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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Journalist und Verlobte erschossen Dutzende Reporter jagen die Auftraggeber des Doppelmordes
Sie wurden nicht bedroht, sie wurden nicht gewarnt – dann erschossen Auftragskiller vor einem Jahr den Reporter Jan Kuciak und seine Verlobte in ihrem Zuhause. Nun führen Dutzende Reporter seine Arbeit fort.
Es war ein kaltblütiger Auftragsmord, so viel steht fest. Am 21. Februar 2018 wurden der Enthüllungsjournalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova in ihrem Haus im slowakischen Dorf Velka Maca erschossen. Sie waren unbedarft, hatten keine Drohungen erhalten. Sie machten gerade einen Tee, als ihr Mörder in ihr Zuhause eindrang. Seit Wochen hatten er und seine mutmaßlichen Komplizen den Journalisten ausgespäht.
Massendemonstrationen und Rücktritte
Kuciak hatte über Verfilzungen von Politik und zweifelhaften Unternehmern geschrieben. Seine erst nach dem Mord veröffentlichte letzte Reportage über die Verbindungen mutmaßlicher italienischer Mafia-Clans zu slowakischen Regierungspolitikern löste Massendemonstrationen aus, die zum Rücktritt der sozialdemokratischen Regierung führten. Doch Kuciaks Arbeit war unvollendet, die Hintermänner des Mordes sind noch nicht angeklagt.
Dutzende Investigativjournalisten führen seitdem die Recherchen fort. Ein Jahr nach dem Tod Kuciaks und seiner Verlobten hat das "Organized Crime and Corruption Reporting Project" (OCCRP) weitere Reportagen zum Mord und den Hintergründen veröffentlicht. Die Berichte bringen einen reichen slowakischen Geschäftsmann weiter in Bedrängnis und auch die italienische 'Ndrangheta. Wer immer den Reporter Jan Kuciak zum Schweigen bringen wollte – Kugeln konnten sein Vermächtnis nicht auslöschen.
Vier Verdächtige – und mögliche Hintermänner
Inzwischen sitzen wegen des Mordes drei Männer und eine Frau im Gefängnis: der mutmaßliche Mörder Tomas Sz., sein Fahrer Miroslav M., die direkte Auftraggeberin Alena Zs. und ein weiterer Komplize Zoltan A., der offenbar als einziger geständig ist. Er hat laut den Reportern des OCCRP, die die Ermittlungsakten ausgewertet haben, längst den Auftraggeber benannt: Der Unternehmer Marian Kocner habe den Auftrag erteilt, sagte A. demnach aus. Kocners Mitarbeiterin Alena Z. sei nur die Vermittlerin gewesen.
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So ergibt sich ein stimmiges Bild: Kuciak hatte intensiv zu Kocners Geschäften recherchiert und über sie geschrieben. Kocner wiederum hatte Kuciak gedroht, diskreditierende Informationen über ihn und seine Familie zu sammeln. Eine Strafanzeige deswegen wurde von der Polizei liegen gelassen. Derzeit sitzt Kocner wegen Betrugsvorwürfen in Untersuchungshaft. Nach seiner Verhaftung wurde bekannt, dass er tatsächlich über mehrere Journalisten wie auch Politiker vertrauliche Informationen sammelte und sie bespitzeln ließ. Wegen des Mordes wurde er allerdings bislang nicht belangt.
"Der Hauptverdächtige ist Marian Kocner"
Arpad Soltesz, der Leiter des nach dem Ermordeten benannten und zur Fortführung seiner Arbeit gegründeten "Jan-Kuciak-Investigativzentrums", bleibt trotzdem vorsichtig. "Der Hauptverdächtige ist jetzt natürlich Marian Kocner. Wir würden uns nach all diesen Angriffen von seiner Seite auf uns Journalisten geradezu wünschen, dass er der Auftraggeber war. Aber das ist natürlich eine gefährliche Situation, wo wir besonders aufpassen müssen, dass wir nicht jene Fakten übersehen, die ihn entlasten könnten."
Denn es gibt auch noch eine weitere Spur: Kuciak recherchierte auch zur italienischen Mafia 'Ndrangheta in der Slowakei. Über ihre Verbindungen in die Politik stürzte nach seinem Tod die gesamte Regierung. Nun bohren die Investigativ-Journalisten weiter und tiefer – sie nennen Namen und legen die tiefe Verstrickung der Mafia in dem Land offen. Insgesamt befürchten Journalisten weit über die Landesgrenzen hinaus, dass die Politik auf die Ermittlungen Einfluss nimmt.
Verbände beklagen Repressalien
Einigen Politikern gehe es nur darum, ihren Ruf zu schützen, sagte Christian Mihr, der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Hingegen solle die Politik "alles dafür tun, Polizei und Justiz in ihrer unabhängigen Arbeit zu unterstützen und so ein sicheres Umfeld für Journalisten zu schaffen". Beispielsweise habe die Regierungspartei Smer habe einen umstrittenen Gesetzesentwurf eingebracht, nach dem Medien mit hohen Strafzahlungen belegt werden können, wenn sie Politikern, die sich von Berichterstattung in ihrem Ruf oder ihrer Privatsphäre verletzt sehen, keine Möglichkeit für Erwiderungen einräumen.
- Kuciaks letzte Story: Die Mafia, das Model und der Ministerpräsident
- Mord an Kuciak: Millionär soll den Auftrag gegeben haben
- Nach dem Mord: "Drohungen müssen ernst genommen werden"
Peter Bardy, der Chefredakteur von Kuciaks Nachrichtenseite Aktuality.sk, kritisierte den Entwurf als Versuch, "unabhängige Medien zu knebeln und zu bestrafen". Doch die Journalisten, die Kuciaks Arbeit fortführen, lassen sich nicht einschüchtern. Im neuen Bericht des OCCRP enthüllen sie alle Details zum Mord: wie die Killer die Überwachung ausführten, wie sich koordinierten, wie viel Geld sie bekamen. Und die Recherchen laufen weiter.
- OCCRP: "How Ján and Martina Died" (engl.)
- OCCRP: "How the Mafias Came to Slovakia" (engl.)
- mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP