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Nach Wahlschlappe in Großbritannien: Konservative sind am Ende


Parlamentswahl in Großbritannien
"Sie sind sehr laut und aggressiv"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

05.07.2024Lesedauer: 4 Min.
Interview
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BRITAIN-ELECTION/POPULISMVergrößern des Bildes
Nigel Farage: Der Rechtspopulist ist erstmals in das britische Parlament eingezogen. (Quelle: Clodagh Kilcoyne/reuters)

Nach dem Erdrutschsieg der Labour-Partei wartet auf Keir Starmer eine Menge Arbeit. Gleichzeitig wird bei den Tories der Richtungsstreit noch stärker geführt werden, glaubt Historikerin Helene von Bismarck.

Rishi Sunak konnte seinem Gegner nur noch gratulieren. "Die Labour-Partei hat diese Parlamentswahl gewonnen, und ich habe Sir Keir Starmer angerufen, um ihm zu seinem Sieg zu gratulieren", sagte der britische Premier, nachdem seine konservativen Tories bei der Parlamentswahl eine krachende Niederlage kassiert hatten.

Das Ergebnis kommt einer Abrechnung für die Partei gleich, die Großbritannien 14 Jahre lang regiert hat. Die Historikerin und Publizistin Helene von Bismarck will den Erfolg von Labour allerdings nicht herunterspielen. Im Interview mit t-online spricht von Bismarck darüber, vor welchen Herausforderungen die neue Regierung steht, welche Fragen sich die Konservativen jetzt stellen und was der Erfolg der Rechtspopulisten von Nigel Farage bedeutet.

t-online: Frau von Bismarck, die Wahl in Großbritannien ist deutlich ausgefallen: Ist dieses Ergebnis ein Sieg für Labour oder doch eher eine Art Abrechnung der Briten mit den Tories?

Helene von Bismarck: Es ist beides, aber doch in erster Linie eine Abrechnung. Die Konservativen haben in Gebieten verloren, die seit Jahrzehnten in ihrer Hand waren. Auch die ehemalige Premierministerin Liz Truss konnte nicht wieder ins Parlament einziehen. Es ist also eine wirklich niederschmetternde Niederlage. Trotzdem will ich nicht den Erfolg von Labour kleinreden. Vor fünf Jahren wäre es absolut undenkbar gewesen, wie sich die Partei inhaltlich heute präsentiert.

Der damalige Parteichef Jeremy Corbyn hatte die Partei weit nach links gerückt und mit zahlreichen Antisemitismus-Skandalen zu kämpfen.

Sein Ergebnis war 2019 miserabel. Keir Starmer hat Labour inhaltlich komplett neu aufgestellt und zurück in die Mitte geführt. Manchen Wählern geht das fast schon zu weit. Aber sie haben jetzt eine deutliche Mehrheit eingefahren. Das ist schon bemerkenswert, es gibt aber noch weitere spannende Entwicklungen.

(Quelle: privat)

Zur Person

Helene von Bismarck ist Historikerin und Publizistin mit dem Schwerpunkt Großbritannien. Sie ist Senior Associate Fellow am Royal United Servies Institute in London.

Ein Gewinner ist auch die rechtspopulistische Partei Reform UK von Nigel Farage.

Auf diesen Erfolg konzentrieren sich jetzt viele. David Cameron wollte 2016 mit dem Brexit-Votum Leute wie Farage kleinhalten. Auch in dieser Wahl sehen wir: Diese Strategie ist komplett gescheitert. Über den EU-Ausstieg haben beide großen Parteien im Wahlkampf kaum geredet. Dabei wünschen sich 75 Prozent der Labour-Wähler ein engeres Verhältnis zur EU. Bei kleineren Parteien war das anders: Die Liberalen Demokraten, die einen sehr pro-europäischen Wahlkampf geführt haben, sind jetzt drittstärkste Kraft im Unterhaus. Auch die Grünen haben dazugewonnen. Bemerkenswert ist auch, dass die schottischen Nationalisten massiv an Labour verloren haben. Dadurch ist aktuell nicht mehr davon auszugehen, dass Großbritannien auseinanderbricht und die Schotten ein neues Referendum anstreben werden.

