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Bandengewalt in Ecuador: So kam es zur Eskalation mit Waffen und Geiseln


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Gewaltwelle in Ecuador
"Das ist eine hochexplosive Mischung"

InterviewVon Simon Cleven

10.01.2024Lesedauer: 5 Min.
ECUADOR-PRISON/Vergrößern des Bildes
Gewalteskalation in Ecuador: Soldaten kommen am Gefängnis von Guayaquil zu einer Kontrolle an. (Quelle: VICENTE GAIBOR DEL PINO/reuters)

In Ecuador ist es zu einer beispiellosen Eskalation der Bandengewalt gekommen. Was hinter der Gewalt steckt und wie Ecuador der Lage wieder Herr werden kann, erklärt Lateinamerika-Experte Günther Maihold.

Bewaffnete stürmen ein Fernsehstudio und nehmen Geiseln. Gleichzeitig kommt es zu Aufständen in Gefängnissen, Insassen nehmen Wärter gefangen und sollen diese sogar exekutiert haben. Die Bilder, die am Dienstag aus Ecuador um die Welt gingen, zeigen in dem südamerikanischen Land eine beispiellose Eskalation der Bandengewalt.

Der ecuadorianische Präsident Daniel Noboa reagierte umgehend: Er rief per Dekret den "internen bewaffneten Konflikt" aus. Das Militär soll nun gegen die Banden vorgehen, diese "neutralisieren". Es scheint, als sei die Spirale der Gewalt in Ecuador noch nicht an ihrem Ende angelangt. Über die Macht der Banden, die Ursachen der Gewalt und die Antwort der Politik hat t-online mit dem Lateinamerika-Experten Günther Maihold gesprochen.

Video | Video zeigt Gewaltausbruch in Ecuador
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Quelle: t-online

t-online: Herr Maihold, gestern haben sich die Ereignisse in Ecuador überschlagen: In vielen Landesteilen kam es zu massiver Gewalt mit mindestens acht Toten. Wie konnte es zu diesem Aufstand kommen?

Günther Maihold: Was gestern in Ecuador passiert ist, war eine offene Kriegsansage an den Staat. Wir haben es mit einer Zuspitzung der Lage zu tun, die auf eine Initiative des Präsidenten Daniel Noboa zurückgeht. Noboa will ein Referendum über seine Politik zur Bekämpfung der Kriminalität abhalten. Dabei geht es um die mögliche Auslieferung Krimineller etwa in die USA, aber auch um die Übertragung von Aufgaben an das Militär sowie den Bau von Hochsicherheitsgefängnissen. Das hat dazu geführt, dass sich die kriminellen Akteure mobilisiert haben, um die Machtverhältnisse im Land zu ihren Gunsten zu verändern.

Wie konnte die organisierte Kriminalität in Ecuador so viel Macht aufbauen, dass sie innerhalb kürzester Zeit in der Lage ist, einen solchen Aufstand anzuzetteln?

Ecuador ist in den vergangenen Jahren zu einem operativen Zentrum der Drogenkriminalität und zu einem Transitland für den Drogenexport nach Europa und in die USA geworden. Ableger mexikanischer Drogenkartelle haben sich mit nationalen kriminellen Gruppen zusammengeschlossen. Dabei kommt es auch immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den kriminellen Gruppen um die Vorherrschaft im Drogengeschäft. Das ist eine Ursache des jüngsten Gewaltausbruchs.

Lateinamerika-Experte Günther Maihold
(Quelle: privat)

Zur Person

Günther Maihold (66) ist Soziologe und Politikwissenschaftler. Er arbeitete für die Friedrich-Ebert-Stiftung unter anderem in Mexiko, Nicaragua, Panama und Costa Rica. Bis Juni 2023 war Maihold stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Aktuell ist Maihold Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Besonders die Gefängnisse des Landes scheinen im Zentrum der Auseinandersetzungen zu stehen. Was hat es damit auf sich?

Das ist die zweite Ursache für die Bandengewalt in Ecuador. Die Gefängnisse des Landes wirken wie Brandbeschleuniger auf die organisierte Kriminalität. In den vergangenen Jahren hat es in den Gefängnissen immer wieder Aufstände gegeben, die internationale Aufmerksamkeit erregt haben. Die meisten Einrichtungen sind heillos überfüllt: Ein Gefängnis in Guayaquil, das für 1.500 Insassen ausgelegt ist, wird derzeit von rund 8.000 Gefangenen belegt. Von dort aus werden kriminelle Aktivitäten gesteuert, dort treffen auch viele verfeindete Banden aufeinander – das ist eine hochexplosive Mischung. Und Ecuador wird der Lage zurzeit nicht Herr.

Warum ist gerade Ecuador so attraktiv für die international agierende organisierte Kriminalität?

Das liegt daran, dass Ecuador im Vergleich zu anderen Staaten der Region, wie etwa Kolumbien, am schwächsten aufgestellt ist in Bezug auf die Ausstattung der Sicherheitsbehörden zur Kontrolle der Kriminalität. In solchen Räumen entstehen sehr schnell kriminelle Strukturen.

