Russischer Angriffskrieg Kiew hofft nach Attacke auf Hilfe - Druck im Sicherheitsrat
Nach dem Raketentreffer auf eine Kinderklinik in der Ukraine herrscht Fassungslosigkeit. Vor dem Weltsicherheitsrat sendet auch China eine Botschaft an Russland.
Die Ukraine hofft nach dem folgenschwersten russischen Luftangriff auf Kiew in diesem Jahr auf mehr internationale Unterstützung. "Wir arbeiten weiter am Schutz unserer Städte und Gemeinschaften vor dem russischen Terror", schrieb Präsident Wolodymyr Selenskyj im sozialen Netzwerk X. Er danke allen ausländischen Politikern, die nach dem verheerenden Angriff unter anderem auf eine Kinderklinik in Kiew neue Schritte zum Schutz der Ukraine vorbereiteten. Die Unterstützung Kiews ist auch Thema beim dreitägigen Nato-Gipfel in Washington, zu dem Selenskyj am Dienstag (Ortszeit) eintraf.
In einer Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrates in New York zu den Angriffen bekam Moskau neben Kritik des Westens auch ein Signal aus China: Die Kämpfe hätten sich in letzter Zeit leider nicht beruhigt, "sondern verschärft und es kam von Zeit zu Zeit zu brutalen Angriffen, die viele Opfer forderten. China ist darüber zutiefst beunruhigt", sagte der stellvertretende Botschafter, Geng Shuang. Peking äußerte sich dabei aber gewohnt vorsichtig und stellte seinen Partner Moskau nicht direkt an den Pranger.
Scharfe Kritik in New York
Die USA dagegen hielten sich mit einer scharfen Verurteilung der Angriffe mit Dutzenden Todesopfern nicht zurück. Es sei "grausam", dass Russland eine Kinderklinik bombardiert habe. Die britische Botschafterin Barbara Woodward fügte hinzu, Moskaus Verhalten sei "eine Schande für den Sicherheitsrat". Frankreichs Vertreter Nicolas de Rivière sprach von einem "weiteren Eintrag und eine Liste von Kriegsverbrechen", für die Russland zur Verantwortung gezogen werden müsse.
Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja wiederholte die Version des Kremls, dass der russische Angriff einer Fabrik in der Nähe des Krankenhauses gegolten habe. Dabei sei eine verirrte ukrainische Flugabwehrrakete in der Folge in die Klinik eingeschlagen. Das UN-Menschenrechtsbüro hatte in einer vorläufigen Einschätzung jedoch mitgeteilt, das Gebäude sei von einer russischen Rakete des Typs Kh-101 (Ch-101) direkt getroffen worden.
UN: Angriffe auf Krankenhäuser sind Kriegsverbrechen
Die Vereinten Nationen rückten den Luftangriff derweil in die Nähe eines Kriegsverbrechens. "Ich möchte diesen Rat daran erinnern, dass Krankenhäuser nach dem humanitären Völkerrecht besonderen Schutz genießen. Vorsätzliche Angriffe auf ein geschütztes Krankenhaus sind ein Kriegsverbrechen und die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden", sagte Joyce Msuya, die amtierende Chefin des UN-Nothilfebüros Ocha. Weil Russland im Weltsicherheitsrat Vetorecht besitzt, ist ein Vorgehen des mächtigsten UN-Gremiums gegen Moskaus Aggression ausgeschlossen.
Die Zahl der Toten in der ukrainischen Hauptstadt durch den Angriff vom Montagvormittag stieg nach letzter Zählung auf 31. Dazu habe es 117 Verletzte gegeben. Ähnlich schwer mit mindestens 32 Toten war Kiew zuletzt kurz vor dem Jahreswechsel getroffen worden. Landesweit hatte die Ukraine durch die jüngste Angriffswelle mindestens 42 Tote und 190 Verletzte zu beklagen.
