Krieg in der Ukraine Selenskyj: Moskau baut "Konzentrationslager"
Präsident Selenskyj wirft Moskau den Bau von Konzentrationslagern vor. Die Zahl der Opfer nach Raketenangriffen auf Odessa steigt auf acht. Kiew erwartet ranghohen Besuch aus Washington. Die Ereignisse der Nacht.
Das russische Militär hat am Samstag erneut die ukrainische Hafenstadt Odessa angegriffen, die bis vor Kurzem weitgehend von Attacken verschont geblieben ist. Nach Angaben von Selenskyj wurden zunächst sieben Raketen abgefeuert, von denen zwei abgefangen wurden.
Unter anderem sei ein mehrstöckiges Wohnhaus getroffen worden. Acht Menschen seien getötet worden, darunter ein drei Monate altes Mädchen. Weitere 20 Menschen seien verletzt worden, hieß es.
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Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, es sei ein Logistikterminal auf einem Militärflugplatz getroffen worden, in dem eine "große Lieferung" Waffen aus den USA und Europa gelagert habe. In der Nacht zum Sonntag fingen ukrainische Truppen nach eigenen Angaben zwei weitere Marschflugkörper ab.
Ranghoher Besuch aus den USA
Nach Reisen zahlreicher europäischer Spitzenpolitiker wird in Kiew am Sonntag nun auch ranghoher Besuch aus den USA erwartet. "Ich denke nicht, dass es ein großes Geheimnis ist. Morgen werde ich ein Treffen mit dem US-Verteidigungsminister (Lloyd Austin) und mit Außenminister (Antony) Blinken haben", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag bei einer Pressekonferenz in einer Kiewer U-Bahn-Station.
Mit Austin und Blinken werde er über die "Liste der notwendigen Waffen und über die Geschwindigkeit ihrer Lieferung" reden, kündigte Selenskyj an. Die US-Ministerien äußerten sich zunächst nicht zu den Reisen. In den vergangenen Wochen hatten diverse europäische Regierungschefs und auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Kiew besucht.
Selenskyj hofft auf US-Druck für Waffenlieferungen aus Berlin
Selenskyj sagte, er erhoffe sich von den USA auch Unterstützung für Waffenlieferungen aus Deutschland. "Damit sie (Deutschland) damit beginnen, das zu liefern, was sie haben und das, was sie gerade nicht nutzen." In der Ampelkoalition gibt es Druck von Grünen und FDP auf SPD-Kanzler Olaf Scholz, die Waffenlieferungen auszubauen.
Die FDP forderte am Samstag in einem Beschluss ihres Bundesparteitages die Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland an die Ukraine. Das Land müsse bei der Abwehr des russischen Angriffskrieges schnell und wirksam unterstützt werden, hieß es darin.
Selenskyj: Russland baut "Konzentrationslager"
Selenskyj kritisierte in seiner täglichen Videoansprache scharf die vom russischen Militär in besetzten Gebieten eingerichteten Filtrationslager. In ihnen sollen nach offizieller Darstellung eventuelle Kämpfer von Zivilisten getrennt werden.
"Der ehrliche Name dafür ist ein anderer – das sind Konzentrationslager. So wie sie die Nazis seinerzeit gebaut haben", sagte Selenskyj. Er kritisierte, dass Ukrainer aus diesen Lagern auch nach Russland gebracht würden.
"Unter anderem deportieren sie Kinder – in der Hoffnung, dass sie vergessen, wo sie herkommen, wo ihr Zuhause ist." Nach Angaben der ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten Ljudmyla Denisowa wurden 308 Ukrainer aus dem schwer zerstörten Mariupol in eine 8.000 Kilometer entfernte Stadt im russischen Fernen Osten gebracht.
Ukraine spricht von Zwangsrekrutierung in besetzten Gebieten
Die Ukraine wirft russischen Truppen zudem eine Zwangsrekrutierung von Einwohnern in besetzten Gebieten vor. Neben jungen Menschen seien davon in den Regionen Cherson, Saporischja und Charkiw speziell auch Mediziner betroffen, schrieb die ukrainische Militäraufklärung bei Facebook. So sei medizinisches Personal aus der Stadt Wowtschansk im Gebiet Charkiw unter Androhung von Hinrichtungen gezwungen worden, russische Soldaten an der Front zu behandeln.
Im Gebiet Saporischja suchten russisches Militär und Geheimdienstler nach Personen im wehrpflichtigen Alter, schrieb die Militäraufklärung weiter. Es heiße, dass sie russische Einheiten verstärken sollen. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.
OSZE sorgt sich um in Ostukraine festgehaltene Mitarbeiter
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sorgt sich um Mitarbeiter, die im Donbass in der Ostukraine gefangen genommen worden seien. Es handle sich um Ukrainer, die gemeinsam mit internationalen Beobachtern der OSZE in der Region tätig waren, gab die Organisation bekannt.
Die OSZE hatte Ende Februar beschlossen, ihre Mission angesichts der russischen Invasion vorübergehend zu beenden und ihr unbewaffnetes internationales Team außer Landes zu bringen. Die Beobachter hatten vor allem die Aufgabe, in der Ostukraine die Waffenstillstandslinie zwischen staatlichen Truppen und prorussischen Separatisten zu überwachen.
Putin bei Ostergottesdienst in Moskau
Russlands Präsident Wladimir Putin hat in der Nacht zum Sonntag einen Ostergottesdienst in Moskau besucht. Er habe dem russisch-orthodoxen Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill gemäß Tradition ein verziertes Osterei überreicht, berichtete die Nachrichtenagentur Tass. Kirill hat sich stets hinter Putins Politik gestellt. So hatte er dem Westen die Schuld am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gegeben.
In der Ukraine gilt in der orthodoxen Osternacht eine Ausgangssperre. Zum Fest machte Präsident Selenskyj seinen Landsleuten Hoffnung auf einen Sieg. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis alle in der Ukraine wieder sicher in Frieden leben würden, sagte er in einer Videoansprache.
Merz: Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik vor Scherbenhaufen
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sieht mit Blick auf den Krieg in der Ukraine jahrelange schwere Versäumnisse in der deutschen Politik. "Die gesamte deutsche Außen- und Sicherheitspolitik der letzten 20 Jahre steht vor einem Scherbenhaufen. Wenn dieser Krieg vorüber ist, müssen wir sorgfältig analysieren, wie es dazu kommen konnte", sagte Merz der "Bild am Sonntag".
Aus Sicht des CDU-Chefs hätte es spätestens 2014 nach der Besetzung der Krim "eine massive Sanktionierung und Isolierung Russlands gebraucht".
Das wird am Sonntag wichtig
Ein Höhepunkt des Tages dürfte der Besuch der beiden US-Minister in Kiew werden, zu dem bisher keine Einzelheiten bekannt wurden. In Deutschland kann man von einer Fortsetzung der Debatte über deutsche Waffenlieferungen und den außenpolitischen Kurs gegenüber Russland ausgehen.
- Nachrichtenagentur dpa