Nach Verhaftung in Moskau Nawalny-Affäre: USA und Berlin erhöhen Druck auf Russland
Nach seiner Landung in Moskau ist der Oppositionspolitiker Nawalny prompt in Haft gekommen. Außenminister Mike Pompeo forderte seine Freilassung, Vize-Kanzler Scholz spricht von einer rechtswidrigen Verhaftung.
Der Kremlgegner Alexej Nawalny ist nach seiner Landung in Moskau noch am Flughafen festgenommen worden. Der 44-Jährige wurde an der Passkontrolle von Polizisten abgeführt. Die Beamten stellten seinen Reisepass sicher und Nawalny verabschiedete sich von seiner Frau Julia. Seine Anwältin durfte ihn offenbar nicht begleiten. Nach Angaben von Vertrauten sei Nawalny in eine nahe gelegene Polizeistation gebracht worden. Das twitterte sein Mitstreiter Iwan Schdanow am frühen Montagmorgen (Ortszeit).
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Die russische Strafvollzugsbehörde bestätigte die Festnahme. Sie wirft Nawalny vor, während seines Aufenthalts in Deutschland wiederholt gegen die Auflagen einer fünfjährigen Bewährungsstrafe verstoßen zu haben. Der Regierungsgegner soll demnach bis zu einer Entscheidung durch ein Gericht in Haft bleiben. Der Strafvollzug will die Bewährungs- in eine echte Haftstrafe umwandeln lassen.
Nawalnys Team spricht von einer politischen Inszenierung, um den prominenten Gegner von Präsident Wladimir Putin mundtot zu machen. Der Gerichtsprozess ist am 29. Januar geplant. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete die Festnahme und spätere Inhaftierung in einer Erklärung als unrechtmäßig. Dies sei ein weiterer Beleg dafür, "dass die russischen Behörden ihn zum Schweigen bringen wollten."
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USA fordern Freilassung
Die US-Regierung forderte die sofortige Freilassung Nawalnys. "Die Vereinigten Staaten verurteilen aufs Schärfste die Entscheidung Russlands, Alexej Nawalny zu inhaftieren", teilte US-Außenminister Mike Pompeo am Sonntagabend (Ortszeit) mit. "Wir nehmen mit großer Sorge zur Kenntnis, dass seine Festnahme der jüngste in einer Reihe von Versuchen ist, Nawalny und andere Oppositionelle und unabhängige Stimmen, die den russischen Behörden kritisch gegenüberstehen, zum Schweigen zu bringen." Die russische Regierung müsse gleiche Bedingungen für alle politischen Parteien und Kandidaten schaffen, die sich am Wahlprozess beteiligen wollten.
Scholz: Rechtswidrige Verhaftung
"Die russischen Behörden müssen Alexej Nawalnys Rechte akzeptieren und ihn umgehend freilassen", forderte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auf Twitter. Als unrechtmäßig kritisierten auch EU-Ratschef Charles Michel und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) die Inhaftierung. Auch die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen forderten die sofortige Freilassung Nawalnys. Die Festnahme sei "völlig inakzeptabel", hieß es in einer Erklärung der drei an Russland grenzenden EU- und Nato-Länder. An diesem Montag dürfte sich Außenminister Sergej Lawrow bei einer Pressekonferenz zu dem Fall äußern.
Scholz bezeichnete die Verhaftung als "rechtswidrig". "Diesem Mann ist Unrecht geschehen. Es ist ein Mordanschlag auf ihn verübt worden und er müsste vom Staat beschützt und nicht verhaftet werden", sagte der Finanzminister am Sonntagabend im "Bild"-Talk "Die richtigen Fragen". Es stehe ihm zu, "sich als freier Mann in Russland zu bewegen und sich um politische Mandate zu bewerben". Das dürfe nicht dazu führen, "dass die Staatsgewalt alles gegen ihn unternimmt".
Kritik kam auch von den Grünen im Bundestag. Die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt schrieb auf Twitter: "Der Kreml zeigt wieder eindeutig, wie er mit Oppositionellen umgeht und KritikerInnen mit allen Mitteln einschüchtern will." Manuel Sarrazin, Sprecher für Osteuropapolitik, erklärte: "Der Kreml und Wladimir Putin wollen Alexej Nawalny in diesem Duma-Wahljahr um jeden Preis aus dem Verkehr ziehen." Das neue Parlament wird im September gewählt.
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff kritisierte den "autoritären Kurs des russischen Präsidenten". Putin führe das Land in eine Sackgasse. "Die Bundesregierung muss darauf drängen, dass den Anwälten Nawalnys die Gründe für die Verhaftung dargelegt werden und er selber korrekt behandelt wird." Nawalnys Anwältin empfing Nawalny auf dem Airport, durfte ihn aber nicht begleiten.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stufte den prominenten Gegner von Präsident Wladimir Putin als einen politischen Gefangenen Russlands ein.
Nawalny: Rückkehr stand nie zur Frage
Der Kremlkritiker war fünf Monate nach seiner Vergiftung in seine Heimat Russland zurückgekehrt. Der Flug Nawalnys von Berlin nach Moskau war zuvor überraschend zu einem anderen Moskauer Flughafen umgeleitet worden. Die Maschine landete am russischen Hauptstadt-Airport Scheremetjewo im Nordwesten der Stadt. Ursprünglich sollte das Flugzeug der Airline Pobeda auf dem Flughafen Wnukowo südwestlich von Moskau landen, wo sich zahlreiche Anhänger versammelt hatten, um ihn zu begrüßen.
