Nawalny drohen 20 Jahre Haft Putin-Kritiker vor Gerichtsprozess: "Millionen wollen, dass er geht"
Der inhaftierte Kremlkritiker Nawalny könnte am Freitag zu weiteren 20 Jahren Straflager verurteilt werden. Vor dem Prozess richtet er eindringliche Worte an seine Unterstützer.
Der Kremlkritiker und wohl bekannteste Oppositionelle Russlands, Alexej Nawalny, steht am Freitag erneut vor Gericht. Ihm droht eine Verurteilung zu insgesamt bis zu 20 Jahren Straflager wegen angeblichem Extremismus. In einem langen Brief wendet er sich vorab an seine Unterstützer – mit einer ungewöhnlichen Bitte.
"Es wird eine riesige Haftstrafe werden", eine, die man als "stalinistische Haftstrafe" bezeichne, schreibt Nawalny darin über das erwartete Strafmaß. Sein Team hatte den Brief am Donnerstag auf sozialen Netzwerken geteilt. Unter Sowjetdiktator Josef Stalin (1879-1953) waren lange und harte Strafen für Regimekritiker üblich.
Doch genau das sollen seine Unterstützer bei der Urteilsverkündung nicht beklagen, fordert nun Nawalny. Stattdessen bittet er darum, einen Moment innezuhalten und nachzudenken. "Denken Sie darüber nach, warum eine solch beispielhaft hohe Strafe notwendig ist. Ihr Hauptzweck ist es einzuschüchtern. Euch, nicht mich."
Emotionale Reaktionen würden nur die Einschüchterungsstrategie des russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstützen, argumentiert der Kremlgegner.
"Sie sperren Hunderte ein, um Millionen einzuschüchtern."
Die Härte des Urteils diene dazu, Beobachter zu schocken und "jeden Gedanken der Opposition aus euren Köpfen" zu vertreiben. Denn in der aktuellen Lage gebe es vermehrt Unmut in der Bevölkerung über die russische Führung.
"Wir leben in einem Land, in dem mehrere Dutzend Millionen Menschen gegen Korruption, Krieg und Gesetzlosigkeit sind", so Nawalny weiter. "Gerade jetzt sind Dutzende Millionen Menschen für faire Wahlen, Demokratie und einen Machtwechsel und wollen, dass Putin geht."
- Strafkolonie: So ergeht es Putins Gefangenen
Wenn jeder zehnte Russe auf die Straße gehen würde, könne die Regierung gestürzt werden, führt der Kremlgegner aus. Eine solche Masse ließe sich nicht mehr unterdrücken. Doch das werde zunächst nicht passieren, wie die Geschichte der Sowjetunion gezeigt hätte. Stattdessen werde systematisch versucht, die Menschen einzuschüchtern. "Sie sperren Hunderte ein, um Millionen einzuschüchtern." Die Menschen sollen abgeschreckt werden, für oppositionelle Gruppen zu spenden.
Deshalb bittet Nawalny seine Unterstützer, bei der Urteilsverkündung darüber nachzudenken, was sie selbst tun können, "um zu verhindern, dass die Schurken und Diebe im Kreml mein Land und meine Zukunft verschlingen". Jeder könne etwas tun und einen Beitrag zum "Freiheitskampf in Russland" leisten. Man müsse sich dabei nicht in Gefahr begeben, aber: "Es ist peinlich, nichts zu tun. Es ist eine Schande, sich einschüchtern zu lassen", schreibt Nawalny weiter.
Menschenrechtler kritisieren Prozess
Der Prozess gegen den bereits inhaftierten Nawalny wird von internationalen Beobachtern kritisiert. Menschenrechtler weisen immer wieder auf die angeschlagene Gesundheit Nawalnys hin, der im Sommer 2020 nur knapp einen Nervengiftanschlag überlebte. Nawalny wirft dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB und Präsident Wladimir Putin vor, hinter dem Mordanschlag vor drei Jahren zu stecken. Der Kreml dementiert das. Nach einer Behandlung in Deutschland kehrte Nawalny damals in seine Heimat zurück. Noch am Flughafen wurde er festgenommen.
Seine Unterstützer kritisieren zudem, dass der neue Prozess nicht vor Gericht, sondern direkt in Nawalnys Strafkolonie im 260 Kilometer von Moskau entfernten Melechowo abgehalten wird. Dort wird er ihren Berichten zufolge durch unmenschliche Haftbedingen und Dauerisolation gefoltert.
Seine Verteidigung rechnet damit, dass zu einem früheren Urteil über neun Jahre Straflager eine weitere Verurteilung in ähnlicher Höhe dazukommen wird. So komme die Zahl von 18 Jahren zusammen, erklärte Nawalnys Sprecherin, Kira Jarmysch, auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur.
Russland führt seit mittlerweile mehr als 17 Monaten einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine. In diesem Zeitraum hat die russische Führung auch im eigenen Land Repressionen gegen Kritiker massiv verstärkt. Neben Nawalny sind in russischen Straflagern noch zahlreiche weitere Oppositionelle inhaftiert, die international als politische Gefangene eingestuft werden (hier lesen Sie mehr dazu).
- meduza.io: "'Срок будет большой. То, что называется "сталинский'. Но не надо причитать. Стыдно дать себя запугать" Навальный — о приговоре, который ему завтра вынесут" (russisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa