Besuch in Berlin Lawrow für "Renovierung des gemeinsamen europäischen Hauses"
Berlin (dpa) - Vier Jahre nach Beginn der Ukraine-Krise hat der russische Außenminister Sergej Lawrow bei einem Deutschlandbesuch eindringlich für eine Neuausrichtung der Beziehungen zwischen Russland und der EU geworben.
"Wir sollten eine Renovierung des gemeinsamen europäischen Hauses anpacken", sagte er am Freitag in einer Grundsatzrede in Berlin. Er forderte Deutschland auf, in dem Annäherungsprozess eine führende Rolle einzunehmen. "Von der deutschen Position hängt vieles ab. Wir würden es begrüßen, wenn Berlin Initiative ergreifen würde - ohne irgendwelche Vorbedingungen."
Auch Außenminister Heiko Maas, der lange Zeit in seiner eigenen Partei SPD für seinen harten Kurs gegen Russland kritisiert wurde, schlug versöhnliche Töne an. "Differenzen schließen intensive Beziehungen nicht aus", sagte er. "Wir werden nur im Dialog mit Russland zu Ergebnissen kommen." Der offene und aufrichtige Dialog mit Russland sei selten so wichtig gewesen wie heute. Lawrow und Maas beendeten das deutsch-russische Jahr der Städtepartnerschaften und starteten ein zweijähriges Projekt für eine stärkere Hochschulkooperation
Seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland 2014 sind die Beziehungen zwischen der EU und Russland extrem gespannt. Die EU hat mit Wirtschaftssanktionen reagiert. Der Dialog zwischen der Nato und Russland ist auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Beide Seiten haben ihre Truppen in der Nähe der Grenze zwischen Nato-Gebiet und Russland deutlich verstärkt.
"Russland stellt keine Bedrohung dar", sagte Lawrow nun in seiner Rede. Die bisherige "Ideologisierung von Beziehungen" sei "sinnlos und kontraproduktiv" gewesen. "Russland und die Europäische Union sind prädestiniert zusammenzuarbeiten." Gleichzeitig warf der russische Außenminister der EU aber vor, Schuld an der Ukraine-Krise zu sein und sich bei den Sanktionen freiwillig dem "direkten Diktat aus Übersee" zu beugen. Gemeint sind die USA.
Man dürfe sich nicht zu "Geiseln der ukrainische Krise" machen, betonte Lawrow. Er sprach sich dafür aus, die geschlossenen Gesprächskanäle zur Nato und zur EU wieder zu öffnen. Konkretes Entgegenkommen zum Beispiel in der Ukraine-Krise oder in Syrien signalisierte er aber nicht.
Auch Deutschland sucht inzwischen wieder verstärkt Kontakt zu Russland, um bei der Krisenlösung voranzukommen. Maas fordert Lawrow dazu auf sich dafür einzusetzen, dass eine Großoffensive gegen die letzte syrische Rebellenhochburg Idlib ausbleibt. Ein solcher Angriff könne "am Schluss zigtausende Menschen das Leben kosten", sagte er. Russland müsse auch seinen Einfluss auf den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad geltend machen, um einen Einsatz von Chemiewaffen "unter allen Umständen" zu verhindern.
Lawrow wies Vorwürfe zurück, die syrischen Regierungstruppen planten einen Giftgaseinsatz. "Es gibt keinen einzigen Nachweis, dass die Regierung sich auf so etwas vorbereitet", sagte er. Den USA warf Lawrow vor, mit solchen Spekulationen einen Giftgaseinsatz von Rebellengruppen in Idlib zu provozieren. Es sei "de facto eine Einladung an die Extremisten, eine weitere Inszenierung auf die Bühne zu bringen", um damit den Grund für Luftangriffe auf Regierungstruppen zu liefern.
Vergeltungsschläge der USA, Großbritanniens und Russlands für einen Giftgaseinsatz hatte es zuletzt im April gegeben. Die Amerikaner halten es für wahrscheinlich, dass die Truppen Assads bei einer Idlib-Offensive Giftgas einsetzen werden und bereiten sich bereits jetzt auf neue Vergeltungsschläge vor. Sie wollen, dass sich dann auch die Deutschland beteiligt, das bei den letzten Militärschlägen nicht gefragt wurde.
In dem Gebiet um Idlib an der türkischen Grenze sind etwa drei Millionen Einwohner eingeschlossen. Russland gilt als Schutzmacht des syrischen Präsidenten Assad.
Den russischen Forderungen nach schneller Wiederaufbauhilfe für das kriegszerstörte Syrien will Deutschland zunächst nicht nachgeben. Maas bekräftigte, dass es solche Unterstützungsleistungen nur bei einer politischen Lösung geben werde, die am Ende zu freien Wahlen führe.
Auch im Fall Skripal blieben beide Seiten auf Konfrontationskurs. Lawrow warf Großbritannien vor, für die Vorwürfe wegen des Giftanschlags auf den Ex-Agenten Sergej Skripal keinerlei Beweise vorzulegen. Die Regierung in London macht zwei angebliche russische Agenten dafür verantwortlich. Maas sagte zu der britischen Einschätzung: "Wir haben keinen Anlass, an diesen Informationen zu zweifeln."