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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vermisste Hamas-Geiseln "Mama, ich glaube, ich werde sterben"
Sie wurden vermutlich verschleppt und sind in der Gewalt der Hamas: Immer noch bangen Familien um das Leben von rund 200 Menschen im Gazastreifen. Unter ihnen sind Eltern, Soldaten und Kinder.
Die Nachricht vom Freitagabend machte Hoffnung: Zwei Frauen, die die Terrororganisation Hamas bei ihrem Angriff auf Israel in den Gazastreifen verschleppt hatte, sind frei. Unter Vermittlung von Katar kehrten die beiden US-Amerikanerinnen, Mutter und Tochter, zu ihrer Familie zurück. Doch noch immer sollen rund 200 Menschen in der Gewalt der Terroristen sein. Über ihren Zustand ist so gut wie nichts bekannt.
Viele Angehörige versuchen über die Medien, Aufmerksamkeit zu erregen. Seit nun mehr als zwei Wochen bangen sie um die Vermissten. So auch Michael Levy. Sein Bruder Oder und dessen Ehefrau Eynav Elkayam Levy waren auf dem "Tribe of Nova"-Festival in der israelischen Wüste, das in einem Massaker endete (lesen Sie hier mehr dazu). Sicher ist: Die 32-jährige Eynav wurde dort getötet. Ihr Mann Oder gilt seither als vermisst. Die beiden sind Eltern eines zweijährigen Sohnes.
"Oder lächelt immer, ist immer glücklich"
"Wie kann man einem zweijährigen Jungen sagen, dass er seine Mutter nicht mehr sehen wird?", fragte Michael Levy im Gespräch mit der Associated Press (AP). Über seinen jüngeren Bruder berichtete er: "Oder lächelt immer, ist immer glücklich, nicht nur auf den Bildern."
Seit dem 7. Oktober hat Levy jedoch nichts mehr von seinem Bruder gehört. In den Minuten, als die Hamas-Terroristen das Festivalgelände stürmten, hätten er und seine Frau Zuflucht in einem Luftschutzbunker gefunden. Von dort aus habe er die Mutter der Brüder angerufen. Sie fragte, wie es ihnen ginge. "Mama, du willst es nicht wissen", habe Oder geantwortet.
Einige Tage später teilte die israelische Armee der Familie mit, dass Eynavs Leiche gefunden und dass Oder entführt und als Geisel genommen worden sei, erzählt der Bruder der AP. Nun kümmerten sich die Großeltern um den zweijährigen Sohn. "Er ruft ständig nach seiner Mutter und seinem Vater", sagte Michael Levy.
"Die Schießerei ging weiter und weiter"
Auch die 23-jährige Romi Gonen ist unter den Geiseln der Hamas. Ihre Mutter Meirav Leshem Gonen sprach der AP zufolge auf einer Solidaritätskundgebung auf Zypern. Ihre Tochter hatte ebenfalls das Festival in Israel besucht, das die Hamas überfiel. Sie habe von ihrer Tochter einen hektischen Anruf erhalten. "Wir gingen davon aus, o.k., ein paar Terroristen, die Armee würde kommen und alles wäre in ein paar Minuten erledigt", sagte Gonen. "Aber die Schießerei ging weiter und weiter, und wir hörten uns die Schießereien am Telefon an. Romi hatte schreckliche Angst."
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Ihre Tochter habe sich stundenlang vor den Terroristen versteckt, erzählte die Mutter laut AP. Die beiden hätten zwischenzeitlich immer wieder telefoniert. Dann sagte Romi ihrer Mutter am Telefon: "Mama, ich wurde angeschossen, das Auto wurde angeschossen, jeder wurde angeschossen. Ich bin verwundet und blute. Mama, ich glaube, ich werde sterben."
Meirav berichtete, wie sie ihrer Tochter immer wieder gesagt habe, dass sie sie liebe. Im Hintergrund seien Schreie und Schüsse zu hören gewesen. Dann sei das Telefonat abgebrochen. Romis letztes Wort sei "Mami" gewesen, sagte Meirav.
"Ich weiß nicht, was ich tun soll"
Die 19-jährige Roni Eshel gilt seit dem Hamas-Angriff ebenfalls als vermisst. Sie ist Soldatin in der israelischen Armee (IDF), war zum Zeitpunkt des Überfalls nahe der Grenze zum Gazastreifen stationiert, berichtete die AP. Seit dem 7. Oktober fehlt von ihr jede Spur, die Armee habe der Familie von ihrem Verschwinden berichtet. Ihr Vater, Eyal Eshel, sagte der AP, er glaube, dass die 19-Jährige entführt wurde.
Das Warten auf Neuigkeiten sei die "Hölle". Er schlafe, esse und arbeite nicht. "Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß eigentlich nicht, was ich denken soll. Wo ist sie? Was isst sie? Was, wenn ihr kalt ist? Was, wenn es heiß ist? Ich weiß nichts."
Roni sei stolz darauf gewesen, als dritte Generation ihrer Familie dem israelischen Militär beizutreten. Ihr Vater, ihr Onkel und ihr Großvater dienten ebenfalls. "Sie war sehr glücklich, dem Land zu dienen", sagte Eyal Eshel der AP. "Ich schäme mich nicht, um Hilfe zu bitten. Bitte helfen Sie uns."
Auf der Internetseite "bringthemhomwnow.net" ("Bringt sie nun nach Hause") sind zahlreiche Bilder von Vermissten, mutmaßlichen Hamas-Geiseln, aufgelistet. Angehörige, die die Seite initiiert haben, senden dort einen klaren Appell: "Wir fordern die sichere Rückkehr aller Bürger, die von der Terrorgruppe Hamas als Geiseln genommen wurden. Wir werden nicht ruhen, bis jede Geisel freigelassen wird und sicher nach Hause zurückkehrt."
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Auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) werden auf dem dazugehörigen Profil regelmäßig Fotos und Videos von Vermissten geteilt.
In einem der jüngsten Beiträge heißt es: "Der neunjährige Ohad wird am Montag, 23. Oktober, seinen Geburtstag feiern, während er noch in Gaza als Geisel festgehalten wird. Er sollte mit seinen Freunden und seiner Familie feiern. (...) Wir müssen Ohad nach Hause bringen."
Unter den Hamas-Geiseln sind auch deutsche Staatsbürger. Die Familien appellierten zuletzt an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): "Wir wollen nicht, dass Deutschland in den Konflikt hineingerät, aber der politische Druck muss jetzt erhöht werden." Mehr zu den deutschen Gefangenen lesen Sie hier.
- apnews.com: "Families hold out hope for loved ones abducted from Israel after a mother and daughter are released" (englisch)
- bringthemhomenow.net
- twitter.com: Profil von @bringhomenow