Viele Beobachter glauben, dass die Partei von Farage erst am Anfang steht und deutlich größer werden kann.

Die entscheidende Frage ist nicht, ob die Partei wächst, sondern welchen Einfluss sie auf die Tories haben wird. Im Moment sind sie noch sehr unorganisiert, aber auch sehr laut und aggressiv. Wenn die Abgeordneten jetzt mit den Problemen in ihren Wahlkreisen konfrontiert sind, wird sich schnell zeigen, ob sie die auch lösen können.

Der Brexit ist wohl der zentrale Fehler, den die Tories in den vergangenen 14 Jahren begangen haben. Starmer will allerdings nicht zurück in die EU. Warum traut sich die Partei nicht mehr zu?

Der Fokus von Labour lag bis heute Morgen darauf, diese Wahl zu gewinnen. Es zeichnete sich erst seit dem Rücktritt von Liz Truss ab, dass dies gelingen kann. Seitdem sind sie der Strategie Napoleons gefolgt: "Unterbrich deinen Feind nicht, wenn er Fehler macht." Das kann man kritisieren. Allerdings hat Labour viele Sitze nur sehr knapp gewonnen und wollte dementsprechend im Wahlkampf nicht zur sehr ins Risiko gehen. Trotzdem haben sie jetzt wenige Begrenzungen, um die Politik zu verändern: Sie haben die absolute Mehrheit, auch in Wales regiert Labour, genauso wie in vielen größeren Städten.

Warum formuliert Starmer dann keine ambitionierteren Ziele?

Er hat explizit gesagt, dass man nicht dem EU-Binnenmarkt beitreten würde und dass das zu seinen Lebzeiten wohl auch so bleiben wird. Dass er das so kategorisch ausschließt, ist schon erstaunlich. Denn gleichzeitig will er für mehr Wirtschaftswachstum sorgen. Man muss sich schon fragen, wo das denn herkommen soll. Der Beitritt zum Binnenmarkt wird nicht alle Probleme lösen, aber den Beitritt auszuschließen, halte ich für einen Fehler.

Ist die Wirtschaftslage Starmers größte Baustelle?

Das ist ein riesiges Problem. Vor allem muss er sich aber um den öffentlichen Dienst kümmern: Die Situation in den Krankenhäusern ist schlecht, die Gefängnisse sind überfüllt, der Nahverkehr ist in schlechtem Zustand. Das alles wird Geld kosten, das irgendwo herkommen muss. Aber auch außenpolitisch steht er natürlich vor großen Herausforderungen: Kommende Woche steht der Nato-Gipfel an, Starmer will sich auch in der Sicherheitspolitik wieder stärker mit Europa vernetzen. John Healey, der vermutlich neuer Verteidigungsminister wird, wünscht sich dort auch eine bessere Zusammenarbeit mit Deutschland.

Wohin könnten sich die Tories nach der Niederlage entwickeln?

Entweder rücken sie stärker in die Mitte oder sie gehen weiter den Weg nach rechts. Reform UK hat Stimmen von den Tories übernommen, aber deutlich mehr Stimmen haben sie an die politische Mitte verloren. Ich glaube, in der Partei wird es einen Bürgerkrieg geben. Streng genommen tobt dieser schon seit Jahren, aber er wird vermutlich jetzt noch heftiger geführt werden. Möglicherweise könnte die Partei auch an dieser Frage zerbrechen.

In Frankreich oder Italien sind viele konservative Parteien bereits zerrieben worden, weil sie sich zu stark an der extremen Rechten orientiert haben. Könnte das auch bei den Tories passieren?

Sie sind gerade zerrieben worden. Die Zukunft der konservativen Partei ist sehr ungewiss. Und von ihrem Ende würde langfristig die äußerste Rechte am meisten profitieren.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Helene von Bismarck
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