Fakten zur Regionalwahl Katalonien wählt, Madrid und Europa zittern
Katalonien wählt ein neues Regionalparlament. Damit startet eine neue Runde im Kampf um die Unabhängigkeit von Madrid. Warum die Wahl auch für Europa wichtig wird.
Warum sind in der spanischen Region Katalonien Neuwahlen angesetzt?
Der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont hat nach einem erfolgreichen Referendum am 27. Oktober 2017 die Unabhängigkeit der Region rund um die Wirtschaftsmetropole Barcelona von Spanien erklärt. Die konservative Zentralregierung von Premier Manuel Rajoy in Madrid lehnte diesen Schritt als illegal ab. Mit Verweis auf Artikel 155 der spanischen Verfassung und die Einheit des Landes setzte sie Puigdemont und sein Kabinett ab. Zugleich rief sie Neuwahlen für den 21. Dezember aus und erwirkte einen Haftbefehl gegen Puigdemont und seine Mitstreiter wegen Rebellion. Der abgesetzte Ministerpräsident wich daraufhin nach Belgien aus. Brisant: Belgien hatte als Teil der Spanischen Niederlande im 17. Jahrhundert für seine Unabhängigkeit von Madrid gekämpft.
Was soll die Abstimmung bringen?
Die konservative Zentralregierung in Madrid hofft auf eine pro-spanische Regionalregierung und ein Ende des Konflikts. Andere sehen in der Wahl ein zweites Referendum für die Unabhängigkeit. Der Ausgang der Abstimmung ist offen. In jüngsten Umfragen lag die bürgerlich-liberale Partei Ciudadanos (Bürger) mit der jungen klugen Spitzenkandidatin Ines Arrimadas führt in den Umfragen mit 23,3 Prozent vorn. Arrimados, in Andalusien geboren, lehnt eine Unabhängigkeit ab. Die separatistischen Parteien ERC (22,2 Prozent) und Junts per Catalonia des abgesetzten Premier Carles Puigdemont (17,7 Prozent) verfehlen eine gemeinsame Mehrheit knapp. „Vorherzusagen, wie die Abstimmung ausgeht, ist so unsicher wie eine Münze zu werfen“, notierte die Madrider Zeitung El Pais. Der Wahltag wird also spannend.
Warum ist die Wahl so wichtig für Madrid und die Europäische Union?
Ein Sieg der Befürworter der Unabhängigkeit würde als zweites Votum für ein eigenständiges Katalonien gewertet und Spanien und die Europäische Union in eine Krise stürzen. Spaniens wirtschaftlicher Erfolg ist zentral für die Überwindung der Eurokrise in ganz Europa. Ein unabhängiges Katalonien könnte zudem zu Nachahmereffekten in anderen EU-Staaten führen. In Belgien strebt Flandern um die reiche Hafenstadt Antwerpen nach mehr Unabhängigkeit, in Italien die Region Venetien. In Großbritannien scheiterte 2014 ein Referendum zur Unabhängigkeit des mit Ölreichtum gesegneten Schottland.
Worin liegen die Wurzeln des Konflikts zwischen Katalonien und Madrid?
Katalonien wurde 1714 von der spanischen Krone unterworfen. Die Region beharrt aber auf ihre Eigenständigkeit. Nicht nur sprachlich. Schon 1898 gab es einen ersten Höhepunkt der Unabhängigkeitsbewegung. Spanien hatte nach einem Krieg mit den USA Kuba und damit seine letzte Kolonie verloren. Die schwächelnde Krone in Madrid stürzte in eine innenpolitische Krise. Die Hafenstadt Barcelona, die unter dem wegbrechenden Handel mit den Überseekolonien besonders zu leiden hatte, strebte nach Freiheit.
Später im spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) pochte Katalonien auf Demokratie gegen die faschistischen Truppen von General Franco. Kurzzeitig war es 1931 sogar zur Ausrufung einer katalanischen Republik innerhalb einer Iberischen Föderation gekommen.
Das alles schwang mit, als Spanien 1978 zur Demokratie zurückkehrte und den Regionen Katalonien und Baskenland mehr Autonomie zusicherte. Der sozialistische katalanische Premier Pasqual Maragall konnte dann 2006 eine weitrechende Autonomie für die Region erreichen. Kleine Anmerkung am Rande. Noch heute rufen die Fans des FC Barcelona in Anspielung an die Niederlage von 1714 bei Heimspielen nach 17 Minuten und 14 Sekunden: Independencia – Unabhängigkeit.
