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Ruft Wladimir Putin das Kriegsrecht aus? Das wären die Folgen für die Ukraine


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US-Geheimdienste vermuten
Putin könnte Kriegsrecht ausrufen – mit schwerwiegenden Folgen


Aktualisiert am 11.05.2022Lesedauer: 4 Min.
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Gegenoffensive und langer Krieg: Die Ukrainer sollen weitere Gebiete zurückerobert haben – US-Geheimdienste haben dennoch eine düstere Vermutung für die Entwicklung des Kriegs. (Quelle: reuters)
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Viele Experten hatten erwartet, dass Wladimir Putin am 9. Mai das Kriegsrecht in Russland ausruft. Doch der Schritt blieb aus. US-Geheimdienste sehen darin aber keinen Grund für Entwarnung, im Gegenteil.

Der russische Präsident Wladimir Putin könnte nach US-Einschätzung im Angriffskrieg gegen die Ukraine das Kriegsrecht verhängen. US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines sagte bei einer Kongressanhörung in Washington, weil Putins Ziele größer seien als die Fähigkeiten der russischen Streitkräfte, sei es "wahrscheinlich", dass der Präsident in den kommenden Monaten einen zunehmend "unvorhersehbaren und potenziell eskalierenden" Weg einschlage.

"Der derzeitige Trend erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Präsident Putin sich drastischeren Mitteln zuwendet, einschließlich der Verhängung des Kriegsrechts, der Umorientierung der Industrieproduktion oder potenziell eskalierenden militärischen Optionen", erklärte sie. Ein Einsatz von Atomwaffen sei aber unwahrscheinlich.

Die größte Folge einer offiziellen Kriegserklärung könnte, auch nach Ansicht der ukrainischen Militärführung, eine Generalmobilmachung sein.

Doch was bedeutet das – und wie wahrscheinlich ist es? Das Wichtigste im Überblick:

Was würde eine Generalmobilmachung bedeuten?

Eine formelle Kriegserklärung würde Putin nach russischem Recht ermöglichen, Reservekräfte zu mobilisieren und Wehrpflichtige – auch aus dem Ausland – einzuziehen. "Dann gilt in Russland das Kriegsrecht im eigenen Land, und die Armee kann 900.000 Reservisten einberufen", so CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter in der "Augsburger Allgemeinen".

Wehrpflichtig sind in Russland alle Männer zwischen 18 und 27 Jahren. Die Pflicht zum Reservedienst gilt jedoch bis zum Alter von 50 Jahren. Sollten sich die betreffenden Männer weigern, droht ihnen eine Gefängnisstrafe – im Kriegsfall von bis zu mehreren Jahren.

Was sagt Russland?

Russland hat die Gerüchte um eine mögliche Mobilmachung immer wieder zurückgewiesen. "Das ist nicht wahr. Das ist Unsinn", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge.

Auf die Frage, ob Putin der Ukraine den Krieg erklären könnte, sagte Peskow vor dem 9. Mai ebenfalls: "Nein. Das ist Unsinn." Seit Russlands Angriff auf die Ukraine Ende Februar bezeichnet der Kreml die Kämpfe im Nachbarland stets nur als "militärische Spezialoperation".

Warum könnte Russland doch eine Generalmobilmachung verhängen?

Die internationalen Befürchtungen sind durchaus begründet: Russland hat im Angriffskrieg gegen die Ukraine – durch Verwundete und Tote – massive Verluste zu verzeichnen. "Wir müssen davon ausgehen, dass ein Fünftel bis ein Viertel der Soldaten, die zu Beginn des Krieges gegen die Ukraine im Einsatz waren, ausgefallen sind und durch weitere Reserven ersetzt werden müssen", sagt Wolfgang Richter, Experte für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), zu t-online. Mehr dazu lesen Sie hier.

Dies sei aber nicht ohne Weiteres möglich, da ein großer Teil der Landstreitkräfte bereits an den Grenzen zum baltischen Raum, in Zentralasien, im Fernen Osten oder im Kaukasus eingesetzt werde – und nicht ohne Sicherheitsrisiken für Russland abgezogen werden könnte. Es bräuchte also eine andere Maßnahme, um die russischen Truppen wieder aufzufüllen.

Wie wahrscheinlich ist eine Mobilmachung?

Angesichts der massiven Verluste waren sich Experten zuletzt weitestgehend einig, dass Kremlchef Putin eine Mobilmachung ankündigen wird. "Es wäre die denkbar nächste Stufe der Eskalation", sagt Militärexperte Gustav Gressel zu t-online.

"Ich rechne eher mit einer weiteren Eskalation, die dann möglicherweise auch die Ausrufung des Kriegsrechts in Russland bringen könnte", sagt auch Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg zu t-online. Vor allem auf die Begründung des Kremls, der die Bezeichnung der "Spezialoperation" als Krieg bislang strengstens untersagt, sollte dann geachtet werden.

Was würde die Generalmobilmachung für den Krieg bedeuten?

"Ob eine Generalmobilmachung den Krieg in der Ukraine wirklich beeinflussen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar. Die entsprechenden militärischen Effekte würden wohl erst in einigen Wochen eintreten, wenn überhaupt", sagt Kühn.

Auch Militärexperte Gressel schätzt den Zeitraum, in dem die mobilgemachten Soldaten an die Front geschickt werden würden, auf etwa sechs Monate. Er vermutet, dass der Kreml im ersten Schritt der Generalmobilmachung zunächst auf die Wehrpflichtigen zurückgreifen würde, die im Herbst letzten Jahres eingezogen wurden, um die Truppen in der Ukraine schnellstmöglich aufzustocken.

Einzelne Verbände könnten komplett in die Ukraine verlegt werden – "allerdings eher spärlich, denn auch mobilgemachte Soldaten brauchen Ausbildung und eine Struktur, die sie führt und Material bereitstellt", so Gressel. Ein Großteil der Armee werde also damit beschäftigt sein, die Reserveeinheiten auszubilden und entsprechend aufzustellen.

Was würde die Generalmobilmachung für Putins Rückhalt im eigenen Land bedeuten?

"Es müsste dann auch dem Letzten in Russland klar werden, dass sich das Land in einem Krieg befindet, der sich noch lange hinziehen könnte", so Sicherheitsexperte Kühn. Zunächst werde das den Rückhalt Putins in der Bevölkerung wohl nicht erschüttern. "Mit der Zeit und der steigenden Zahl russischer Gefallener könnte sich dies aber durchaus ändern", sagt der Experte.

Die Stimmung in der Bevölkerung könnte sich auch angesichts der sich anbahnenden Wirtschaftskrise verschlechtern – für die nicht nur die Sanktionen des Westens verantwortlich sind, sondern auch die massenhaften Auswanderungen von Arbeitskräften.

Etwa 300.000 Menschen haben Russland seit Beginn des Krieges den Rücken gekehrt, schätzt Olga Gulina, Leiterin des RUSMPI-Instituts, einem Thinktank für Migrationspolitik, im Gespräch mit "NTV". "Das sind vor allem junge, produktive, städtische und besonders gut ausgebildete Leute wie Finanzangestellte, Journalisten und IT-Spezialisten." Um dem Mangel an Arbeitskräften entgegenzuwirken, hatte Russland bislang beispielsweise IT-Experten von der Wehrpflicht befreit – fraglich ist jedoch, wie lange das so bleibt.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 5. Mai und ist den aktuellen Ereignissen angepasst worden.

Verwendete Quellen
  • Anfrage an Gustav Gressel, Militärexperte
  • Anfrage an Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg
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