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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mob zerstört Regierungsgebäude Steckt er hinter dem Sturm auf Brasília?
Ein Tag nach den Ausschreitungen im brasilianischen Regierungsviertel sitzt der Schock tief. Wie konnte es zu den Szenen kommen, die an den Sturm aufs US-Kapitol erinnern?
Die Sprechchöre waren verstummt, als der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am Sonntagabend durch die zerstörten Gänge der Regierungsgebäude von Brasília schritt. Stunden zuvor noch hatten Tausende Demonstranten das Viertel gestürmt, Möbel und Computer demoliert, Fenster, Türen und Gemälde zerstört und gebrüllt, dass der Präsident ein Dieb sei und ins Gefängnis gehöre.
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Lula nannte die Angreifer im Anschluss "faschistische Vandalen", die die Hauptstadt überfallen hätten. Viele dürften die Szenen, die im Netz die Runde machten, an den Sturm von Trumps Anhängern auf das US-Kapitol in Washington erinnert haben.
Auch einen Tag später noch sind deshalb nicht nur Menschen in Brasilien ob der Vorfälle schockiert. Doch was ist genau passiert und wie konnte es dazu kommen? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen:
Was ist genau vorgefallen?
Am Sonntag hatten Tausende Anhänger des jüngst abgewählten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro das Regierungsviertel in der Hauptstadt Brasília gestürmt. Dabei drangen die Demonstranten in drei Gebäude ein: in den Nationalkongress, den Obersten Gerichtshof und den Palácio do Planalto, dem Sitz des Präsidenten. Aufnahmen in sozialen Medien zeigen etwa Menschen, die sich Zugang zum Dach des Kongresses verschafften oder diverse Scheiben einschlugen und die Einrichtung demolierten.
Die Polizei leistete zunächst offenbar kaum Gegenwehr: Auf Videos ist etwa zu sehen, wie sich einzelne Beamte gemeinsam mit Demonstranten fotografieren lassen.
Erst Stunden später gelang es den Sicherheitskräften, die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Militärpolizei rückte mit Reiterstaffeln und gepanzerten Fahrzeugen auf den Platz der drei Staatsgewalten im Zentrum der Hauptstadt vor. Verletzte oder gar Tote gab es offenbar auch deshalb nicht, weil sich in den Gebäuden zuvor wohl keine Personen aufgehalten hatten.
Die Bilder weckten Erinnerungen an den Sturm auf das Kapitol in Washington vom 6. Januar 2021. Damals hatten sich Anhänger des bereits abgewählten US-Präsidenten Donald Trump Zugang zu dem Gebäude verschafft. Dabei starben fünf Menschen und zahlreiche weitere Personen wurden verletzt.
Was ist über die Randalierer bekannt?
Bei den Randalierern handelt es sich um Anhänger des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro, die dessen Wahlniederlage nicht akzeptiert hatten. Auch ein Neffe Bolsonaros, Leonardo Indio Bolsonaro, war beim Sturm auf das Parlament vor Ort, filmte und postete Fotos. Viele der Angreifer forderten, dass das Militär gewaltsam die Macht übernehmen solle, um die Präsidentschaft seines Nachfolgers Lula zu verhindern. "Intervention jetzt!" soll etwa an die Fassade eines der Gebäude geschrieben worden sein.
1964 hatte Brasiliens Armee schon einmal die Macht ergriffen. Damals hatte das Militär die linksgerichtete Regierung unter Präsident João Goulart gestürzt und wurde dabei vom US-Geheimdienst CIA unterstützt.
Dass es nach der Abwahl Bolsonaros zu Unruhen kommen könnte, war schon länger absehbar: Seit seiner Niederlage gegen Lula in der Stichwahl Ende Oktober kam es in dem Land immer wieder zu Protestaktionen. Bolsonaro-Fans campierten etwa vor Militärkasernen oder blockierten Straßen. Über das Wochenende trafen dann immer mehr Anhänger des Ex-Präsidenten in Brasília ein:
Zuvor waren die Fahrten offenbar über Chatgruppen organisiert worden, was auch Fragen über die Vorbereitung der Sicherheitsbehörden in der Hauptstadt aufwarf. Wie genau oder von wem die Fahrten allerdings finanziert wurden, ist bisher noch unklar. "Es ist ausgeschlossen, dass die Behörden überrascht wurden", sagt Andreas Nöthen, Buchautor und ehemaliger Brasilien-Korrespondent, im Gespräch mit t-online.
