommandozentrale, Luftwaffe, Marinestützpunkte und Munitionsdepots treffen würden. "Wenn man die politischen oder militärischen Köpfe ausschaltet, kann man den Truppen nicht befehlen, (Taiwan) zu verteidigen", argumentiert Ou.
Blockade und Belagerung
China könnte auch die zu Taiwan gehörenden Inseln Kinmen und Matsu besetzen, die nur wenige Kilometer vor der Küste Chinas liegen. Auch eine komplette Blockade Taiwans könnte Peking versuchen, sodass niemand und nichts mehr auf die oder von der Hauptinsel kommt.
Im April 2023 simulierte die chinesische Armee in einem dreitägigen Manöver eine solche Blockade, nachdem der damalige Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, sich mit Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen im US-Bundesstaat Kalifornien getroffen hatte.
Taiwans Verteidigungsministerium warnte im vergangenen Jahr in einem Bericht davor, dass die chinesische Armee "unsere Häfen, Flughäfen, Militäreinrichtungen sowie Kommunikationswege über See und Luft" blockieren könne. Analysten zufolge müsste eine Blockade allerdings lange andauern, damit sie in Taiwan Wirkung zeigte. Zudem könnte eine Blockade der wichtigen Schifffahrtshandelsroute in der Straße von Taiwan Drittländer zu einer Intervention veranlassen.
Nach Angaben der International Crisis Group (ICG) ist unklar, wie lange China eine Belagerung aufrechterhalten könnte, sollten Taiwan und seine Verbündeten einen Weg zur Umgehung der Blockade finden. Zudem würde eine solche Blockade die Weltwirtschaft mindestens zwei Billionen Dollar kosten, schätzt die Forschungsgruppe Rhodium.
Dazu wäre "amphibische Offensive" notwendig
Sollte Chinas Staatschef Xi Jinping sein Versprechen einlösen, Taiwan mit Festland-China zu vereinen, müssten seine Truppen die Insel besetzen, argumentiert Ou. Um dies zu tun, müsste China eine "amphibische Offensive" starten. Solche Einsätze sind jedoch komplex und schwierig und Taiwans bergige Landschaft, in Verbindung mit dem schwierigen Wetter des Monsuns, könnten abschreckend wirken.
Die Insel hat jedoch einige verwundbare Punkte: kleine, sogenannte rote Strände, die sich am ehesten für eine groß angelegte militärische Anlandung eignen würden. Einer der nahe der Hauptstadt Taipeh gelegenen Strände liegt in der nördlichen Stadt Taoyuan, in der sich auch der größte internationale Flughafen Taiwans befindet. Sollte Chinas Armee den Flughafen besetzen, "können sie ihn nutzen, um ihre Soldaten, ihre Munition und ihre Lebensmittel zu transportieren", warnt Ou.
China erhöht täglich den Druck auf Taiwan
Amanda Hsiao, Analystin bei ICG, hält eine amphibische Offensive kurzfristig für wenig wahrscheinlich, weil das Risiko eines Scheiterns zu hoch wäre. Stattdessen geht sie davon aus, dass Peking seinen Druck auf Taiwan stetig weiter erhöhen wird. Dafür gibt es laut Hsiao "täglich" Hinweise, etwa durch häufigere und näher rückende militärische Aktivitäten, die Verstärkung von Narrativen, die für chinesische Interessen günstig sind, und die Instrumentalisierung des Handels in der Straße von Taiwan.
Taiwanische Regierungsvertreter fürchten außerdem einen groß angelegten chinesischen Cyberangriff, der wichtige Infrastruktur wie Kommunikation, Strom und das Bankwesen lahmlegen könnte.
- Nachrichtenagentur AFP