Pressestimmen zu Italien "Vorerst heißt der Verlierer Salvini"
Der rechtsradikale Innenminister Matteo Salvini hat sich in Italien verzockt – darin ist sich die internationale Presse weitgehend einig. Sie sieht ihn auch als Gefahr für die Eurozone. Die Pressestimmen.
Er hat die Regierungskrise in Italien erzwungen, doch nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Giuseppe Conte gilt Innenminister Matteo Salvini weithin als Verlierer derselben. Die Zeichen verdichten sich, dass sich eine Koalition aus populistischer Fünf-Sterne-Bewegung und Sozialdemokraten formieren könnte, auch eine Expertenregierung scheint nicht ausgeschlossen. Doch Savlini wird mit rechter Lega und neofaschistischer Fratelli D'Italia wahrscheinlich vorerst nicht an die Macht gelangen.
Überblick über die Pressestimmen in Europa
"Corriere della Sera" (Italien): "Ein dramatischer Tag, an dem die bösartigsten Anschuldigungen Umarmungen ablösten, an dem sich eine Koalition zermalmt hat, die in den vergangenen Monaten von ihren Protagonisten mehr Kälte und Stiche als Übereinstimmung gesehen hat (...). [Die Koalition] zerschellte an der unvermeidlichen Mauer der Regierungskrise, die Menschen gespalten, Gegner angenähert und jeden Versuch, ein gescheitertes Experiment am Leben zu halten, pulverisiert hat."
"Die Presse" (Österreich): "'Italiener zuerst' lautet die schamlos kopierte Erfolgsparole des Mini-Trump aus Mailand. Damit kann man in Zeiten wie diesen in Umfragen punkten und auch Wahlen gewinnen. Doch es wird nicht reichen, um Italien zu regieren. Europas viertgrößte Volkswirtschaft steckt seit Jahren in einer schweren strukturellen Krise. Die Arbeitslosenrate steckt bei zehn Prozent fest, das Bankensystem schwächelt bedenklich, die Fluglinie Alitalia trudelt. Der Staat gibt viermal mehr Geld für Pensionen aus als für Bildung. Reformen sind oft angekündigt, aber selten umgesetzt worden.
Kein anderer EU-Staat außer Griechenland weist einen derart hohen Schuldenstand auf wie Italien. Doch um Defizitregeln mag Salvini sich nicht kümmern. Ihm schwebt ein Ausgabenpaket im Umfang von 50 Milliarden Euro vor. Dieser Mann stellt eine Gefahr für die Eurozone dar. Er glaubt, die EU erpressen zu können, weil Italien zu groß sei, um es fallen lassen zu können."
"Neue Zürcher Zeitung" (Schweiz): "Salvini hat die Koalitionsregierung in Rom zum Einsturz gebracht, es dauerte etwas länger als geplant, aber es gelang. Jedoch wird voraussichtlich nicht sogleich eine neue Wahl anberaumt werden, da hat er sich zumindest vorläufig nicht durchgesetzt. Das Parlament, vor anderthalb Jahren gewählt, ist weiterhin im Amt. Im Schoße dieses Parlaments beginnt jetzt die Suche nach einer neuen Regierungsformel. Solche Verhandlungen gestalten sich in Italien oft langwierig, und der Ausgang ist in diesem Fall höchst ungewiss.(...)
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Salvini hat aber Eile, er will Wahlen möglichst bald, denn die Umfragen stehen derzeit gerade günstig für ihn. 36 Prozent Zustimmung für seine Lega-Partei werden gemeldet, vor Kurzem waren es sogar 38 Prozent. Mit so vielen Stimmen könnte er dank – von der Verfassung gewollten – Verzerrungen im Wahlsystem in beiden Kammern des Parlaments nahe an eine Mehrheit kommen, zusammen mit den Neofaschisten wohl darüber."
"Frankfurter Rundschau" (Deutschland): "Bei seinem vielleicht letzten Tag als Italiens Regierungschef hatte Giuseppe Conte den stärksten Auftritt seiner Amtszeit. Bloß kam seine vernichtende Kritik an Innenminister Matteo Salvini zu spät. Nach der Abrechnung mit Salvini steht fest, dass es keine Neuauflage der alten Regierung mit Conte als Ministerpräsident geben wird. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass Conte als Regierungschef zurückkehrt und eine Koalition der Fünf-Sterne-Bewegung mit dem sozialdemokratischen PD anführt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Salvini bei Neuwahlen einen Erdrutschsieg feiern und danach mit den postfaschistischen Fratelli d'Italia das Land regieren würde, ist hoch. Und ein solches Szenario, das zu einem Italexit führen könnte, wollen weder die Fünf Sterne noch die Linken. Und so kann Conte auf eine zweite Amtszeit hoffen. Doch vorerst heißt der Verlierer Salvini. Er hat sich verkalkuliert: Statt Neuwahlen wird er nun wahrscheinlich eine andere Regierung erhalten – ohne seine Lega."
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"Stuttgarter Zeitung" (Deutschland): "Giuseppe Conte, bis Dienstag Ministerpräsident Italiens, hat in seiner Regierungserklärung mehr als deutlich mit Innenminister Matteo Salvini abgerechnet. Er wolle der 'Anwalt der Italiener' sein, hatte der parteilose Rechtsprofessor vor mehr als einem Jahr versprochen. Dieses Versprechen hält Conte nun, indem er sich gegen den machtversessenen Salvini auflehnt. (...) Contes Rede darf als Bewerbung für eine zweite Amtszeit gesehen werden. Es wäre wohl das Beste, was Italien passieren könnte."
- Nachrichtenagentur dpa