Wahlen in Kasachstan Will er sich wirklich von Putin lösen?
Kasachstans Präsident Tokajew steht vor der Wiederwahl. Er verspricht Reformen und weniger Korruption – doch es gibt Zweifel.
Außenministerin Annalena Baerbock hat bei ihrem Besuch in Kasachstan der Führung des rohstoffreichen Lands unlängst die Hand ausgestreckt; wohl auch mit Blick auf die dortige Präsidentenwahl. Sie bot Deutschland, wo viele Eingewanderte aus der Ex-Sowjetrepublik leben, als Alternative für eine Zusammenarbeit abseits der mächtigen Nachbarn China und Russland an.
Zwar traf sie in der Hauptstadt Astana nicht mit Präsident Kassym-Schomart Tokajew zusammen. Aber auch so dürfte die Grünen-Politikerin einen etwas anderen politischen Wind gespürt haben. Der 69-jährige Tokajew will sich am 20. November für sieben Jahre ins Amt wählen lassen – zum letzten Mal.
"Wir müssen die Lage dringend ändern"
Tokajew ist seit dem Rücktritt des autoritären damaligen Präsidenten Nursultan Nasarbajew im März 2019 im Amt. Im darauffolgenden Juni wurde er in vorgezogenen Präsidentschaftszahlen mit 70,96 Prozent erstmals gewählt und hat den Menschen nach einer Verfassungsänderung im Juni 2022 ein "neues Kasachstan" versprochen. Unter anderen wirbt er für mehr Chancengleichheit. "Wir müssen die Lage dringend ändern", sagte er vor der Wahl mit Blick auf den Mindestlohn von 60.000 Tenge (rund 125 Euro). "Es ist praktisch unmöglich, von diesem Geld zu leben."
Gleichzeitig versprach Tokajew einen harten Kurs gegen Korruption: Kasachstan lag auf dem Korruptionsindex von "Transparency International" im vergangenen Jahr auf Rang 102 von 180. Zwar machte das Land in der Vergangenheit Fortschritte, doch die Organisation kritisiert vor allem die Seilschaften des Ex-Präsidenten Nasarbajew: Die sogenannten "Pandora Papers" deckten etwa im vergangenen Jahr dubiose Zahlungen in Millionenhöhe im Umfeld des Ex-Präsidenten auf, die von zwei Oligarchen stammen sollen.
Unruhen mit Schießbefehl, aber auch Reformen
Der Kampf gegen die Vetternwirtschaft erfolgte bereits im Nachgang der blutigen Unruhen vom Januar 2022: Mehr als 200 Menschen starben, als Proteste gegen hohe Preise und soziale Ungerechtigkeit in einen beispiellosen Machtkampf umschlugen. Tokajew gab damals einen Schießbefehl gegen die Demonstranten, die er als "Terroristen" bezeichnete. Und er musste Kremlchef Wladimir Putin bitten, dass das von Russland dominierte Militärbündnis "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" (OVKS) hilft. Die Soldaten sorgten rasch für Ruhe – und zogen wieder ab.
Aber Tokajew ließ dann nicht nur von seinem Vorgänger Nasarbajew eingesetzte einflussreiche Beamte in den Sicherheitsstrukturen verhaften. Er entmachtete vor allem Nasarbajew selbst, der weiter hohe Ämter und unbegrenzte Befugnisse innehatte. Die Familienmitglieder des ersten kasachischen Präsidenten verloren Posten in Politik und Wirtschaft. Mancher fand sich im Gefängnis wieder – und muss auch die durch Bereicherung ergaunerten Schmiergelder nun an die Staatskasse übergeben.
Nicht zuletzt räumte Tokajew mit dem Personenkult um Nasarbajew auf, indem er zum Beispiel der zeitweilig nach dessen Vornamen Nursultan benannten Hauptstadt ihren Namen Astana zurückgab. Auch die ohnehin nicht mehr verhängte Todesstrafe ließ er abschaffen.
OSZE sieht positive Entwicklungen
Wenn die rund zwölf Millionen Wähler und Wählerinnen nun zur Urne gerufen werden, dürfte Tokajew das als eine Art Vertrauensabstimmung ansehen. Er hat versprochen, Familienmitglieder des Präsidenten nicht mehr – wie bisher üblich – auf Posten in Staatsunternehmen und Parteien zu setzen. Er kündigte auch an, den zwischen Machtapparat und Zivilgesellschaft verlorenen Dialog wiederzubeleben.
