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Wahl in Ungarn: Wie Viktor Orban die Demokratie geschwächt hat


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Wahl in Ungarn
Wie Viktor Orban die Demokratie schwächt

Von Jonas Schaible

Aktualisiert am 07.04.2018Lesedauer: 6 Min.
Orban bei der Rede zur Lage der Nation in Budapest: Auf dem Podium steht "Für uns, Ungarn zuerst!"Vergrößern des Bildes
Orban bei der Rede zur Lage der Nation in Budapest: Auf dem Podium steht "Für uns, Ungarn zuerst!" (Quelle: Bernadett Szabo/reuters)
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Viktor Orban hat Ungarns Demokratie systematisch geschwächt. Die Wahl am Sonntag wird er wieder gewinnen. Um ihn zu schwächen, müssten seine Gegner einen außergewöhnlichen Schritt machen.

Am südlichen Ende des Freiheitsplatzes in der Hauptstadt Budapest kann man die Veränderung Ungarns sehen. Man könnte sie sogar anfassen, wenn gerade kein Auto auf der schmalen Straße vor dem Denkmal fährt, das vor vier Jahren eingeweiht wurde. Es zeigt das ungarische Volk in Gestalt eines jünglinghaften Engels mit nacktem Oberkörper, auf den ein Adler herabstößt. Ungarn ist hier Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands, das 1944 Ungarn übernahm.

In Wahrheit hatte die Regierung vorher mit Deutschland kollaboriert. Aber diese Wahrheit zählt nicht. Es zählt, was Ungarns Ruhm mehrt.

Premierminister Viktor Orban hat Ungarn in den vergangenen acht Jahren radikal verändert. Mit Präzision und Akribie, ohne Skrupel. Erst hat er das politische System des Landes umgebaut, dann Kultur, Erinnerungspolitik und das Bildungssystem auf rechts gedreht. Er hat den Großteil der Medien hinter sich gebracht und geht jetzt gegen Nichtregierungsorganisationen vor.

Am Sonntag wird er erneut zum Regierungschef gewählt werden – weil immer noch viele hinter ihm stehen und weil seine Gegner eine fast undenkbare Allianz schmieden müssten, um ihn zu schlagen.

Der große Umbau begann mit einem Wahlsieg

Der große Umbau begann vor acht Jahren, im April 2010. Die sozialistische Regierung hatte viel Vertrauen verloren – mit persönlichen Allüren, schlechten Wirtschaftsdaten und massiver Polizeigewalt gegen Demonstranten. Wütend und frustriert stimmte mehr als die Hälfte der Ungarn für Viktor Orban und seinen Fidesz. Weil Fidesz fast alle Direktmandate gewann, reichte das für eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Eine Mehrheit, mit der die Regierung sogar die Verfassung ändern konnte. Orban ging aber noch weiter – er ließ gleich eine ganz neue Verfassung schreiben. In nur einem Jahr. Ohne Abstimmung mit anderen Parteien.

Mit der neuen Verfassung begann der Umbau der ungarischen Demokratie – und der Art, wie der Staat die eigene Geschichte und das eigene Wesen beschreibt. Orban selbst beschreibt sein Ziel offen: eine „illiberale Demokratie“. Er will die Demokratie nicht abschaffen, aber er will Gewaltenteilung, Rechtsbindung und Minderheitenschutz einschränken, um die Nation zu schützen und den angeblichen Mehrheitswillen durchzusetzen.

All das läuft auf drei Ebenen ab.

Umbau der staatlichen Institutionen

Die erste Ebene ist die Sicherung der Macht des Fidesz durch Änderungen am Zusammenspiel der Gewalten. Die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts und der Zentralbank wurden eingeschränkt. Vieles wurde in neu geschaffenen Kardinalgesetzen geregelt – Gesetze, die nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden können. Da Fidesz die größte Partei ist, sind diese Gesetze absehbar kaum zu ändern.

Eines dieser Kardinalgesetze: das neue Wahlrecht. Orban ließ Wahlkreise neu zuschneiden, sodass vor allem seine Partei profitiert. Unter dem neuen Wahlrecht hätte Fidesz auch Wahlen gewonnen, die er unter dem alten System verloren hat.

Nationales Glaubensbekenntnis

Die zweite Ebene ist weniger greifbar – es geht darum, Geschichte und Geschichten zu beeinflussen, das Denken nationaler und christlicher zu machen.

Die Verfassung wurde zum Gründungsmythos eines neuen Ungarn gemacht. Rathäuser in ganz Ungarn sollten sie öffentlich ausstellen. Eine Serie von Gemälden über große Momente aus Ungarns Geschichte zeigt auch die Verabschiedung der Verfassung. Deren Präambel heißt „Nationales Glaubensbekenntnis“. Darin wird die ungarische Nation ethnisch definiert, die besondere Rolle des Christentums betont. Heute ist das Glaubensbekenntnis Schulstoff.

