Interview zur Ukraine Schröder löst Empörung aus: "Bundeskanzler der Schande"
Kein Zeichen der Reue: Trotz des Krieges in der Ukraine steht Gerhard Schröder zu seinem Freund Wladimir Putin. Aussagen des Altkanzlers in einem Interview werden auch aus der eigenen Partei scharf kritisiert.
Altkanzler Gerhard Schröder hat mit seinem Interview in der "New York Times" für erhebliche Irritationen und Empörung in der deutschen Politik gesorgt. Unter anderem distanzierte er sich trotz des Ukraine-Kriegs weiterhin nicht vom russischen Präsidenten Wladimir Putin – und relativierte dessen Verantwortung für die Kriegsverbrechen in der ukrainischen Stadt Butscha.
Empörte Reaktionen aus dem In- und Ausland folgten prompt. Ein Überblick:
Der nordrhein-westfälische SPD-Chef und Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Thomas Kutschaty, hat Gerhard Schröder einen Parteiaustritt nahegelegt. "Ich halte das gesamte Gebaren von Gerhard Schröder für nicht vereinbar mit den Grundwerten der SPD", sagte Kutschaty t-online. "Er sollte sich dringend überlegen, ob er noch Mitglied der SPD sein will oder ein Unterstützer von Putin."
Er sei froh, dass es bereits ein Parteiordnungsverfahren des Bezirks Hannover gegen den Ex-Kanzler gebe: "Wenn Gerhard Schröder selbst nicht geht, ist es Aufgabe der Schiedskommission, die richtigen Entscheidungen zu treffen."
Der CDU-Politiker Marco Wanderwitz, früherer Ostbeauftragter der Bundesregierung, nannte Schröder einen "Bundeskanzler der Schande": Er mache sich "sehenden Auges nochmals gemein mit dem russischen Kriegsverbrecher".
Schröder ist seit seiner Zeit als Kanzler (1998 bis 2005) eng mit Putin befreundet. In dem Interview betonte er, dass er weiter bereit sei, diesen guten Draht zur Vermittlung zwischen Russland und der Ukraine zu nutzen. "Ich habe immer deutsche Interessen vertreten. Ich tue, was ich kann. Wenigstens eine Seite vertraut mir", sagt der frühere SPD-Chef. Grünen-Politiker Volker Beck kritisierte auf Twitter: "Ein Vermittler, der auf der Gehaltsliste einer Seite steht. Really?"
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"Teil des Putin-Systems"
Klar ist, dass Schröder in Deutschland und in der Ukraine immer mehr Vertrauen verliert. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko forderte Sanktionen gegen den Altkanzler. "Alle diejenigen, die weiterhin für Kriegsverbrecher Putin arbeiten, müssen hart sanktioniert werden", sagte er der "Bild". Schröder sei Teil des Putin-Systems und damit "mitverantwortlich für das Abschlachten von Frauen und Kindern in der Ukraine. Angesichts seiner Propaganda für den Kreml fragt man sich, warum Schröder in Hannover wohnt und nicht in Moskau."
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Schröder ist Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energieriesen Rosneft und Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Pipeline-Gesellschaft Nord Stream. Außerdem ist er im zuständigen Handelsregister nach wie vor als Verwaltungsratspräsident der Nord Stream 2 AG eingetragen.
Trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine nannte er im "New York Times"-Interview nur einen Grund für einen Rücktritt: Wenn Russland Deutschland und der Europäischen Union das Gas abdrehe. "Ich mache jetzt nicht einen auf mea culpa (meine Schuld)", sagte er. "Das ist nicht mein Ding." Vier SPD-Verbände haben wegen seiner Posten ein Parteiausschlussverfahren beantragt.
Forderungen nach SPD-Austritt
Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) forderte von der SPD-Führung die Einleitung eines Parteiausschlussverfahrens gegen Schröder. "Das Interview in der 'New York Times' ist schon ziemlich verstörend und es muss Folgen haben. Die gesamte SPD-Führung hat gesagt: Wenn Gerhard Schröder an seinen gut bezahlten Mandaten bei Putin festhält, kann er nicht mehr Mitglied der SPD sein", sagte Wüst "Bild". "Deshalb ist die SPD jetzt aufgerufen, ihren Worten Taten folgen zu lassen."
Für die SPD, die ohnehin wegen ihrer Russlandpolitik in der Kritik steht, kommen die Äußerungen des Altkanzlers zur Unzeit. Die Co-Vorsitzende Saskia Esken forderte Schröder am Montag auf, aus der Partei auszutreten. Schröder agiere seit Jahren nur noch als Geschäftsmann, sagte Esken im Deutschlandfunk. "Wir sollten aufhören, ihn als Altkanzler wahrzunehmen." Die Parteispitze habe ihn leider vergeblich aufgefordert, seine Mandate bei russischen Energiekonzernen aufzugeben. Es würden die Anträge auf einen Parteiausschluss geprüft.
Applaus aus der AfD
Während Schröders Äußerungen in fast allen Parteien und von Fachleuten massiv kritisiert werden, kommt verhaltener Applaus aus den Reihen der AfD. "Ich hätte es nicht gedacht, aber ich muss sagen, was Schröder sagt, ist vernünftig und im deutschen Interesse", twitterte etwa der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Reichhardt aus Sachsen-Anhalt. "Nüchterne Interessenpolitik ist das Gebot der Stunde."
Es war am Samstag das erste Mal, dass sich Schröder ausführlich zum Krieg in der Ukraine und zu seinen gescheiterten Vermittlungsversuchen zu Wort meldete. Von Umdenken war dabei keine Spur: Der 78-Jährige warb dafür, die Beziehungen zu Russland trotz des Angriffskrieges aufrechtzuerhalten. "Sie können ein Land wie Russland langfristig nicht isolieren, weder politisch noch wirtschaftlich", sagte er. "Die deutsche Industrie braucht Rohstoffe, die Russland hat. Es geht nicht nur um Öl und Gas, es geht auch um seltene Erden. Und das sind Rohstoffe, die nicht so einfach ersetzt werden können."
Im Juni könnte sich die Debatte um Schröder noch einmal zuspitzen. Dann findet die Hauptversammlung des Energieriesen Gazprom statt, bei der Schröder in den Aufsichtsrat gewählt werden soll. Laut "New York Times" ließ er in dem Interview offen, ob er die Nominierung annehmen wird. Das würde erneut für große Empörung sorgen.
- Spiegel: "Eine Schande für Deutschland"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und afp