Warum strebt die Region gerade jetzt nach Unabhängigkeit?
Die Eurokrise stürzte Spanien in heftige wirtschaftliche Turbulenzen. Das bringt auch die Solidarität ins Wanken. Es wird geschätzt, dass die Wirtschaftsmetropole Barcelona rund 16 Milliarden Euro in die ärmeren Regionen Spaniens überweist. Die Krise lockert alte Loyalitäten.
Was macht Carles Puigdemont?
Der abgesetzte Regierungschef tritt als Spitzenkandidat seiner Partei an. Puigdemont hält sich derzeit aber auf mehr oder minder direkte Einladung der flämischen Regionalisten in Belgien auf. Der Haftbefehl gegen ihn in der Heimat wurde vom obersten spanischen Gericht inzwischen ausgesetzt, Belgiens Justiz hat das spanische Auslieferungsgesuch daher verworfen. Im Fall seiner Wahl will Puigdemont nach Barcelona zurückkehren. Zuletzt zeigte er sich am Sonntag in einer Bar in Brüssel bei der Übertragung eines Spiels des katalanischen Fußballclubs Girona.
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Was unternimmt die Europäische Union?
Sie lehnte eine Vermittlung im Streit zwischen Katalonien und der Zentralregierung in Madrid ab. Auch stellte sie klar, dass ein unabhängiges Katalonien einen neuen Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellen müsste. Der Erfolg wäre gering, weil Spanien und sein konservativer Premier Rajoy eine Aufnahme in die EU blockieren könnte.
Warum ist die EU so zögerlich?
Sie fürchtet Nachahmer in anderen EU-Staaten. Dabei schafft ausgerechnet die EU die Voraussetzungen für den neuen Regionalismus. Bart De Wever, Bürgermeister der belgischen Hafenstadt Antwerpen und Vorsitzender der Separatistenpartei N-VA, die für ein freies Flandern kämpft , spricht von Glokalisierung, einem neuen Wort aus Globalisierung und Lokalisierung. Die EU kümmert sich um die großen Dinge wie Handelsverträge, Außenpolitik und Verteidigung. Die Region macht sich fein fürs kleine: Steuer- und Schulpolitik, das sichert über die Finanzpolitik das Geld für die Region und die Pflege der heimischen Regionalsprache in den Klassenzimmern.
Wie könnte ein regionalistisches Europa nach dem Zeitalter des Nationalstaats überhaupt aussehen?
Darüber hat sich die renommierte Politologin Ulrike Guérot von der Universität Krems in Österreich Gedanken gemacht. „Warum Europa eine Republik werden muss“, lautet der Titel ihres 2016 erschienen Buchs. Ihr Modell eines Europa der Regionen. Europa bestünde aus fünfzig gleichgroßen Regionen wie Flandern, Venetien oder Katalonien, diese entsenden je zwei Senatoren ein einen europäischen Senat. Daneben gäbe es als zweite Kammer ein Europäisches Parlament. An der Spitze der EU stünde ein direkt gewählter EU-Präsident. Unregierbar? Klappt in den USA doch auch. Schon 1985 prognostizierte der renommierte Historiker Eric Hobsbawm das Ende des Nationalstaats. Die kommende Welt werde „über- und unternational sein“, sagte Hobsbawm voraus. Das klingt ganz nach dem flämischen Spaltpilz Bart De Wever.
Wie lauten die Chancen auf eine Lösung in dem verfahrenen Konflikt in Spanien?
Die Debatte um die Unabhängigkeit spaltet in Katalonien Vereine, Familien und Freundeskreise: „Es sind keine Parallelwelten mehr. Sondern Welten, die sich voneinander entfernen, immer weiter und einander immer unverständlicher“, notierte ein Kommentator in der (pro-spanischen) Madrider Zeitung El Pais. Die Historikerin Birgit Aschmann von der Humboldt-Universität in Berlin bilanzierte in einer Analyse in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung versöhnlicher: „Mit einer hochemotionalen Rhetorik haben sowohl die spanischen Konservativen als auch die katalanischen Nationalisten zur Verhärtung der Fronten beigetragen. Angesichts dieser auch in den Wahlen zum Ausdruck gekommenen Pattsituation bleibt jetzt vor allem die Hoffnung auf den „seny“, den gesunden Menschenverstand, und den Gemeinsinn. Beide werden gerne als Wesensmerkmale der Katalanen bezeichnet.“