Welche Rolle spielt Jair Bolsonaro?
Obwohl es die Anhänger des Ex-Präsidenten waren, verurteilte Bolsonaro zunächst den Angriff auf das Regierungsviertel: Friedliche Demonstrationen seien Teil der Demokratie, das treffe allerdings nicht auf Plünderungen oder die Einnahme von öffentlichen Gebäuden zu. Präsident Lula hatte seinem Vorgänger zuvor vorgeworfen, die "faschistischen Fanatiker" zum Aufstand ermuntert zu haben. Der Ex-Präsident twitterte daraufhin von "Anschuldigungen ohne Beweise".
In der Tat lässt sich bisher nicht nachweisen, dass Bolsonaro direkt den Sturm auf das Regierungsviertel angeordnet hat. Allerdings hatte er ähnlich wie Donald Trump in den USA seine Wahlniederlage nie eingeräumt oder das Ergebnis akzeptiert und dadurch seine Anhänger angestachelt.
"Bolsonaro hat sich immer stark an Trump orientiert", sagt Andreas Nöthen. Genau wie der ehemalige US-Präsident nahm auch Bolsonaro an der Amtsübergabe seines Nachfolgers Lula nicht teil. Absehbar war das bereits lange vor seiner Wahlniederlage: Da sprach Bolsonaro immer wieder von drei Optionen, wie die Wahl nur enden könne: Mit seinem Sieg, seinem Tod oder einer Gefängnisstrafe – wobei er an Letzteres nicht glaube. Mehr dazu lesen Sie hier.
"Er gab keinen direkten Befehl wie Trump, aber Bolsonaro ist der Hauptschuldige", glaubt auch Nöthen. Eine solche Eskalation sei auch deshalb möglich gewesen, da viele Anhänger des Rechtsextremisten noch immer in verantwortungsvollen Positionen seien.
Welche Konsequenzen droht nun den Beteiligten?
Lula stellte zunächst die öffentliche Sicherheit in Brasília per Dekret unter die Verantwortung der brasilianischen Bundesregierung. Gleichzeitig wurden auf der Regionalebene personelle Konsequenzen gezogen: Zunächst entließ der Gouverneur des Hauptstadtbezirks, Ibaneis Rocha, seinen Sicherheitschef Anderson Torres. Torres war zuvor in der Regierung von Bolsonaro Justizminister.
Wenig später war auch Rocha seinen Job los, allerdings gilt seine Suspendierung zunächst für 90 Tage. Rocha wird vorgeworfen, dass er verschiedene Anträge von Behörden, die Sicherheit zu erhöhen, im Vorfeld der Unruhen ignoriert haben soll.
Die Polizei ist währenddessen weiter mit Festnahmen beschäftigt: Am frühen Morgen in Brasilien lag die Zahl der festgenommenen Personen bei mindestens 400. Für weitere Ermittlungen ordnete das oberste Bundesgericht zudem an, dass Telekommunikationsunternehmen Daten zu Personen weitergeben müssen, die sich am vergangenen Sonntag im Regierungsviertel aufgehalten haben. Zudem sollen sämtliche Protestcamps von Bolsonaro-Anhängern im gesamten Land innerhalb von 24 Stunden geräumt werden. Auch die Nummernschilder der Busse, die die Demonstranten nach Brasília gebracht haben, seien dem Justizministerium bekannt und werden nun untersucht.
Und Jair Bolsonaro? Seine konkrete Rolle dürfte die Ermittler wohl auch in den kommenden Tagen und Wochen weiter beschäftigen. Möglicherweise könnte auch sein Aufenthalt in Florida ein jähes Ende finden: Aufseiten der Demokraten wurden Stimmen laut, die die Auslieferung des Ex-Präsidenten nach Brasilien forderten.
- Interview mit Andreas Nöthen
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- twitter.com: "Tweets von @jairbolsonaro"
- twitter.com: "Tweet von @FlavioDino"
- edition.cnn.com: "US lawmaker calls for Bolsonaro's extradition to Brazil" (englisch)
- cnnbrasil.com: "AGU pede que STF obrigue plataformas a remover conteúdos pró-invasão" (portugiesisch)
- washingtonpost.com: "Come to the ‘war cry party’: How social media helped drive mayhem in Brazil" (englisch, kostenpflichtig)