Polit-Showdown in Italien Salvinis riskantes Manöver – Widerstand gegen Neuwahlen wächst

Italiens Innenminister Matteo Salvini hat den Wahlkampf schon eröffnet, bevor das formale Ende der Regierung besiegelt ist. Sein Manöver sorgt aber nicht nur in Rom für Ärger.
In Italien stößt Lega-Chef Matteo Salvini mit seinen Plänen für eine vorgezogene Neuwahl auf wachsenden Widerstand. Das Land wartet nach turbulenten Tagen der Regierungskrise auf den "Showdown". An diesem Montag und Dienstag stehen im Senat und in der Abgeordnetenkammer Treffen der Fraktionsvorsitzenden an, die für die weiteren Schritte auf dem Weg zu einer möglichen Neuwahl entscheidend sind. Der Innenminister und Chef der rechten Lega, Matteo Salvini, der das Regierungsbündnis mit der Fünf-Sterne-Bewegung mit einer Forderung nach schneller Neuwahl in die Krise gestürzt hat, jagte am Wochenende von einem Auftritt zum nächsten. Auch altbekannte Gesichter meldeten sich zurück.
Die Frage, die dieser Tage über allem schwebt, lautet: Kommt es in Italien schon im Oktober zu einer Neuwahl – oder gar erst im kommenden Jahr? Die Weichen für den weiteren Ablauf stellt zunächst das Parlament. Salvini dringt auf eine umgehende Einberufung beider Kammern, um der Regierung des parteilosen Giuseppe Conte das Vertrauen zu entziehen. Die Lega hat im Senat einen Misstrauensantrag gegen die eigene Regierung gestellt. Seine Parlamentarier hat Salvini jedenfalls schon mal für diesen Montag nach Rom bestellt.
Kammerpräsident Roberto Fico von der Fünf-Sterne-Bewegung wies den Lega-Chef zurecht. Die Parlamentspräsidenten seien es, die die Kammern einberiefen. "Niemand anderes", schrieb er am Samstagabend auf Facebook. Die Konferenz der Fraktionsvorsitzenden lege anschließend den Ablauf im Parlament fest. Der Staatspräsident wiederum sei der einzige, der die Kammern auflösen und eine Neuwahl einberufen könne. "Niemand anderes."
Salvini auf Sommertour
Italien ist in Aufruhr nach der plötzlichen Aufkündigung des Regierungsbündnisses. Die Fünf Sterne werfen Salvini Egoismus vor. Der Rechtspopulist, der seit Antritt der Regierung im Juni 2018 als der eigentliche starke Mann in Rom gilt, hat den Wahlkampf mit einer "Sommertour" schon eröffnet, bevor das formale Ende der Regierung besiegelt ist.
Am Wochenende ließ er sich auf Bühnen und am Strand in Süditalien von Anhängern feiern und drehte vor den Kameras der Journalisten eine Runde im Kanu. In den Regionen Basilikata und Kalabrien wurde der Lega-Chef aber nicht nur mit offenen Armen empfangen. Eine Gruppe von Demonstranten stimmte das als antifaschistische Hymne bekannte Lied "Bella Ciao" an. Ein Video zeigt zudem, wie Salvini mit Wasser bespritzt wurde. Bei der Übertragung des abendlichen Auftritts in Soverato war ein Pfeifkonzert deutlich zu hören.
Spekulationen in Rom über Regierungsbildung
In Rom gab es unterdessen Spekulationen über die Bildung einer neuen Regierung. Diese könnte möglicherweise aus einer Koalition von Fünf-Sterne-Bewegung und der Demokratischen Partei (PD) von Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi bestehen.
Renzi plädierte für die Bildung einer Übergangsregierung aus Technokraten, um rasche Neuwahlen in Italien zu verhindern. Der Sozialdemokrat sprach sich am Sonntag im Onlinenetzwerk Facebook sowie in Interviews dafür aus, dass ein breites Spektrum von Parteien eine solche Technokratenregierung unterstützen solle, um das Land vor einem "extremistischen" Kurs zu bewahren.
