Krise in Brasilien "Bolsonaros Anhänger wollen in den Krieg ziehen"
Zahlreiche Tote, eine Wirtschaftskrise und politisches Chaos: Brasilien wurde massiv von der Corona-Krise getroffen. Präsident Jair Bolsonaro ist so unbeliebt wie nie zuvor. Doch kampflos aufgeben will er nicht.
Angesichts extrem schlechter Umfragewerte, einer schwächelnden Wirtschaft und Auseinandersetzungen mit der Justiz will der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro zum Unabhängigkeitstag an diesem Dienstag in die Offensive gehen und hat dazu seine extrem rechte Anhängerschaft zu Kundgebungen in Brasilia und São Paulo aufgerufen. "Die Zeit ist reif, dass wir tatsächlich unsere Unabhängigkeit erklären", sagte Bolsonaro.
"Wir werden es nicht einigen Leuten in Brasilia gestatten, uns ihren Willen aufzuzwingen", sagte der Präsident in der vergangenen Woche in einer Anspielung auf eine Entscheidung des Obersten Gerichts.
Bolsonaro spricht bei mehreren Kundgebungen
In den aktuellen Umfragen liegt der rechtsextreme Bolsonaro mit Blick auf die Präsidentenwahl im kommenden Jahr klar hinter seinem linken Konkurrenten Luiz Inácio Lula da Silva, der bisher noch nicht einmal seine Kandidatur bekannt gegeben hat. Der Oberste Gerichtshof hat eine Serie von Untersuchungen angeordnet, bei denen es darum geht, ob Bolsonaro und seine engsten Mitarbeiter systematisch Falschmeldungen verbreiteten.
Bolsonaro will am Dienstag, dem Unabhängigkeitstag, bei Kundgebungen in Brasilia und in der Wirtschaftsmetropole São Paulo auftreten. Der 66-Jährige verkündete selbst, er rechne bei seinem Auftritt auf der Avenida Paulista in São Paulo mit mehr als zwei Millionen Teilnehmern. Zu anderen Kundgebungen, die kürzlich stattfanden, kamen einige zehntausend Teilnehmer.
Bolsonaro habe sich im Kampf mit dem Kongress dafür entschieden, auf "alles oder nichts" zu setzen, sagte der Politikwissenschaftler Geraldo Monteiro von der Universität in Rio de Janeiro.
Der Leiter des Obersten Gerichtshofs, Luiz Fux, zeigte sich besorgt über die Wortwahl des Präsidenten. Er erinnerte daran, dass Demonstrationen in einer Demokratie "friedlich" sein müssten und dass die freie Meinungsäußerung nicht gleichbedeutend sei mit "Drohungen und Gewalt".
Ein "kalkuliertes Risiko"
Unter den überzeugten Anhängern Bolsonaros seien auch Fans, die zu solchen Kundgebungen Waffen mitbrächten, sagte der Politikberater Andre Rosa. Bolsonaros Anhänger seien "sehr reaktionär", sie wollten "in den Krieg ziehen". Bolsonaro kann nach Rosas Einschätzung die Gewalt nicht "kontrollieren". Vielmehr nehme der Präsident ein "kalkuliertes Risiko" in Kauf.
Auch Gegner von Bolsonaro haben für Dienstag zu Kundgebungen aufgerufen. Sicherheitskräfte sollen beide Lager auseinanderhalten.
Bereits am Montagabend war die Lage in der Hauptstadt Brasilia eskaliert. Unterstützer von Bolsonaro hatten eine Polizeiabsperrung durchbrochen. Wie die Polizei mitteilte, überwanden Hunderte Demonstranten mit Lastwagen und Autos eine Absperrung und gelangten auf die aus Sicherheitsgründen gesperrte Allee, die zum Kongress und zum Obersten Gerichtshof des Landes führt.
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Auf Videos im Internet war ein kleiner Autokorso zu sehen, der die Straße entlang fuhr. Demonstranten zu Fuß schwenkten Fahnen. "Wir sind gerade hereingestürmt", rief einer der Demonstranten in einem Video. "Die Polizei konnte die Menschen nicht zurückhalten." Er kündigte an, dass die Demonstranten am Dienstag auch das Oberste Gericht stürmen wollten.
Die Polizei teilte mit, dass sie noch vor Ort sei, um "die Situation wiederherzustellen". Der Sender CNN Brasilien berichtete, die Situation sei offenbar bereits unter Kontrolle.
Die Umfragewerte für Bolsonaro liegen derzeit bei 23 Prozent – so niedrig wie noch nie. Die Werte der Arbeitslosigkeit und der Inflation steigen. Das Land zählt mehr als 580.000 Corona-Tote und Bolsonaro könnte mit Parlamentspräsident Arthur Lira auch noch einen wichtigen politischen Alliierten verlieren. Lira hatte bereits zahlreiche Versuche abgeschmettert, gegen den Präsidenten Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Mit Blick auf die Kundgebungen am Dienstag sagte er: "Wenn es Unruhen gibt, wird der Präsident der einzige sein, der verliert (...) Das weiß er."
- Nachrichtenagenturen afp und dpa