Gegen „krankhafte liberale Hegemonie“

Plätze und Straßen wurden umbenannt, der frühere Diktator Miklos Horthy, der Ungarn von 1920 bis 1944 regierte, kam wieder zu Ehren. Fidesz ließ Statuen errichten, gründete das Institut „Veritas“ (Wahrheit), das die kommunistische Geschichte Ungarns neu schreiben soll, und setzte Vertrauensleute in Theater und Museen. Besonders kontrovers war die Ernennung von Istvan Csurka, Parteichef der rechtsextremen MIEP, und György Dörner zu Intendanten des Neuen Theaters. Dörner sagte, das Theater sei „national verpflichtet“ und wollte mit der „krankhaften liberalen Hegemonie“ aufräumen. Ungarische Autoren sollten Vorrang bekommen.

Eine besondere Gelegenheit, das Land auf seine nationale Identität einzuschwören, bot die Zuwanderung von hunderttausenden Flüchtlingen in den Jahren 2014 bis 2016. Viele kamen über Serbien nach Ungarn, wollten von dort weiter nach Westen. Orban nutzte die Situation, um sich als Bewahrer des christlichen Ungarntums zu inszenieren. Er ließ einen Grenzzaun bauen und weigerte sich, Flüchtlinge aus anderen europäischen Ländern aufzunehmen – selbst dann noch, als der EuGH urteilte, er verstoße damit gegen geltendes EU-Recht.

Kampagne baut auf Ablehnung von Fremden

Orban, der Flüchtlinge als „Invasoren“ bezeichnet, sagt: „Wir haben niemanden zu uns eingeladen, wir wollen kein Einwanderungsland werden.“ Ungarn soll ungarisch bleiben, christlich, weiß, traditionell. Janos Lazar, Orbans Kabinettschef und rechte Hand, veröffentlichte kürzlich ein Video, in dem er Wien als Höllenschlund beschreibt. Alles sei schmutzig und gefährlich: „Immigranten haben die Kontrolle übernommen.“

Auch seine aktuelle Wahlkampagne baut vor allem auf die Ablehnung von Einwanderern. Dazu inszeniert die Regierung den ungarischstämmigen jüdischen US-Milliardär George Soros als Feind, der angeblich mit einem „Soros-Plan“ Millionen Flüchtlinge ins Land holen wolle, um Ungarn, das Christentum und das Abendland zu zerstören. Soros fördert Nichtregierungsorganisationen in vielen Ländern.

Die Vorwürfe sind erfunden, Soros hat lediglich öffentlich erklärt, wie die EU seiner Ansicht nach mit den Flüchtlingen umgehen sollte und für einen koordinierten Plan plädiert. Aber die Regierung schickte solche Behauptungen trotzdem in einem Fragebogen heraus, um zu erfahren, ob die Menschen diesen angeblichen „Soros-Plan“ befürworteten oder ablehnten.

Auf dem Land fehlen kritische Zeitungen

Die dritte Ebene, auf der Orban seine Macht festigt, ist das Vorgehen gegen nicht-staatliche Institutionen, die Kritik üben könnten. Der staatliche Rundfunk wurde umorganisiert. Medien stehen unter der Aufsicht einer neuen Behörde. Das oppositionelle Klubradio bekam erst nach langem Kampf und internationaler Kritik eine neue Sendefrequenz. Beinahe alle Regionalzeitungen sind heute in der Hand von Unternehmern, die dem Fidesz nahestehen.

Vor einem Jahr kündigte sie ein neues Hochschulgesetz an, das die Schließung der Central European University (CEU) zur Folge haben könnte. Die CEU gilt als eine der besten Hochschulen des Landes – aber auch als liberal und europafreundlich. Und sie wurde von George Soros gegründet.

Nichtregierungsorganisationen im Visier

Zuletzt verschärfte die Regierung seine Maßnahmen gegen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Der Vorwurf: Sie dienten ausländischen Interessen. Schon vor vier Jahren gingen Ermittlungsbehörden gegen NGOs vor, die über EU-Töpfe Geld der norwegischen Regierung bekommen. Seit dem vergangenen Sommer zwingt ein Gesetz alle Organisationen, die eine gewisse Summe aus dem Ausland bekommen, sich registrieren zu lassen. Ein geplantes Gesetz richtet sich gegen alle NGOs, die in irgendeiner Form Einwanderern helfen, zum Beispiel durch Rechtsberatung. Es heißt: „Stop Soros“.

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Laszlo Csizmadia steht dem „Nationalen Kooperationsfonds“ vor und ist damit hauptverantwortlich für die Verteilung von Geldern an die Zivilgesellschaft. Er findet, die sei dazu da, der Regierungspartei zu helfen.