Sofort wählen zu gehen wäre "wahnwitzig", sagte Renzi der Tageszeitung "Corriere della Sera" (Sonntag). Im Fall einer Neuwahl sollte eine Übergangsregierung das Land zur Wahl führen.
Erste Aufgabe dieser Regierung müsse sein, 23 Milliarden Euro aufzutreiben, um einen Anstieg der Umsatzsteuer zu verhindern. Der jetzige PD-Chef Nicola Zingaretti bremste Renzi allerdings. Er sagte im Fernsehen, er glaube nicht, dass die Vorstellungen von Renzi funktionierten.
In der Regierungskrise schaltete sich nun auch der Mitbegründer der Fünf-Sterne-Bewegung Beppe Grillo ein. "Ich werde mich erheben, um Italien vor den neuen Barbaren zu retten, man kann das Land nicht solchen Menschen überlassen, nur weil sie glauben, dass wir ohne sie nicht überleben werden", schrieb der frühere Kabarettist auf seinem Blog.
Ehemaliger Regierungschef warnt vor Salvini
Auch der frühere italienische Regierungschef Enrico Letta hat sich "sehr besorgt" über das "politische Chaos" in seinem Land geäußert. Der Sozialdemokrat, der von April 2013 bis Februar 2014 Ministerpräsident war, warnte am Sonntag in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP vor allem vor Salvini, der Italien womöglich "aus der EU führen könnte".
Letta sagte, die Regierungskoalition aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung sei von Anfang zum Scheitern verurteilt gewesen. Die Koalition habe "keine Chance" gehabt, weil die beiden Parteien "inkompatibel" seien. Salavini sei ein "großer Opportunist", der jetzt versuche, seinen Nutzen aus der Krise zu ziehen.
Letta, der mittlerweile Dekan der Paris School of International Affairs an der Pariser Elite-Universität Sciences Po ist, geht von Neuwahlen in Italien aus. Eine Regierungsumbildung ohne Salvinis Lega hält er dagegen für unwahrscheinlich. Es sei "sehr kompliziert", "so verschiedene Parteien" wie die Fünf-Sterne-Bewegung und die sozialdemokratische Demokratische Partei (PD) zusammenzubringen, sagte Letta.
Letta warnte auch vor anderen "schrecklichen Konsequenzen" einer Alleinregierung der Lega. Salvinis Einstellungen "gegen Migranten, gegen die Integration und das Zusammenleben" könnten dann zur "Regel" werden. Zudem könne die Lega das Land mit ihrer Wirtschaftspolitik in eine "strukturelle Krise" stürzen.
Umfragehoch für Salvinis Lega
Dagegen scheint sich Salvini nicht zu sperren. Eine Neuwahl würde sein Ministerium organisieren. "Ich klebe nicht am Sessel. Das wichtige ist, dass gewählt wird", zitierte die Zeitung "La Stampa" (Sonntag) Salvini. "Wenn (die Wahl) ein anderer organisiert, wäre ich noch glücklicher. Das bedeutet, dass ich mehr Zeit für den Wahlkampf habe."
Seit Monaten verzeichnet Salvinis Lega ein Umfragehoch. Ein Votum der Fünf-Sterne-Bewegung gegen ein von der Lega unterstütztes Bahnprojekt nahm der Parteichef am Donnerstag zum Anlass, die Koalition aufzukündigen.
- Kommentar zu Italiens Regierungskrise: Avanti Dilettanti!
- ifo-Chef: "Die Gefahr, dass die Eurozone auseinander fällt, ist sehr real"
- Koalition vor dem Aus: Salvini stürzt Italien in die Krise – und will an die Macht
Sobald der Rücktritt der Regierung formalisiert ist, kommt Staatspräsident Sergio Mattarella ins Spiel. Bevor er das Parlament auflöst, dürfte er zunächst sondieren, ob es eine alternative Mehrheit zur Lega und den Fünf Sternen gibt. 60 Tage nach einer Auflösung des Parlaments könnte es dann eine Neuwahl geben. Vor Ende Oktober ist das unwahrscheinlich.
- Nachrichtenagenturen dpa, Reuters und afp