Kolumbien hat selbst Momente massiver Bandenkriminalität erlebt, besonders in den 1990er-Jahren, als der Drogenbaron Pablo Escobar das Land mit Gewalt überzog. Dann wurden die Sicherheitsbehörden dort gestärkt. Hat sich das Problem jetzt einfach in das Nachbarland Ecuador verlagert?

Ja, da gibt es einen sogenannten Balloneffekt. Drückt man an einer Stelle auf den Ballon, dehnt er sich an anderer Stelle aus. So passiert es auch mit der organisierten Kriminalität: Sie weicht immer auf Bereiche aus, wo es den geringsten Widerstand gibt. Also dorthin, wo die geringste Kontrolle durch staatliche Organe zu befürchten ist und diese leicht korrumpierbar sind. Das ist jetzt in Ecuador der Fall.

Zudem haben sich die internationalen Drogenmärkte insgesamt verschoben und diversifiziert: Es geht schon länger nicht mehr nur um Kokain, sondern um allerlei andere chemische psychoaktive Substanzen. Die Bandbreite krimineller Aktivitäten, wozu auch Entführungen, Erpressungen und Schutzgeld gehören, hat sich enorm vergrößert. Wenn die staatliche Reaktion dann schwach ist, breitet sich die Gewalt rasend schnell aus.

Was hat das ganze mit dem Präsidenten Daniel Noboa zu tun?

Im Wahlkampf hatte sich Noboa die Bekämpfung der organisierten Kriminalität auf die Fahnen geschrieben. Er ist mit 36 Jahren sehr jung und gilt als unverbrauchter Politiker, der mit der etablierten Politikerkaste des Landes nichts zu tun hat. So konnte er im vergangenen Oktober die vorgezogenen Neuwahlen für sich entscheiden. Allerdings beträgt seine Amtszeit zunächst nur 18 Monate. Deshalb steht er unter extremem Druck, jetzt schnell Resultate zu produzieren. Dabei setzt er auf Maßnahmen, die sich öffentlichkeitswirksam vermarkten lassen.

Noboa scheint sich mit einigen Maßnahmen ein Vorbild an dem autoritär regierenden Präsidenten El Salvadors, Nayib Bukele, zu nehmen.

Ja, das stimmt. Bukele und seine Politik der harten Hand gelten für viele rechte Politiker in Lateinamerika jetzt als Vorbild. Er hat öffentlichkeitswirksam gezeigt, dass man sozusagen über Nacht Zehntausende mutmaßliche Kriminelle in Hochsicherheitsgefängnisse einbuchten kann. Das will der ecuadorianische Präsident nun offenbar kopieren.

Dazu hat er den Bau zweier Hochsicherheitsgefängnisse angekündigt und will daneben sogar Schiffe als Gefängnisse nutzen. Außerdem schickt er das Militär auf die Straße im Kampf gegen die kriminellen Gruppen. Und nun will Noboa schnell den Bandenboss "Fito" wieder hinter Gitter bringen.

Was ist das für ein Mann?

Adolfo Macías alias "Fito" ist der Kopf der Bande "Los Choneros", die Verbindungen zu mexikanischen Drogenkartellen haben soll. Er ist vor wenigen Tagen aus einem Gefängnis in der Hafenstadt Guayaquil ausgebrochen – und das nicht zum ersten Mal. Ihn jetzt wieder einzufangen, steht für Präsident Noboa weit oben auf seiner Prioritätenliste. "Fito" ist für Noboa von besonders hohem Wert. Mit seiner erneuten Verhaftung oder der Eliminierung des Bandenchefs könnte der Präsident den Eindruck vermitteln, das Problem sei gelöst.

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Wäre das tatsächlich so?

Nein, absolut nicht. In dem Moment, in dem die Führungsfigur einer Bande ausgeschaltet wird, gehen die Nachfolgekämpfe erst richtig los. Es ist nicht damit zu rechnen, dass damit die Gewalt reduziert werden würde. Im Gegenteil: Es ist wahrscheinlicher, dass sie sich dann sogar potenziert.

Wie könnte der ecuadorianische Staat wieder Herr der Lage werden?

Hier gibt es einen klaren Unterschied zur Lage in El Salvador. Dort hat es der Staat vor allem mit Jugendbanden zu tun, die sich etwa durch Tätowierungen leicht zu erkennen geben. In Ecuador hingegen gibt es kriminelle Strukturen, die nicht notwendigerweise sichtbar sind. Diese müssen mithilfe von Geheimdiensten aufgeklärt und eventuell auch unterwandert werden, um sie schließlich einzuhegen. Der Einsatz des Militärs, den Noboa jetzt ins Zentrum seiner Maßnahmen stellt, kann nur ein Instrument sein, nicht aber die Lösung.

Herr Maihold, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Günther Maihold
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