Krieg in Nahost Mutmaßlich israelischer Angriff im Iran
Mitten in der Nacht wird Irans Luftverteidigung aktiviert. Nach einem mutmaßlich israelischen Angriff wächst die Sorge vor einer weiteren Eskalation in Nahost. Schlägt der Iran zurück?
Israel hat nach übereinstimmenden Medienberichten als Reaktion auf den Großangriff vom vergangenen Wochenende eine Vergeltungsaktion gegen den Iran ausgeführt. Die "New York Times" berichtete von einer israelischen Militäraktion am frühen Morgen im Iran und berief sich dabei auf zwei israelische und drei iranische, namentlich nicht genannte Regierungsmitarbeiter. Laut der israelischen Zeitung "Jerusalem Post" galt der Angriff einer Luftwaffenbasis im zentraliranischen Isfahan, unweit iranischer Atomanlagen. Diese wurden nach Angaben der Internationale Atomenergiebehörde aber nicht getroffen.
Auch andere Schäden wurden nicht gemeldet. Iranische Staatsmedien wiesen US-Medienberichte über einen Raketenangriff zurück. Am Himmel über der iranischen Provinz Isfahan seien in der Nacht mehrere kleine Flugobjekte beschossen worden, hieß es lediglich. Israel und das US-Verteidigungsministerium äußerten sich nicht zu der Aktion. US-Außenminister Antony Blinken sagte auf einem Treffen der G7-Außenminister auf Capri, er werde darauf nicht "nicht näher eingehen - außer zu sagen, dass die Vereinigten Staaten an keinen Offensivoperationen beteiligt waren".
Verhaltene Reaktionen auf beiden Seiten
Medien in Israel und dem Iran reagierten verhalten auf den mutmaßlich israelischen Angriff. Irans Präsident Ebrahim Raisi hielt bei einer Reise in der Provinz Semnan vor Anhängern eine Rede, erwähnte den Angriff nahe der Millionenstadt Isfahan jedoch mit keinem Wort. Beobachter sehen die verhaltenen Reaktionen als Zeichen dafür, dass die beiden Länder die Aktion herunterspielen wollen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden.
Aus Sorge vor einem neuen großen Krieg in Nahost riefen die USA, Großbritannien, Deutschland und andere Staaten den Iran und Israel wiederholt zur Deeskalation auf.
Der Iran hatte am Wochenende erstmals mit mehr als 300 Raketen und Drohnen Israel direkt angegriffen. Hintergrund der iranischen Raketen- und Drohnenangriffe war ein mutmaßlich von Israel geführter Angriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus, bei dem Anfang April zwei Generäle der iranischen Revolutionsgarden getötet wurden. Irans Staatsführung kündigte daraufhin Vergeltung an. In den vergangenen Tagen drohte Irans Militärführung mit einer entschiedenen Antwort, sollte Israel den Iran angreifen. Noch nie standen die verfeindeten Länder so nah an einem Krieg.
Ob die Zeichen nun auf Deeskalation stehen, hängt Analysten zufolge auch davon ab, ob Israel es bei dem mutmaßlichen Vergeltungsschlag belässt und wie und ob der Iran doch noch reagiert.
Beobachter: Warnung an Iran oder Testlauf
In einem optimistischen Szenario habe Israels Ziel darin bestanden, eine ernsthafte Warnung an den Iran zu senden, schrieb Hamidreza Azizi, Gastwissenschaftler an der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik, auf der Plattform X, vormals Twitter. In einem pessimistischen Szenario habe das Ziel Israels darin bestanden, die Verteidigungssysteme des Irans zu testen oder die Verteidigung außer Gefecht zu setzen, die für die Verteidigung strategischer Zentren in Isfahan verantwortlich seien. "In diesem Fall sollten wir mit mehr - und möglicherweise umfassenderen - Angriffen auf iranischem Territorium rechnen", so Azizi.
Nach Einschätzung des US-Militärexperten Cedric Leighton hat Israel mit dem Vorgehen, das "ganz klar eine direkte Reaktion auf die iranischen Angriffe vom Wochenende gewesen sei", bewiesen, dass das iranische Luftabwehrsystem nicht annähernd die Fähigkeiten des israelischen Luftabwehrsystems habe.
Der CNN-Militärexperte Mark MacCarley sagte: "Die Israelis mussten Vergeltung üben, aber diese Vergeltung enthielt auch eine Botschaft, nämlich: Ja, wir können es schaffen. Macht das nicht noch einmal. Wenn ihr es noch einmal tut, dann wird Chaos ausbrechen."