Öffentlich sind nun Worte wie Pluralismus und Transparenz oder die Losung "Mehrere Meinungen – eine Nation" zu hören. Der Präsident hat seine eigenen Vollmachten beschneiden lassen. Auch internationale Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) heben die vielen Veränderungen hervor. Allerdings kritisieren sie, dass Empfehlungen für eine leichtere Registrierung von Kandidaten zur Wahl oder mehr Transparenz bei den Eigentumsverhältnissen von Medien nicht umgesetzt würden. Heikel sei auch, dass der Präsident etwa per Gesetz weiter einen besonderen Schutz seiner "Ehre und Würde" genießt, was Kritik schwer mache.
Herausforderer ohne Chance
Für Tokajew ist keine Alternative in Sicht. Dafür hat er auch selbst gesorgt: Die Wahl hatte der Präsident Anfang September kurzfristig vorgezogen. Ursprünglich war ein Urnengang erst 2024 vorgesehen. "Tokajew nutzt den Moment, in dem er sehr populär ist in der kasachischen Gesellschaft", sagt der Politologe Temur Umarov vom US-amerikanischen Carnegie-Institut dem "Deutschlandfunk".
Die anderen fünf zur Wahl zugelassenen Kandidaten gelten als chancenlos. Der Amtsinhaber wird in dem Land mit seinen 18,5 Millionen Einwohnern von einem breiten Bündnis aus drei Parlamentsparteien, Gewerkschaften und Wirtschaftsorganisationen getragen. Doch laut der geänderten Verfassung darf ein Präsident künftig nur noch einmal gewählt werden – allerdings wurde die Amtszeit von fünf auf sieben Jahre erhöht.
Der Westen hat Hoffnung, dass der in internationaler Diplomatie erfahrene Tokajew es ernst meinen könnte mit einer gewissen Weltoffenheit. Obwohl er sich zum Dank verpflichtet fühlt dafür, dass Putin ihn im Januar vor einem Sturz bewahrte, hat Tokajew sich zuletzt bei Treffen mit dem Kremlchef höflich, aber bestimmt gezeigt – und etwa öffentlich eine Unterstützung des russischen Krieges gegen die Ukraine abgelehnt.
Distanz zu Russland glaubwürdig?
Anders als etwa Machthaber Alexander Lukaschenko in Belarus, der Putin auf Gedeih und Verderb wirtschaftlich ausgeliefert und mit Sanktionen belegt ist, kann Tokajew sich dank der Seltenen Erden und anderer Bodenschätze Partner aussuchen. Der kasachische Journalist Lukpan Akhmedyarov warnt im "Deutschlandfunk" allerdings davor, in Tokajews Kurs eine totale Abkehr vom Kreml zu sehen: Der Präsident sitze auf zwei Stühlen gleichzeitig. Denn er wisse sehr wohl, dass seine Macht weiter auch von Putin abhänge. Deshalb seien seine Reformen auch nicht so weitreichend, dass das Land sich zu stark liberalisiere.
Die Bundesregierung scheint trotz der Zweifel mehr Vorteile darin zu sehen, die Beziehungen mit dem Land zu stärken: Außenministerin Baerbock machte bei ihrem Besuch Ende Oktober in Astana deutlich, dass Deutschland Kasachstan als wichtigsten Partner in Zentralasien halten will. Ohne Namen zu nennen, sagte sie, Länder versuchten in vielen Teilen der Welt, ihren Einfluss auszuweiten, "nicht nur mit militärischer Gewalt, sondern auch durch wirtschaftliche Deals, hinter denen sich ein Netz von Abhängigkeiten verbirgt". Deutschland wolle andere Wirtschaftsbeziehungen, "fair, auf Augenhöhe, ohne Knebelkredite und ohne versteckte Agenda".
- Nachrichtenagentur dpa
- deutschlandfunkkultur.de: "Tokajews Rezept zum Machterhalt"
- transparency.org: "Kazakhstan" (englisch)
- occrp.org: "Secretive Offshore Maneuvers Enriched Unofficial Third Wife of Kazakhstani Leader Nursultan Nazarbayev" (english)