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Ukraine-Krieg: Frieren für den Frieden – hilft das?


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Ukraine-Krieg
Frieren für den Frieden – hilft das?


Aktualisiert am 10.03.2022Lesedauer: 4 Min.
Heizschwaden ziehen über München hinweg: Die Aufforderung zum Energiesparen lässt viele gleich an kalte Wohnzimmer denken. Doch laut Experten macht jedes Grad weniger schon einen Unterschied.Vergrößern des Bildes
Heizschwaden ziehen über München hinweg: Die Aufforderung zum Energiesparen lässt viele gleich an kalte Wohnzimmer denken. Doch laut Experten macht jedes Grad weniger schon einen Unterschied. (Quelle: imago-images-bilder)

Heizung runter, Tempo drosseln: Während die Regierung nur schwer vom russischen Gas wegkommt, wird der Aufruf zum Energiesparen lauter. Kann man so Putins Kriegskassen austrocknen?

Der Widerstandskampf beginnt in deutschen Wohnzimmern. Wer den Kreml angesichts des Ukraine-Kriegs unter Druck setzen will, sollte die Heizung runterdrehen und langsamer Auto fahren. Oder?

So forderte es am Mittwochmorgen zumindest EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Und bekräftigte damit den Vorschlag von Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) aus der vergangenen Woche: "Wenn man Putin ein bisschen schaden will, dann spart man Energie."

Während die Bundesregierung versucht, die deutsche Abhängigkeit von russischen Energieimporten langfristig zu lösen, könne die Bevölkerung schon jetzt die Nachfrage senken, heißt es.

Das klingt einleuchtend: Russland verdient viel Geld damit, fossile Brennstoffe nach Deutschland zu verkaufen.

Je weniger Energie wir verbrauchen, desto weniger verdient Russland. Vor allem die Kriegskassen füllen sich nicht mehr so rasant. Der Druck auf Wladimir Putin könnte steigen, den Überfall auf die Ukraine zu beenden.

Doch wie wirksam ist die ganz persönliche Rebellion gegen Putin tatsächlich? t-online beantwortet die zentralen Fragen.

Wie abhängig ist Deutschland von Russland?

So sehr, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck um den sozialen Frieden fürchtet, sollte Deutschland den Import fossiler Energien stoppen. Bundeskanzler Olaf Scholz ließ am Montag ebenfalls eigens eine Mitteilung verbreiten, um sich dafür zu rechtfertigen, dass man die Energielieferungen "bewusst von den Sanktionen ausgenommen" habe.

"Die Versorgung Europas mit Energie für die Wärmeerzeugung, für die Mobilität, die Stromversorgung und für die Industrie kann im Moment nicht anders gesichert werden", heißt es da.

Tatsächlich sind die Zahlen sehr hoch: 55 Prozent des deutschen Erdgases kommen aus Russland, bei der Steinkohle sind es 50 Prozent und beim Öl 35 Prozent. Allein das Erdgas macht dabei mehr als ein Viertel des Energieverbrauchs in Deutschland aus.

Gas wird derzeit vor allem in der Industrie – und unseren Wohnungen verbraucht. Das Heizen von Gebäuden ist in Deutschland einer der größten Energieverbraucher überhaupt. Mehr als die Hälfte der Gebäude wird mit Gas geheizt, in einem weiteren Viertel sind Ölheizungen eingebaut.

Was sagt die Politik zum freiwilligen Verzicht?

Längst nicht nur Robert Habeck hält das freiwillige Energiesparen für eine gute Idee. "Ganz besonders wirksam und schnell helfen schon kleine Veränderungen unseres persönlichen Energieverbrauchs", sagt die energiepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Ingrid Nestle, t-online. Das könne einen Beitrag dazu leisten, die Gasspeicher für den nächsten Winter zu füllen.

Nestle ist überzeugt, dass es vor allem darum geht, "die Menschen zu achtsamem Umgang mit Energie zu befähigen". Die Informationen müssten "breit zu den Menschen transportiert werden", fordert sie.

"Wer weiß schon, dass eine leichte Absenkung der Raumtemperatur oder Wäsche auf der Leine statt im Trockner noch viel mehr spart, als das Licht auszuknipsen?"

