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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kein Sturz der ukrainischen Regierung? "Putin hat sich den Realitäten in der Ukraine ergeben"
Die Aussage aus Moskau überraschte viele: Plötzlich will Russland die ukrainische Regierung und Präsident Selenskyj offenbar nicht mehr stürzen. Lenkt Wladimir Putin im Ukraine-Krieg nun doch ein?
Die russische Regierung strebt nach eigenen Angaben mit dem Krieg gegen die Ukraine keinen Machtwechsel in der ehemaligen Sowjetrepublik an. Ziel sei "weder die Besetzung der Ukraine noch die Zerstörung ihrer Staatlichkeit noch der Sturz der aktuellen Führung" unter Präsident Wolodymyr Selenskyj, sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Mittwoch der Staatsagentur Tass zufolge in Moskau.
Diese Aussage kam durchaus überraschend, schließlich waren die Kriegsziele vom russischen Präsidenten Wladimir Putin eindeutig formuliert: "Entnazifizierung" der Ukraine und damit die Absetzung der Regierung in Kiew und von Präsident Selenskyj.
Gressel: "Putin rückt von einer Maximalforderung ab"
Die Aussagen sind mit Vorsicht zu bewerten. Aber sollte Russland seine Umsturzpläne vor den Verhandlungen zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba am Donnerstag plötzlich aufgeben, könnte das doch ein strategisches Signal sein.
"Russland bahnt sich damit den Weg zu offiziellen Gesprächen auf Ministerebene. Vorher hatte man immer gesagt, dass die ukrainische Regierung kein Ansprechpartner sei", erklärt Gustav Gressel, Russland- und Militärexperte bei der internationalen Denkfabrik European Council on Foreign Relations, t-online. Putin rücke damit von einer Maximalforderung ab. Das sei ein wichtiger Schritt in Richtung eines möglichen Waffenstillstands.
Das mögliche Entgegenkommen des Kremls hängt wohl auch damit zusammen, dass die politischen Ziele Russlands im Krieg zunehmend unerreichbar scheinen. "Wen sollen sie denn als Marionettenregierung einsetzen?", fragt Gressel. "Putin hat sich den Realitäten in der Ukraine ergeben und das war ein wichtiger Schritt. Aber wir müssen abwarten, wie die Gespräche in der Substanz laufen – viele Schweinereien passieren im Detail."
Kein Ende der Kämpfe
Mit zunehmender Verhandlungsbereitschaft endet jedoch nicht automatisch das Leid der ukrainischen Bevölkerung. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die russische Armee ihre Angriffe noch einmal verschärft, um die eigene Verhandlungsposition zu verbessern und mehr Druck auf Kiew aufzubauen.
Ohnehin scheint der Weg bis zu einer Einigung noch weit: Sacharowa bekräftigte nämlich andere russische Forderungen. "Die Ziele der militärischen Spezialoperation sind der Schutz der Volksrepubliken Donezk und Luhansk, die Demilitarisierung und Denazifizierung der Ukraine und die Beseitigung der militärischen Bedrohung Russlands." Die Ukraine wird als souveräner Staat aber wohl auf keinen Fall auf ein Militär verzichten – besonders nicht nach diesem Überfall durch Russland.
Russland behauptet seit Längerem, die ukrainische Führung um den jüdischstämmigen Selenskyj sei von Nazis unterwandert, die in den ostukrainischen Separatistengebieten einen "Genozid" an der russischen Minderheit verübten. Dafür gibt es keine Belege. Zudem fordert Moskau, Kiew müsse auf das in der ukrainischen Verfassung verankerte Ziel eines Nato-Beitritts verzichten, sich für neutral erklären und abrüsten.
Der ukrainische Außenminister Kuleba räumte wie zuvor Selenskyj ein, der Nato-Beitritt sei nicht aufgehoben, aber aufgeschoben. Allerdings benötige die Ukraine sofort starke Sicherheitsgarantien, denen die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats zustimmen müssten, also auch Russland. Wenn sie Sicherheitsgarantien aus Moskau bekommt, wäre die Ukraine beim Thema Neutralitätspflicht durchaus gesprächsbereit.
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa