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Liz Truss folgt auf Johnson: Premierministerin und "menschliche Handgranate"


Liz Truss folgt auf Boris Johnson
Eine "menschliche Handgranate"

Von t-online, ld

Aktualisiert am 05.09.2022Lesedauer: 4 Min.
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Freude bei Liz Truss: Die 47-Jährige wird die Nachfolge von Boris Johnson antreten. (Quelle: reuters)

Sie hat schon drei Premierministern gedient, jetzt wird sie in Downing Street Nr. 10 den Ton angeben. Wer ist Liz Truss?

Es ist eine Entscheidung, die zuletzt kaum jemanden mehr überrascht hat: Liz Truss wird neue britische Premierministerin. Die bisherige Außenministerin wurde am Montag von der Mehrheit der rund 200.000 Parteimitglieder zur Chefin der britischen Konservativen gewählt – und damit zur Nachfolgerin von Boris Johnson.

Damit hat sie ihren Kontrahenten, den ehemaligen Schatzkanzler Rishi Sunak, besiegt. Beide haben in den letzten Wochen das Land bereist und sich ein Duell um den Schlüssel zur Downing Street 10 geliefert, dem Zentrum der Macht in Großbritannien. Der scheidende Premier Johnson musste zuletzt seinen Platz räumen, nachdem seine Regierung in immer mehr Skandalen versunken war.

Ans Steuer kommt nun Liz Truss, eine Frau mit einer bunten politischen Vergangenheit. Truss war schon Managerin bei Shell, Abgeordnete im Unterhaus, und in verschiedenen Bereichen Staatssekretärin und Ministerin: Für die Kabinette Camerons, Mays und Johnsons war sie unter anderem Bildungs-, Handels- und Gleichstellungsministerin. Zuletzt bekleidete sie das Amt der Außenministerin.

Hang zu Fettnäpfchen

Die Neue an der Spitze gilt als extrem anpassungsfähig. Kritiker bezeichnen sie als einen politischen Wendehals oder "menschliche Handgranate" (Johnsons Ex-Berater Dominic Cummings), weil sie angeblich so impulsiv sei. Von anderen wird Truss auch als "Kandidatin der einfachen Lösungen" bezeichnet. Ihre Antwort auf die InflationSteuern senken. Unabhängigkeitsbestreben der schottischen Regierung? "Ignorieren." Und in der Brexit-Frage und dem umstrittenen Nordirland-Protokoll scheint ihre Maxime zu lauten: mehr Konfrontation mit Brüssel wagen.

Dabei geht Truss nicht immer zielgerichtet vor. Der Politologe Anthony Glees bescheinigte Truss gegenüber t-online einen ähnlichen Hang zu Fettnäpfchen wie Boris Johnson. Nur habe sie nicht das Charisma, etwaige Peinlichkeiten für sich zu nutzen.

Von Johnson abgeschaut hat sich Truss allerdings etwas anderes: die Tricks, wie man sich die Sympathien des einflussreichen Brexit-Lagers sichert. Auf die Frage neulich, ob der französische Präsident Emmanuel Macron Freund oder Feind sei, sagte sie vor Anhängern, das Urteil stehe noch aus. Sie erntete tosenden Applaus.

Die "eiserne Lady" als Vorbild

Liz Truss scheint genau zu wissen, bei wem sie ankommen möchte. Viele Tories verehren noch heute Margret Thatcher, die "eiserne Lady" der 80er. Thatcher stand für einen schlanken Staat, für einen liberalen Wirtschaftskurs und eine kompromisslose Durchsetzung nationaler Interessen nach außen.

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In diese Fußstapfen möchte Truss scheinbar treten, wenngleich sie die Vergleiche mit der ersten Premierministerin des Landes öffentlich dementiert. Selbst in ihrer Inszenierung waren die Ähnlichkeiten – gewollt oder nicht – an einigen Stellen schon erkennbar: Liz Truss präsentierte sich der Öffentlichkeit mal auf einem Motorrad (wie damals Thatcher), mal in einem Panzer (wie damals Thatcher).

Truss hat die Sehnsucht einiger Tories nach dem angeblichen Glanz früherer Zeiten offenbar verstanden. Gleichzeitig scheint sie den Unmut der Brexit-Hardliner gegenüber dem europäischen Kontinent bedienen zu wollen. Sie will beide Narrative vereinen – auch wenn das zu Widersprüchen führt: Denn ihr heimliches Vorbild Thatcher war eine offene Unterstützerin des europäischen Binnenmarktes, wie der Politologe Anthony Glees erklärt.

Plötzlich Brexit-Hardliner

Das galt auch mal für Truss: Die konservative Politikerin gehörte vor dem Brexit-Referendum zu denen, die Großbritannien in der EU halten wollten. "Ich möchte nicht, dass meine Töchter in einer Welt aufwachsen, in der sie ein Visum brauchen, um in Europa zu arbeiten", sagte sie damals. Heute hat sie ihre Meinung offenbar geändert – zumindest nach außen hin. Anders hätte sich ihr Ringen um den Parteivorsitz wahrscheinlich um einiges schwieriger gestaltet. Die Unterstützung der Brexit-Hardliner in der Partei hatte sie jedenfalls sicher.

Die Causa Brexit ist nicht die erste 180-Grad-Wende, die Truss in ihrer Karriere hinlegte. Angefangen hat die Oxford-Absolventin nämlich bei den Liberalen. Die baldige Premierministerin vertrat mit 19 Jahren die These, die konstitutionelle Monarchie gehöre in Großbritannien abgeschafft. Ein früherer Politikdozent aus Oxford attestierte Truss in der "Times" unlängst die Fähigkeit, eine leidenschaftliche Überzeugung über Bord zu werfen und stattdessen andere Gewissheiten zu vertreten – ohne zu zögern.

Ganz oben, ohne Wahlen

Ihr Machtinstinkt und ihre politische Flexibilität haben Truss nun an die Spitze der britischen Konservativen gespült – und bald auch an die Spitze der Regierung. Doch einfach wird der Start ihrer Regierungsarbeit nicht: Die chaotische Ära Boris Johnsons mag zu Ende sein, doch der eigensinnige Johnson vermacht Truss eine Vielzahl an Problemen.

Das Vertrauen vieler Menschen in die Politik, insbesondere in die britischen Konservativen, ist zuletzt massiv eingeknickt. In den Umfragen gewinnt die Labor-Partei an Zustimmung, sie lag zuletzt vor den Tories. Vor allem die Wählerschichten im Norden, die traditionell links gewählt haben und sich bei der letzten Wahl von Boris Johnsons Populismus vereinnahmen ließen, werden zum Testballon für die Ära Truss.

Es ist fraglich, ob Truss diese Menschen genauso abholen kann wie ihr Vorgänger.

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