Orban ist immer noch populär

Internationale Beobachter halten diese Entwicklungen für gefährlich. Die Bertelsmann-Stiftung, die einen der weltweit anerkanntesten Demokratie-Indizes veröffentlicht, bewertet Ungarn mittlerweile als „defekte Demokratie“.

Trotzdem ist Fidesz populär. In Umfragen liegt Orbans Partei bei rund 50 Prozent. Die Frage ist nicht, ob sie die Wahl gewinnt, sondern nur, ob es wieder für eine verfassungsändernde Mehrheit reicht.

Unter Orban hat sich Ungarn wirtschaftlich ordentlich entwickelt. Zuletzt wuchs das Bruttoinlandsprodukt um zwei bis vier Prozent. Die Löhne sind gestiegen. Die Arbeitslosenquote ist deutlich zurückgegangen – unter anderem, weil die Regierung Arbeitslose zu kommunaler Arbeit verpflichtet. Dafür zahlt sie einen Lohn, der aber weit unter dem Mindestlohn liegt. Gleichzeitig haben hunderttausende Ungarn das Land verlassen, darunter viele Hochschulabsolventen. Rund vier Prozent der Wirtschaftskraft machen zudem EU-Fördergelder aus – von denen viele versickern.

Enge Vertraute von Orban erhalten überdurchschnittlich viele EU-Fördergelder. In Orbans Heimatort Felcsut, in dem gerade einmal 1.700 Menschen leben, wurden ein Fußballstadion für 3.500 Menschen und eine Fußballakademie gebaut. Und erst diese Woche enthüllten Medien, dass die Regierung drei bis vier Milliarden Euro an EU-Geldern unterschlagen und auf Konten ins Ausland verschoben habe. Das ärgert auch Fidesz-Anhänger, aber der große Aufschrei blieb bisher aus.

Orbans Attacken auf Soros kommen an

Auch Orbans offen antisemitische Attacken auf George Soros und seine Kampagne gegen Muslime kommen überwiegend gut an. Antisemitismus ist weit verbreitet, und in kaum einem Land klaffen Wahrnehmung und Realität so weit auseinander, wenn es um Muslime geht. In einer Umfrage schätzen Ungarn, Muslime stellten sechs Prozent der Bevölkerung – in Wahrheit sind es zwischen 0,1 und 0,4 Prozent.

Neben der unverändert hohen Zustimmung, seiner Kampagne gegen Ausländer und dem Wahlgesetz hilft Orban vor allem eines: der Zustand der Opposition.

Die linken Oppositionsparteien sind zersplittert, ehemals erfolgreiche Parteien haben sich gespalten. Politiker, die so unbeliebt sind, dass sie einst Fidesz zum Aufstieg verholfen haben, treten nicht ab. Und die größte Oppositionspartei Jobbik war seit ihrer Gründung offen neo-faschistisch. Erst seit Kurzem versucht sie, sich moderater zu geben.

Die Opposition kann kaum zusammenfinden

Um Orban zu schlagen, müssten die zerstrittenen linken Parteien und die extrem rechte Partei aber zusammenarbeiten und sich in den Wahlkreisen auf den jeweils aussichtsreichsten Kandidaten einigen. So haben sie kürzlich erst Fidesz ein Rathaus in einer Hochburg abgejagt.

Doch für viele Linke ist das undenkbar: Sie wollen untereinander nicht kooperieren und erst recht nicht mit Jobbik. Sie fragen, wie moderat eine Partei sein kann, die vor einigen Jahren noch ein Judenregister forderte. Was wäre gewonnen, würde man mit ihr gemeinsam Orban schwächen?

Nur in einigen Wahlkreisen ziehen deshalb Kandidaten zurück. Um Orbans Sieg zu verhindern, wird das aller Voraussicht nach nicht reichen. Der Umbau Ungarns kann weitergehen.

Verwendete Quellen
  • Länderbericht der "Bertelsmann Stiftung" (ausführlich)
  • Bericht in der "New York Times" über Orbans Politik (Englisch)
  • Bericht in der "New York Times" über die Wahlrechtsreform (Englisch)
  • Bericht in der "New York Times" über die wirtschaftliche Lage (Englisch)
  • Bericht in "Capital" über die Proteste gegen das Hochschulgesetz und Orbans Strategie
  • Porträt Orbans der "BBC" (Englisch)
  • Bericht im "ORF" über Geldwäschevorwürfe gegen die Regierung
  • Bericht von "Reuters" über den Islam in Ungarn (Englisch)
  • Bericht von "Reuters" über Medienpolitik (Englisch); dazu auch "Die Zeit"
  • Dossier in "Bayern 2" über Ungarn vor der Wahl (Audio)
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