Aufrufe zur Deeskalation
US-Außenminister Blinken rief erneut zur Deeskalation auf. Mit Blick auf den iranischen Angriff auf Israel vom Wochenende sagte er bei den G7-Außenministers auf Capri: "Wir fühlen uns der Sicherheit Israels verpflichtet." Man sei zudem bestrebt, die Situation zu deeskalieren. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz warnte am Freitag erneut vor einer Ausweitung des Konfliktes. "Alle müssen jetzt und in der nächsten Zeit dafür sorgen, dass es nicht zu einer weiteren Eskalation des Krieges kommt", sagte er. Diese Position vertrete Deutschland gemeinsam mit seinen Verbündeten. Ähnlich äußerten sich Vertreter arabischer Staaten.
Polizeieinsatz in Paris
Unterdessen löste ein Mann mit der Attrappe eines Sprengstoffgürtels in das iranische Konsulat in Paris eingedrungen und hat einen großen Polizeieinsatz aus. Eine Spezialeinheit der Polizei sperrte das Gebiet zunächst ab, weil eine Bedrohungslage befürchtet wurde, wie die Pariser Polizeipräfektur mitteilte. Schließlich verließ der 60 Jahre alte Iraner das Konsulat von sich aus wieder und wurde festgenommen, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Im Konsulat habe er mit einer Gewalttat gedroht, letztlich aber keinerlei Waffen bei sich gehabt. Unter dem Vorwurf einer Todesdrohung kam der Mann in Polizeigewahrsam.
Der in Frankreich lebende Iraner habe im vergangenen September bereits aus Protest gegen das iranische Regime vor dem Konsulatsgebäude Autoreifen in Brand gesetzt. Dafür war er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, die noch nicht rechtskräftig war, teilte die Staatsanwaltschaft weiter mit. Die Kriminalpolizei versuche nun, die Motive des Mannes für sein Eindringen in das Konsulat zu ermitteln.
Isfahan: Kulturstadt und Zentrum der Rüstungsindustrie
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien bestätigte, dass keine iranischen Atomanlagen beschädigt wurden. IAEA-Chef Rafael Grossi rufe weiterhin "alle zu äußerster Zurückhaltung auf", hieß es in einer Stellungnahme auf X, vormals Twitter. Nukleare Anlagen sollten nie Ziele in militärischen Konflikten sein, betonte er.
In Isfahan befinden sich wichtige Einrichtungen der iranischen Rüstungsindustrie, unter anderem Fabriken zur Raketenherstellung. Auch das größte nukleare Forschungszentrum des Landes ist in der Kulturstadt mit ihren rund zwei Millionen Einwohnern angesiedelt. Laut Rundfunk bestand für die dortigen Atomeinrichtungen keine Gefahr. Ende Januar 2023 war im Iran eine Munitionsfabrik des Verteidigungsministeriums nahe der Metropole Isfahan mit mehreren kleinen Fluggeräten angegriffen worden. Die Regierung in Teheran hatte damals den Erzfeind Israel als Drahtzieher für die Attacke verantwortlich gemacht.
Vom Schattenkrieg zum offenen Konflikt
In den Monaten nach Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober 2023 hat sich der Jahrzehnte alte Konflikt zwischen Israel und der Islamischen Republik Iran dramatisch zugespitzt. Der jüdische Staat sieht sich nach Angriffen von Milizen im Libanon, in Syrien, im Irak und im Jemen, die mit dem Iran verbündet sind, an mehreren Fronten unter Beschuss. Seit der Revolution von 1979 gelten die USA und Israel als Erzfeinde der Islamischen Republik. Netanjahu bezeichnete den Iran in der Vergangenheit ebenfalls als "wichtigsten Feind".
Israel sieht in dem umstrittenen Atomprogramm sowie dem massiven Raketen- und Drohnenarsenal des Irans die größte Bedrohung seiner Existenz. Die USA haben Teheran immer wieder unterstellt, nach Nuklearwaffen zu streben. Der Iran bestreitet die Vorwürfe und beteuert, sein Atomprogramm rein zivil zu nutzen. Ein religiöses Rechtsgutachten durch Chamenei hatte Massenvernichtungswaffen als unvereinbar mit dem Islam verboten.
- Nachrichtenagentur dpa