In Kiew war für Dienstag ein Trauertag angesetzt. An dem großen Kinderkrankenhaus Ochmatdyt (Schutz von Mutter und Kind) mit seiner völlig zerstörten Fassade wurden nach über 24 Stunden die Rettungsarbeiten eingestellt. Hunderte Retter, Mediziner und Freiwillige hatten bis zur Erschöpfung in den Trümmern nach Opfern gesucht. Am Montag saßen gerettete krebskranke Kinder an Infusionsgeräten auf dem Schoß ihrer Mütter auf der Straße. In der Klinik wurden zwei Erwachsene getötet, darunter eine Ärztin.
Moskau widerspricht Version eines Treffers
Die Ukraine geht von einem gezielten Angriff aus. Kremlsprecher Dmitri Peskow beteuerte dagegen: "Wir verüben keine Schläge gegen zivile Ziele. Schläge gibt es nur gegen Objekte der kritischen Infrastruktur oder militärische Ziele", sagte er der Agentur Tass zufolge.
Russland hatte am Montag Kiew, Krywyj Rih, Dnipro und andere Städte mit knapp 40 Raketen und Marschflugkörpern beschossen. Alle 600 in der Klinik stationär behandelten Kinder seien in andere Gesundheitseinrichtungen gebracht worden. Das Krankenhaus, in dem viele Kinder mit Krebs und anderen schweren Krankheiten behandelt wurden, sei schwer beschädigt worden und könne ohne erhebliche Reparaturen nicht mehr genutzt werden.
In einem zerstörten Wohnhaus in der Nähe der Kiewer Klinik wurden durch den Luftangriff sieben Menschen getötet, darunter drei Kinder. Ein Junge wurde dort in der Nacht tot geborgen. Zwei Menschen starben in einer nicht näher bezeichneten Industrieanlage. Inoffizielle Berichte gehen von Angriffen auf ein Rüstungsunternehmen aus. In einem weiteren teilweise zerstörten Krankenhaus kamen neun Menschen ums Leben, in einem Geschäftszentrum sieben Menschen.
Ukraine schickt Schwärme von Kampfdrohnen nach Russland
Die Ukraine reagierte mit verstärkten Drohnenangriffen auf den schweren russischen Raketenbeschuss. Ganze Drohnenschwärme erreichten Gebiete in Russland. Ein Tanklager des Ölkonzerns Lukoil im Gebiet Wolgograd wurde dadurch in Brand gesetzt. Gebietsgouverneur Andrej Botscharow machte dafür Trümmer abgeschossener Drohnen verantwortlich. Diese seien auf das Lager in der Stadt Kalatsch am Don gefallen.
Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, in der Nacht zum Dienstag seien 38 ukrainische Kampfdrohnen über den Gebieten Belgorod, Kursk, Woronesch, Rostow und Astrachan abgefangen worden. Auf den Verkehrsflughäfen von Wolgograd und Astrachan konnten vorübergehend keine Flugzeuge starten oder landen.
Die Ukraine verteidigt sich seit zwei Jahren gegen eine russische Invasion. Weil ihr schwere Distanzwaffen fehlen, versucht sie diesen Mangel durch gezielte Drohnenangriffe wettzumachen. Die angerichteten Schäden stehen aber in keinem Verhältnis zu den verheerenden Folgen russischer Bombardements auf die Ukraine.
Scholz sagt der Ukraine Unterstützung zu
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte der Ukraine erneut langfristige Unterstützung gegen den russischen Angriffskrieg zu. "Und es ist gut, dass wir das in den letzten Tagen noch einmal verstärkt haben mit einer ganz klaren Botschaft: Wir werden der Ukraine so lange beistehen, wie das erforderlich ist", sagte Scholz in Berlin vor seiner Abreise zum Nato-Gipfel. Er verwies auf Waffenlieferungen und die gemeinsame Initiative der wichtigsten Industriestaaten. Die G7-Staaten hatten sich bei ihrem Gipfel in Italien darauf verständigt, mit Hilfe von Zinsen aus eingefrorenem russischen Staatsvermögen ein Kreditpaket im Umfang von etwa 50 Milliarden US-Dollar (etwa 47 Mrd. Euro) zu finanzieren.
- Nachrichtenagentur dpa