Bevorstehender Gipfel in Brüssel EU-Beitritt der Ukraine? Diese Länder haben Zweifel
Wird die Ukraine als EU-Beitrittskandidat anerkannt? Die Hoffnung auf ein klares "Ja" der Mitgliedsstaaten ist groß, doch an diesen Ländern könnte es scheitern.
Eine historische Entscheidung steht bevor: Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag sollen die Mitgliedsstaaten darüber abstimmen, ob die Ukraine und Moldau offiziell zu Kandidaten für einen Beitritt zur EU ernannt werden. Kanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi hatten sich bei ihrem Besuch in Kiew bereits klar dafür ausgesprochen. Doch für die Anerkennung als EU-Beitrittskandidat ist ein einstimmiges Ergebnis der 27 EU-Länder nötig.
Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete, ist in einem Entwurf für die Gipfelerklärung – Stand Mittwochnachmittag – bereits von einem positiven Beschluss die Rede. Auch der französische Europaminister Clément Beaune zeigte sich vorab zuversichtlich, dass die Ukraine mit dem "Ja" rechnen kann. "Ich denke, es formt sich gerade ein Konsens", sagte er.
Ein Zeitrahmen für den Beitrittsprozess war in der Beschlussvorlage allerdings noch nicht vorgesehen. Beaune betonte, er sei optimistisch, aber wegen der benötigten Einstimmigkeit auch vorsichtig. Denn es gibt Mitgliedsländer, die Vorbehalte haben.
Österreich will Erweiterung auf dem Westbalkan
Offen ist vor allem, ob EU-Staaten wie Österreich, Slowenien und Kroatien ihre Zustimmung an Fortschritte bei den Bemühungen um eine EU-Erweiterung auf dem Westbalkan knüpfen. Österreich fordert etwa, auch Bosnien-Herzegowina den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu verleihen.
Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Ukraine und Moldau "auf der Überholspur" seien, warnte Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg. Sein Land erwarte "beim EU-Gipfel ein klares Signal Richtung Osten, aber auch Richtung Südosten".
Der österreichische Kanzler Karl Nehammer hatte Fortschritte der Balkanländer zuvor als "Bedingung" bezeichnet. Schallenberg wiederholte dies in Luxemburg zwar nicht. Er verwies aber darauf, dass Nordmazedonien bereits seit 17 Jahren Beitrittskandidat ist und gemeinsam mit Albanien seit zwei Jahren auf die Eröffnung der Beitrittsgespräche wartet. Mit den Kollegen der Balkanstaaten wollen die Staats- und Regierungschefs am Donnerstagvormittag vor dem EU-Gipfel zusammenkommen.
Streit mit Bulgarien
Bulgarien blockiert allerdings seit mehr als zwei Jahren den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien. Sofia fordert als Vorbedingung für die Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien, dass darin auch Fragen der "gemeinsamen Geschichte", der Sprache und der nationalen Identität erörtert werden.
Nicht zuletzt wegen dieses Streits rechnen EU-Diplomaten auf dem Gipfel mit schwierigen Verhandlungen über die Abschlusserklärung. Wegen Bulgariens Androhung eines Vetos erwägen inzwischen die Führer der drei Westbalkan-Staaten Serbien, Albanien und Nordmazedonien, dem EU-Gipfel fernzubleiben.
Rumänien will EU-Beitritt Georgiens
Auch Rumänien könnte die Zustimmung zur Anerkennung der Ukraine als EU-Beitrittskandidat an Forderungen knüpfen: Das Land will nicht nur die von Russland angegriffene Ukraine und Moldau, sondern auch Georgien mit ins Boot holen. "Der Ukraine, der Republik Moldau und Georgien nächste Woche beim Europäischen Rat einen EU-Kandidatenstatus zu garantieren, ist wesentlich dafür, einen starken und dauerhaften Schild um unsere Werte herum zu bauen", sagte Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis bei seinem Besuch in Kiew vergangene Woche.
Scholz hingegen hatte bei dem Besuch seinen Zuspruch nur an die Ukraine und Moldau gerichtet – Georgien hatte der Kanzler nicht erwähnt. Erst bei seiner Regierungserklärung am Mittwoch in Berlin äußerte er, dass er die europäische Perspektive auch für Georgien weiter fördern will.
Neben Rumänien hat auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán dafür plädiert, dass neben der Ukraine und Moldau auch Georgien sowie Bosnien und Herzegowina den gleichen Status erhalten sollen.
Niederlande, Dänemark und Portugal lenken ein
Eine positive Nachricht für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kam inzwischen aus Dänemark, Portugal und den Niederlanden: Die Länder haben ihre Bedenken hinsichtlich einer Anerkennung der Ukraine als EU-Beitrittskandidat inzwischen aufgegeben. So entschied etwa die Regierung der Niederlande am Freitag, dem Vorschlag der EU-Kommission zuzustimmen.
Außenminister Wopke Hoekstra sagte: "Hiervon geht das Signal aus: Wir lassen die Ukraine nicht sitzen." Der Vorschlag der Kommission sei ausgewogen und trage der besonderen Situation der Ukraine Rechnung, sagte der Minister. Dies ändere aber nichts daran, dass die Ukraine unter anderem bei Rechtsstaatlichkeit und Demokratie "noch Hausaufgaben zu machen" habe, unterstrich Hoekstra. Bis zuletzt hatten sich die Niederlande dafür ausgesprochen, dass der Status an strenge Bedingungen geknüpft werden müsse.
Auch Portugal hielt die Vergabe des Kandidatenstatus bis vor kurzem für nicht angebracht. Es sei ein großes Risiko, dass man falsche Erwartungen wecke, die dann zu einer bitteren Enttäuschung führen könnten, sagte Ministerpräsident António Costa noch in der vergangenen Woche der "Financial Times". Es brauche mehr praktische Unterstützung der Ukraine. Die Vorbehalte könnten auch daher rühren, dass Südländer wie Portugal finanzielle Einbußen erleiden könnten, wenn milliardenschwere EU-Fördermittel in die Ukraine umgeleitet werden.
Die Argumente der Skeptiker
Bisherige Argumente gegen die Anerkennung des Beitrittsstatus waren auch, dass die EU mit ihrem Prinzip der Einstimmigkeit etwa in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik schon jetzt als schwerfällig gilt. Sie mahnen zunächst interne Reformen an, ehe neuen Mitgliedern die Tür geöffnet werde.
Und auch an der grassierenden Korruption in der Ukraine und der mangelnden Rechtsstaatlichkeit gab es Kritik. Der Europäische Rechnungshof hatte der Ukraine erst im September Versagen im Kampf gegen die "Großkorruption" attestiert und Seilschaften "zwischen Oligarchen, hochrangigen Beamten, Politikern, der Justiz und staatseigenen Unternehmen" beklagt.
Ein langer Prozess
Die EU-Kommission hatte in der vergangenen Woche empfohlen, die Ukraine und Moldau offiziell zu Kandidaten für den Beitritt zur EU zu ernennen. Die Entscheidung darüber liegt bei den Regierungen der 27 EU-Staaten. Sie beraten ab Donnerstag bei einem Gipfel in Brüssel.
Eine Aufnahme in die EU ist ein langer Prozess, der Jahre oder Jahrzehnte dauern kann. Die Slowakei beispielsweise erhielt 1999 eine Beitrittsperspektive und wurde 2004 EU-Mitglied. Die Türkei erhielt im selben Jahr den Kandidatenstatus, ist aber bis heute kein Mitgliedsland.
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP