Amtssitz gestürmt Bangladesch: Regierungschefin flieht vor Demonstranten
Bei den gewaltsamen Zusammenstößen in Bangladesch sind mindestens 300 Menschen getötet worden. Nun haben Demonstranten offenbar den Regierungssitz gestürmt.
Nach wochenlangen Massenprotesten ist Bangladeschs Regierungschefin Scheich Hasina nach Angaben der Armee des Landes zurückgetreten. Es werde nun eine "Übergangsregierung" gebildet, kündigte am Montag Armeechef Waker-Uz-Zaman in einer im staatlichen Fernsehen übertragenen Rede an die Nation an. Zuvor hatten Demonstranten den Amtssitz von Hasina gestürmt, die ihrerseits nach Angaben aus ihrem Umfeld mit dem Hubschrauber aus Dhaka geflohen war.
Auf Fernsehbildern war am Montag zu sehen, wie tausende Menschen in den Regierungspalast in der Hauptstadt Dhaka eindringen. Mehreren Medienberichten zufolge floh Hasina nach Indien und trat von ihrem Amt zurück. Scheich Hasina soll sich an einen "sichereren Ort" begeben haben, wie eine der Politikerin nahestehende Quelle der Nachrichtenagentur AFP sagte. Aus Regierungskreisen verlautete, dass Hasina und ihre Schwester in Sicherheit gebracht worden seien.
Die Lage im Land sei explosiv, sagte Justizminister Anisul Huq zu Reuters. Er wisse nicht, was noch geschehe.
Beobachter fürchten noch mehr Gewalt
Beobachter befürchteten, dass die Gewalt am Montag noch die Ausschreitungen von Sonntag überschreiten könnte. Das Internet wurde am Morgen nach Betreiber-Angaben weitgehend abgeschaltet, Büros sowie mehr als 3.500 für die Wirtschaft des Landes immens wichtige Textilfabriken blieben geschlossen.
"Da (...) ein Massenmarsch nach Dhaka geplant ist und die Jugendorganisation der Regierungspartei zu Aktionen gegen die Demonstranten aufgerufen hat, bin ich zutiefst besorgt, dass es weitere Todesopfer und größere Zerstörungen geben wird", erklärte UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk. "Die schockierende Gewalt in Bangladesch muss aufhören." Zugleich appellierte er "eindringlich an die politische Führung und die Sicherheitskräfte, ihren Verpflichtungen zum Schutz des Lebens sowie der Freiheit friedlicher Versammlungen und Meinungsäußerungen nachzukommen".
Mindestens 300 Tote
Trotz einer Ausgangssperre hatten Studenten für Montag zu einem Marsch auf die Hauptstadt Dhaka aufgerufen, um den Druck auf Hasina für einen Rücktritt zu erhöhen. Daraufhin patrouillierte ein riesiges Aufgebot an Sicherheitskräften.
Bei den gewaltsamen Zusammenstößen bei regierungskritischen Protesten in Bangladesch wurden bislang mindestens 300 Menschen getötet. Dies ergab sich am Montag aus der Nachrichtenagentur AFP vorliegenden offiziellen Zahlen von Polizei, Regierung und Krankenhäusern. Allein am Sonntag wurden demnach 94 Menschen getötet. Landesweit waren Hunderttausende Regierungsgegner und -anhänger auf die Straße gegangen und hatten sich gegenseitig mit Messern, Stöcken und Knüppeln angegriffen. Zudem schossen Sicherheitskräfte mit Gewehren in die Menge.
Kritik an Hasinas Regierung wegen Machtmissbrauch
Ursprünglich gingen die Demonstranten gegen eine Quotenregelung für die Vergabe von Jobs im öffentlichen Dienst auf die Straße, die ihren Angaben zufolge Unterstützer von Hasina bevorzugte. Inzwischen haben die Demonstrationen den Rücktritt der seit 2009 amtierenden Regierungschefin und ihres Kabinetts zum Ziel. Das scheint nun erreicht zu sein.
Der Protestbewegung haben sich mittlerweile Menschen aus allen Bevölkerungsschichten angeschlossen, unter anderem Filmstars, bekannte Musiker und ehemalige Generäle haben ihre Unterstützung ausgedrückt. Auch 47 Firmen der für die Wirtschaft des Landes wichtigen Textilbranche haben sich mit den Demonstrierenden solidarisiert. Offen ist bislang, ob die Armee die Protestierenden unterstützen wird – oder weiterhin zu Hasina steht.
Die 76-jährige Regierungschefin war im Januar in einer von einem großen Teil der Opposition boykottierten Wahl im Amt bestätigt worden. Ihrer Regierung werden unter anderem der Missbrauch staatlicher Institutionen zum eigenen Machterhalt und die Unterdrückung von Regierungskritikern vorgeworfen – bis hin zur außergerichtlichen Tötung Oppositioneller.
- Nachrichtenagentur AFP