Nawalny gab kurz nach seiner Ankunft ein kurzes Statement ab. Dass er trotz des Giftattentats auf seine Person nach Russland zurückkehren würde, stand für ihn nie zur Frage. "Nur so kann der Kampf fortgesetzt werden", sagte er vor Pressevertretern. Die Vorwürfe der russischen Justiz gegen ihn bezeichnete Nawalny erneut als fabriziert und haltlos.
Tumulte am ursprünglichen Ankunftsflughafen
Der Oppositionsführer hatte seine Anhänger aufgerufen, ihn in Moskau zu empfangen. Die dortige Staatsanwaltschaft warnte vor unerlaubten Kundgebungen auf dem Flughafengelände und drohte mit Konsequenzen. Russische Sicherheitskräfte gingen derweil massiv gegen Unterstützer des Kremlgegners vor, die sich am Airport Wnukowo versammelt hatten. Es gab mehrere Festnahmen, wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag aus dem Terminal berichtete.
Unter den Festgenommenen seien die Juristin Ljubow Sobol, der Jurist Alexej Molokojedow und Nawalnys Assistent Ilja Pachomow, berichtete Iwan Schdanow von Nawalnys Anti-Korruptionsstiftung auf Twitter. Auch von der Festnahme von Nawalnys Bruder Oleg ist in Berichten die Rede. Zudem wurden weitere Aktivisten in Gewahrsam genommen. Uniformierte drängten Menschen zurück, die den Oppositionspolitiker empfangen wollten. Die auf Anti-Terror-Einsätze spezialisierte Sonderpolizei OMON hatte mit mehreren Gefangenentransportern Stellung bezogen.
Nawalny macht Putin für Attentat verantwortlich
Seit Nawalnys Verkündung, nach Russland zurückzukehren, wurde bereits vermutet, dass er unmittelbar nach der Landung festgenommen wird. Dies hatte auch die russische Strafverfolgungsbehörde angekündigt. Der Regierungsgegner hatte noch vor dem Start des Flugs gesagt, er habe keine Angst vor einer Festnahme, da er unschuldig sei. Deshalb sei eine Festnahme "unmöglich".
Nawalny dankte zudem der Bundesrepublik, wo er nach dem Giftanschlag behandelt worden war. Mit an Bord des Flugzeugs war seine Frau Julia. Für das Attentat im August machte der Oppositionsführer ein unter dem Befehl von Kremlchef Wladimir Putin agierendes "Killerkommando" des Inlandsgeheimdienstes FSB verantwortlich. Im Dezember veröffentlichte Nawalny ein Telefonat mit einem der mutmaßlichen Täter, der darin den Anschlag einräumte.
Russland bestreitet, dass es ein Verbrechen gegeben habe und lehnt deshalb Ermittlungen ab, solange es dafür keine Beweise gebe. Zwar hatte Deutschland zuletzt mehrere Rechtshilfegesuche in dem Fall beantwortet. Russland kritisierte dies am Sonntag aber als unzureichend.
Nawalny hofft auf Ermittlungen wegen Vergiftung
Allerdings wiesen Labore der Bundeswehr sowie in Frankreich, Schweden und bei der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) den illegalen Kampfstoff Nowitschok nach. Nawalny hofft, dass nach seiner Rückkehr in Russland Ermittlungen wegen seiner Vergiftung eingeleitet werden.
Nun wurde Nawalny verhaftet, da ihm vorgeworfen wird, Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren nicht erfüllt zu haben. Er verwies stets darauf, dass er sich in Deutschland von dem Anschlag erhole und sich deshalb nicht persönlich bei den Behörden in Moskau habe melden können. Russlands Strafvollzugsbehörde hatte ihn dennoch zur Fahndung ausgeschrieben.
Nawalny: Kampf gegen "System Putin" geht nur in Russland
Alexej Nawalny hatte immer wieder betont, den politischen Kampf gegen das "System Putin" nur in Russland selbst fortsetzen zu können – trotz der Gefahr, ins Gefängnis zu kommen oder getötet zu werden. Kremlkritiker werden immer wieder Opfer von Anschlägen. 2015 wurde der frühere Vize-Regierungschef Boris Nemzow in Kremlnähe erschossen. Nawalny drohen in Russland mehrere Strafverfahren, die als politisch motiviert in der Kritik stehen.
Zahlreiche Kommentatoren bezeichneten Nawalnys Entscheidung, nach Russland zurückzukehren, als mutig – und als politischen Sieg. "Dass Nawalny auch vor dem schlimmstmöglichen Szenario keine Angst hat, zerstört das ganze Spiel des Kreml", schrieb die Politologin Tatjana Stanowaja. Im Herbst ist in Russland Parlamentswahl, bei der der Oppositionspolitiker das Machtmonopol der Kremlpartei Geeintes Russland brechen will.
Russlands bekanntester Oppositioneller war nach dem Anschlag am 20. August auf einem Inlandsflug nach Moskau zusammengebrochen. Nach einer Notlandung in der sibirischen Stadt Omsk wurde er zunächst von russischen Ärzten behandelt und dann am 22. August in die Berliner Universitätsklinik Charité gebracht. Nach seiner Entlassung aus der Klinik blieb Nawalny wegen einer Reha-Maßnahme in Deutschland.
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP Reuters
- Eigene Recherchen