Die energiepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Nina Scheer, bringt außerdem einen alten Bekannten aus der Zeit der Ölkrise der 1970er-Jahre ins Spiel: den autofreien Sonntag.

"Wir können alle unseren Beitrag leisten, dass unsere Energieverbräuche in einem vermeidbaren Umfang reduziert werden", sagt Scheer t-online. Das sei ebenfalls "ein Weniger an Abhängigkeit". Alle Optionen müssten auf den Tisch. "Auch autofreie Sonntage können dazu zählen und dabei auch als Akt der Solidarität angegangen werden."

Wie sinnvoll ist Gassparen?

"Das ist tatsächlich ein wichtiger Teil der Antwort auf die jetzige Krise", sagt Energieökonom Andreas Löschel von der Ruhr-Universität Bochum. Er geht davon aus, dass es kurzfristig schwierig werden wird, ausreichend Flüssiggas oder Pipeline-Gas aus anderen Ländern als Russland zu bekommen. Die Nachfrage sei deshalb eine wichtige Stellschraube – und vor allem beim Heizen ein effektiver Ansatz.

"Mit jedem Grad weniger lässt sich der deutsche Gasverbrauch um rund zwei Prozent senken", so Löschel, "zumindest, wenn alle mitziehen". Er geht davon aus, dass viele Menschen tatsächlich am Thermostat drehen werden – auch aus rein pragmatischen Gründen, denn die Gaspreise sind so hoch wie selten zuvor und drohen weiter zu steigen.

Gassparen heißt nicht gleich Frieren

Die Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) zeigen, dass es dadurch zu Hause auch nicht ungemütlich werden muss. Laut der weltgrößten Energiebehörde liegt die durchschnittliche Heiztemperatur in der EU bei mehr als 22 Grad. Deutlich höher als die 20 Grad, die das Umweltbundesamt für die wärmsten Wohnräume empfiehlt.

Wer aus Solidarität mit der Ukraine und mit Blick auf die eigene Heizkostenrechnung Gas sparen möchte, kann dies aber nicht nur über die Heiztemperatur tun, erklärt Andreas Löschel: "Heizkörper entlüften, Fenster abdichten, Vorhänge geschlossen halten, elektrische Thermostate benutzen und Warmwasser sparen sind alles Dinge, die ebenfalls helfen."

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Zwar spiele die Anpassung in Unternehmen eine noch wichtigere Rolle als das, was die deutschen Haushalte leisten können. "Aber wir sollten alles zusammennehmen, was man machen kann. Und wenn das ohne große Einschränkungen geht, ist das umso sinnvoller", so der Energieökonom.

Was bringt ein freiwilliges Tempolimit?

Im Gegensatz zu Einsparungen beim Gasverbrauch, spielt Spritsparen laut Energieökonom Andreas Löschel eher eine untergeordnete Rolle, um von russischen Energieimporten loszukommen. "Öl und Kohle sind aus meiner Sicht kleinere Probleme", sagt er.

Anders als der sehr regionale Gasmarkt sei gerade der Ölmarkt weltweit aufgestellt, ein Umstieg auf andere Quellen entsprechend einfach. Die Nachfrage müsse also nicht zwingend gesenkt werden.

"Wenn wir unsere Bemühungen also ein bisschen fokussieren wollen, wird das politische Engagement wohl auf andere Dinge verwendet als auf ein Tempolimit", so Löschel. Aber auch an der Tanksäule spielen die steigenden Preise eine Rolle.

Für den eigenen Kontostand dürfte sich Spritsparen daher dennoch lohnen. "Es liegt im Interesse jedes Einzelnen, jetzt seinen Energiekonsum zu überprüfen; das gilt für die Mobilität, das gilt für die Wärme, das gilt für den Strom", sagt auch Andreas Löschel. Und zwar "auch komplett unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Telefonat mit Energieökonom Andreas Löschel, Ruhr-Universität Bochum
  • Handelsblatt (08.03.2022): "Wofür Erdgas in Deutschland gebraucht wird“
  • Dossier des Umweltbundesamtes (30.10.2020): Heizen - Raumtemperatur
  • Internationale Energieagentur (März 2022): A 10-Point Plan to Reduce the European Union’s Reliance on Russian Natural Ga
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