Menschenrechtsbericht zum Iran Über 700 Menschen getötet – darunter Minderjährige
Die Zahl die Hinrichtungen im Iran ist derzeit auf einem Rekordhoch. Meist werden Menschen aufgrund angeblicher Drogendelikte gehängt, faire Prozesse gibt es quasi nicht. Doch die Liste der Menschenrechtsverletzungen ist noch länger.
Im Schnitt zweimal pro Tag richtet das iranische Regime im Jahr 2023 Menschen hin, oft im Verborgenen und ohne faire Gerichtsprozesse. Spätestens seit den Protesten nach dem Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini im September 2022 dringen regelmäßig Berichte verschiedener Menschenrechtsverstöße nach außen. Darunter auch von Hinrichtungen.
Untersuchungen der Organisation Human Rights News Agency (HRANA) geben jetzt Hinweise auf das konkrete Ausmaß: Mindestens 746 Menschen wurden im Jahr 2023 hingerichtet, iranische Bürgerinnen und Bürger zu insgesamt 6.551 Peitschenhieben verurteilt.
Von den 746 hingerichteten Menschen – meist werden sie gehängt – waren 597 Männer und 20 Frauen, das Geschlecht der übrigen 129 Menschen sei nicht bekannt. Die Zahl der Hinrichtungen im Iran sei damit auf einem Rekordhoch, laut der Organisation stieg sie im Vergleich zu 2022 um 32 Prozent. Ali Fathollah-Nejad, Politikwissenschaftler für den Nahen und Mittleren Osten, sagte t-online: "Der Hauptgrund ist, dass die internationale Aufmerksamkeit seit dem 7. Oktober nicht mehr auf Iran gerichtet ist." Mehr dazu lesen Sie hier.
Auch Jugendliche hingerichtet
Als häufigster Grund werden den ausgewerteten Berichten zufolge mit etwa 56 Prozent Drogendelikte genannt, mit knapp 35 Prozent folgen Hinrichtungen wegen Mordes, so HRANA. Die Prozesse im Iran – auch die, in denen Menschen zum Tod verurteilt werden – gelten allerdings als Scheinprozesse. Angehörige und unabhängige Beobachter haben in der Regel keinen Zugang zum Gerichtssaal. In Einzelzellen und unter Folter sollen Angeklagte zu Geständnissen gezwungen werden. Mehr dazu lesen Sie hier.
Unter den im Jahr 2023 Hingerichteten sind laut HRANA auch zwei jugendliche Straftäter, also Personen, die zum Zeitpunkt ihrer mutmaßlichen Straftaten noch keine 18 Jahre alt waren. Einer davon dürfte Hamidreza Azari sein, der Ende November im Alter von 17 Jahren hingerichtet wurde. Das Regime warf dem Jugendlichen Mord vor. Todesurteile für Straftäterinnen und Straftäter, die zur Tatzeit noch nicht 18 Jahre alt sind, sind gemäß internationalen Menschenrechtsabkommen verboten.
Viele der Hinrichtungen finden im Verborgenen und ohne öffentliche Ankündigung statt – 66 Prozent, laut HRANA. Nur 34 Prozent werden demnach zuvor öffentlich angekündigt.
Schülerinnen, Schüler und Studenten in über 6.000 Fällen vergiftet
Doch nicht nur durch Hinrichtungen tötete das Regime seine Bürgerinnen und Bürger. Regimekräfte schossen im Jahr 2023 in insgesamt 402 von der Organisation dokumentierten Vorfällen auf Zivilisten, dabei starben 120 von ihnen.
Eine weitere Strafe, die das iranische Regime verhängt, sind Auspeitschungen. In demokratischen Rechtsstaaten gelten Auspeitschungen als Verstoß gegen die Menschenwürde und gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit. Im Iran verurteilte das Regime zwischen Januar und Dezember dieses Jahres mindestens 125 Personen zu insgesamt 6.551 Peitschenhieben, dokumentiert HRANA. Zusätzlich seien gegen mindestens sechs Angeklagte Prügelstrafen vollstreckt worden. Das entspreche insgesamt 330 Peitschenhieben. In zweien dieser Fälle seien Angeklagte öffentlich ausgepeitscht worden.
Human Rights News Agency zählte in dem Bericht zudem über 6.000 Fälle von Vergiftungen bei Schülerinnen, Schülern und Studierenden. Insbesondere bis zum Frühjahr 2023 gab es regelmäßig Berichte aus dem Iran von Giftgasanschlägen an Mädchenschulen. Beobachtern zufolge sollen vor allem Schulen betroffen gewesen sein, an denen die Schülerinnen nach dem Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini vehement gegen das Regime protestiert hatten.
- An Schulen, Universitäten und im Verhör: Diese Vergiftungsmethoden setzt das Regime im Iran ein
Regime schränkt Arbeit von Menschenrechtsorganisationen ein
Dass das iranische Regime gegen andere Meinungen als die eigene vorgeht, zeigen auch die 3.130 Personen, die laut HRANA im Jahr 2023 festgenommen wurden, weil sie Gebrauch von der Meinungsfreiheit machten. Mindestens 116 dieser Verhaftungen fanden demnach ohne gerichtlichen Haftbefehl statt. Dazu kommen mindestens 558 Zivilisten, die offenbar verhaftet wurden, weil sie private Versammlungen und Partys organisiert oder daran teilgenommen hatten, was im Iran in vielen Fällen verboten ist.
Menschenrechtsverletzungen aufgrund von "Gedanken- und Meinungsfreiheit" stellen mit fast 25 Prozent aller dokumentierten Verstöße die größte Kategorie des Berichts dar, gefolgt von Verstößen gegen Gewerkschaften und Verbände und gegen Gefangene an dritter Stelle.
HRANA wertete für den 77-seitigen Bericht 9.656 Berichte zur Menschenrechtslage zwischen dem 1. Januar und dem 20. Dezember aus. Weil das iranische Regime die Aktivitäten von Menschenrechtsorganisationen im Land einschränkt und auch den freien Informationsfluss behindert, könne der Bericht dennoch nicht als vollständig angesehen werden, betont die Organisation.
- en-hrana.org: "Annual Analytical and Statistical Report on Human Rights in Iran for the year 2023"
- Eigene Recherche