Mögliche Kiew-Reise Hohe Erwartung an Scholz – Experte sieht einen Vorteil
Noch diesen Monat will Kanzler Scholz einem Bericht zufolge nach Kiew reisen – dementiert wurden die Pläne nicht. Nicht nur der ukrainische Botschafter, auch Ampelpartner erwarten dabei konkrete Zusagen.
Mit Blick auf eine mögliche Kiew-Reise des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) hat die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann deutliche Erwartungen formuliert: "So oder so, er muss jetzt im wahrsten Sinne des Wortes liefern", sagte sie dem "Spiegel".
Strack-Zimmermann pochte darauf, dass Scholz der Ukraine weitere Waffen zusichert. Es werde spannend sein, welche Zusagen der Kanzler dem ukrainischen Präsidenten mitbringe, betonte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Ähnlich äußerte sich der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk.
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Zuvor hatte die "Bild am Sonntag" berichtet, dass Scholz noch vor dem G7-Gipfel am 26. Juni nach Kiew reisen werde – gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem italienischen Regierungschef Mario Draghi. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür nicht, aber auch kein Dementi. Mehr dazu lesen Sie hier.
Melnyk: "Versprechen liegen Monate zurück"
Der ukrainische Botschafter Melnyk erwartet konkrete Zusagen: "Wir hoffen, dass der Kanzler bei seinem Besuch in Kiew endlich die deutschen Versprechen wahrmacht, was die Waffenlieferungen und auch den EU-Beitritt der Ukraine betrifft", sagte Melnyk dem "Spiegel".
Bis heute warte man auf die Lieferung von schweren Waffen wie der Panzerhaubitze 2000 und des "Gepard"-Flugabwehrpanzers, so Melnyk. "Ankündigungen allein helfen uns nicht im Krieg gegen die Invasoren, deswegen erhoffen wir uns von dem Kanzler konkrete Daten, wann die Waffen kommen", so der Botschafter, "zumal die Versprechen bereits Monate zurückliegen." Mehr zu der Kritik Melnyks lesen Sie hier.
Auch beim Thema EU-Beitritt erhofft sich Melnyk Fortschritte. "Wenn der deutsche Kanzler gemeinsam mit den Regierungschefs aus Paris und Rom ein Zeichen setzt, dass die Ukraine Beitrittskandidat werden kann, wäre das mehr als nur ein starkes Symbol", so Melnyk, "es würde sowohl die Ukrainer in ihrer Moral stärken und Russland eindeutig zeigen, dass die EU unumstößlich für eine freie Ukraine eintritt."
Melnyk erinnerte daran, dass Kanzler Scholz immer gesagt hatte, er wolle nicht nur für einen Fototermin nach Kiew reisen. Die ukrainische Regierung hoffe deshalb, dass Scholz viel Konkretes und nicht nur warme Worte im Gepäck habe.
CDU-Fraktionsvize: "Besser spät als nie"
Scholz war in den vergangenen Wochen immer wieder scharf kritisiert worden, weil er im Gegensatz zu anderen Regierungschefs bisher nicht in die Ukraine gereist ist. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) nun, es gelte das Prinzip "besser spät als nie". Es fehle aber "die Erklärung, warum jetzt plötzlich das geht, was bisher unmöglich war".
Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff (FDP) wies die Vorwürfe vonseiten der Union zurück. "Es ist ein Ausdruck von Führung, dann zu fahren, wenn man es selber für richtig hält", sagte Lambsdorff dem RND. Angesichts der verschärften Lage in der Ostukraine sei die Reise jetzt "richtig und wichtig".
Experte: Besuch mit Draghi und Macron "gute Brücke"
Der Einschätzung des FDP-Politikers schließt sich auch Osteuropa-Experte Alexander Libman, Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, an. "Zu spät kommt die Reise nicht", sagte Libman t-online. "Bundespräsident Steinmeier war deutlich früher bereit, in die Ukraine zu fahren. Dass er es nicht getan hat, ist nicht seine Schuld – und nicht die von Olaf Scholz."
Auch aufgrund des Eklats um eine Ausladung des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier von ukrainischer Seite hält Libman eine Reise gemeinsam mit Draghi und Macron für eine gelungene Lösung: "Allein zu reisen ist für Scholz keine Option. (…) Ein Besuch mit anderen Regierungschefs schlägt da eine gute Brücke."
Zugleich dürfe man keine fundamentalen Veränderungen durch die Reise erwarten, so Libman. "Solche Besuche im Kriegsgebiet sind immer rein symbolische Gesten." Libman betonte zudem die Bedeutung der wirtschaftlichen Unterstützung der Ukraine. Diese werde "neben der militärischen auch wieder wichtiger werden, je länger der Krieg dauert.“
Stegner: Verhandlungen sollten auf Waffenstillstand abzielen
Der SPD-Parteilinke Ralf Stegner plädierte auch dafür, die Debatte nicht auf Waffenlieferungen zu begrenzen. "Der Krieg muss enden. Und dafür ist auch die Diplomatie gefordert", sagte er dem "Spiegel". "Die Reise des Kanzlers mit Macron und Draghi kann dazu beitragen, einem Waffenstillstand näherzukommen."
Zahlreiche führende internationale Politiker sind seit Kriegsbeginn in die Ukraine gereist, um sich solidarisch mit dem von Russland angegriffenen Land zu zeigen. Seit Anfang Mai waren auch mehrere deutsche Bundesminister vor Ort, zuletzt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Agrarminister Cem Özdemir (Grüne). Mehr dazu lesen Sie hier.
Scholz selbst hatte betont, eine solche Reise nur unternehmen zu wollen, wenn es konkrete Inhalte zu besprechen gäbe. Neben weiteren Waffenlieferungen könnte aktuell auch eine Zusage über EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine Gegenstand solcher Gespräche sein.
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- Telefonat mit Alexander Libman
- Vorab-Meldungen des "Spiegel"