Nationalheld oder Verräter? Das russische Dilemma um Prigoschins Leiche
Lange galt er im Ansehen Putins als Held – und wurde dann schnell zum Verräter. Sollte Prigoschin tatsächlich tot sein, stellt sich die Frage: Was überwiegt?
Die Leiche von Jewgeni Prigoschin sei identifiziert worden – das schreibt zumindest der üblicherweise gut informierte Telegramkanal VChK-OGPU. Sollte der bisherige Chef der Söldnertruppe Wagner tatsächlich unter den Toten sein, die nach dem Absturz des Wagner-Privatjets wohl in einer Leichenhalle in der Stadt Twer gelagert werden, stellt sich jedoch eine ganze neue Frage: Was passiert nun mit der Leiche?
Der Kreml steht hierbei vor einem Dilemma, berichtet das Nachrichtenmagazin "Spiegel": Denn einerseits wurde Prigoschin wie sein Kommandeur und Wagner-Gründer Dmitri Utkin, der wohl ebenfalls unter den Absturzopfern ist, lange für die Erfolge der Söldnertruppe in der Ukraine, aber auch in Syrien oder Afrika gefeiert. Spätestens seit dem Aufstand der Wagner-Gruppe vor zwei Monaten aber fielen beide in Ungnaden: Präsident Wladimir Putin bezeichnete Prigoschin, seinen ehemaligen Vertrauten, öffentlich als Verräter.
Auch als Putin am Donnerstag Stellung zum vermutlichen Tod Prigoschins nahm, sagte er, dieser habe "ernsthafte Fehler" gemacht. Andererseits dankte er ihm für wichtige Erfolge in der Ukraine.
Szenario eins: Beerdigung mit militärischen Ehren
Wie behandelt man Prigoschin nun also, sollte er wirklich tot sein? Als Held könnte er, vorausgesetzt seine Familie stimmt zu, im "Pantheon der Verteidiger des Vaterlandes" im Norden Moskaus beigesetzt werden – mit allen militärischen Ehren. Wie der "Spiegel" schreibt, könnten dann sogar Putin persönlich und ranghohe Militärs wie Verteidigungsminister Sergej Schoigu oder der Oberbefehlshaber der Streitkräfte in der Ukraine Walerij Gerassimow an der Beerdigung teilnehmen.
Gegen eben sie hatte sich allerdings der Aufstand und zuvor auch schon die massive Kritik Prigoschins gerichtet. Dass sie ihm die letzte Ehre erweisen, ist daher aktuell kaum vorstellbar. Andererseits soll Putin Prigoschin bereits weit vor dem Wagner-Aufstand für die Verdienste der Wagner-Gruppe in den besetzen ukrainischen Gebieten in Luhansk den Titel "Held Russland" verliehen haben. Das sei abseits der Öffentlichkeit passiert, wie der britische Geheimdienst im Sommer 2022 berichtete.
Szenario zwei: Möglichst unauffällige Beisetzung
Wird Prigoschin jedoch als Verräter eingestuft, ist völlig unklar, wie es mit seinem Berichten zufolge stark verbrannten Körper weitergeht. Spekulationen zufolge könnte er in einem der afrikanischen Länder, in denen Wagner aktiv war, seine letzte Ruhe finden – also zum Beispiel in der Zentralafrikanischen Republik.
Der russische Oppositionelle Sergej Udalzow schrieb auf Telegram, die Frage nach der Beerdigung Prigoschins sei für die Behörden sehr unangenehm. Sie würden wohl versuchen, auf Zeit zu spielen und die Familie von einer unauffälligen Beisetzung zu überzeugen. Die Frage sei allerdings, ob die Wagner-Mitglieder und ihre Anhänger dabei mitspielten.
- spiegel.de: "Wohin mit Prigoschins Leiche?"
- twitter.com: Ministry of Defence
- t.me: Sergej Udalzow