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Armin Laschet: "Die Mineralölsteuer zu erhöhen, ist keine originelle Idee"


Interview
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NRW-Regierungschef Laschet
"Europa ist unser Leben"

  • Johannes Bebermeier
InterviewInterview von Johannes Bebermeier, Florian Harms

08.05.2019Lesedauer: 7 Min.
Armin Laschet: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident fordert: mehr Europa.Vergrößern des Bildes
Armin Laschet: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident fordert: mehr Europa. (Quelle: Sepp Spiegl/imago-images-bilder)

Er will mehr Europa. Und effektiven Klimaschutz – notfalls im nationalen Alleingang: Das macht Armin Laschet im Interview klar. Damit geht er über CDU-Forderungen hinaus.

Armin Laschet ist Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen – und ein Verfechter der Europäischen Union. Schon bevor er 2017 Regierungschef wurde, hat er sich für mehr Europa eingesetzt – und weitreichendere Forderungen aufgestellt, als seine CDU jetzt im Europawahlprogramm stehen hat. Er sagt: "Von Emmanuel Macrons Impulsen dürfen wir uns auch ab und zu anstecken lassen." t-online.de hat mit ihm über Europa, Viktor Orban und die CO2-Steuer gesprochen.

t-online.de: Herr Laschet, es heißt immer: Europa ist wichtig. Warum eigentlich?

Armin Laschet: Europa – das ist unser Leben. Die Menschen hier in Nordrhein-Westfalen leben längst über die Landesgrenzen zu Belgien und den Niederlanden hinweg. Hier haben sich Arbeits-, Lebens- und Wirtschaftsräume entwickelt, die man nicht mehr trennen kann. Unser Wohlstand hängt von Europa ab. Der gemeinsame Binnenmarkt ist der Grund, warum Deutschland so stark dasteht.

Was steht bei der Europawahl Ende Mai auf dem Spiel?

Bei dieser Europawahl wird darüber entschieden, ob das, was in 70 Jahren gewachsen ist – Frieden, Sicherheit und der Wohlstand – auch in Zukunft bewahrt bleibt, oder ob Populisten es schaffen, dieses europäische Modell zu zerstören, sodass wir in den Nationalismus zurückfallen. Jeder Wähler muss sich vor der Wahl – nicht wie die Briten beim Brexit erst nach der Abstimmung – darüber im Klaren sein: Europa hat uns sehr viel Gutes gebracht, und wir müssen es verteidigen.

Die britische Regierung hat bekannt gegeben, dass das Land auf jeden Fall an der Europawahl teilnimmt – trotz Brexit. Könnte das eine Chance sein, dass es sich die Briten doch noch mal anders überlegen mit dem Austritt? Fänden Sie das wünschenswert?

Wir sollten jede Chance nutzen, die EU zusammenzuhalten. Bei den Kommunalwahlen in Großbritannien sind kürzlich die Parteien, die für den Brexit waren, abgestraft worden. Die Konservative Partei hat ein Drittel ihrer kommunalen Mandate verloren. Labour hat auch beträchtlich verloren. Die proeuropäischen Liberaldemokraten hingegen haben gewonnen und unabhängige Proeuropäer auch. Die Europawahl ist auch ein Test, wie die Stimmung in Großbritannien wirklich ist. Wenn proeuropäische Parteien gut abschneiden, führt das sicher noch mal zu einem Umdenken in Großbritannien.


Sie haben schon 2016, als Sie noch nicht Ministerpräsident waren, ein Papier veröffentlicht mit dem Titel "Auf die Herausforderungen unserer Zeit antworten: Mehr Europa!" Sie fordern darin etwa einen europäischen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge, eine europäische Wirtschaftsregierung und einen europäischen Finanzminister. Stehen Sie auch heute noch dazu?

Ja, die Antwort auf die Herausforderungen ist auch heute: mehr Europa. Große Projekte und Vorhaben brauchen viel Abstimmung, das braucht Zeit. Das ist nicht nur auf europäischer Ebene so. Man wird sehen müssen, für was sich zu welchem Zeitpunkt Mehrheiten in der EU gewinnen lassen.

Wie sieht es mit dem Verteilungsschlüssel aus, mit dem Flüchtlinge gerecht auf die europäischen Staaten verteilt werden sollen? Es gibt den Mechanismus bis heute nicht.

Viele in Mittel- und Osteuropa lehnen die Verteilung und Aufnahme von Flüchtlingen ab. Derzeit ist ein gerechtes System hier also nicht realistisch. Aber in der Sache halte ich es nach wie vor für fair und gerecht. Jedes Land muss seinen Beitrag leisten. Insbesondere die Staaten, die viele Milliarden an Strukturhilfen von der Union bekommen.

Was ist mit der europäischen Wirtschaftsregierung?

Frankreich und Deutschland haben gerade im Januar dieses Jahres mit dem Aachener Vertrag noch einmal bekräftigt: Wenn man eine gemeinsame Währung hat, braucht es auch eine gemeinsam koordinierte Wirtschaftspolitik. Auch hier brauchen wir mehr Europa, damit der ganze Kontinent wettbewerbsfähig bleibt.

Anzeige: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet ruft gemeinsam mit Kirchen und Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften und der Wirtschaft zur Teilnahme an der Europawahl auf. Lesen Sie den Wahlaufruf hier.

Und der Finanzminister?

Derzeit kann die EU bei Ländern, die die Schuldenkriterien nicht einhalten, erst nachträglich eingreifen. Es wäre grundsätzlich effektiver, wenn ein gemeinsamer Finanzminister vorher auf solche Mitgliedstaaten einwirken könnte. Das sind aber Projekte für die Zukunft.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat diese Forderungen aber kürzlich auch erhoben. Hat Deutschland auf seinen Vorstoß zu zögerlich reagiert?

Ich hätte mir gewünscht, dass Deutschland Macrons Vorstoß positiver aufgreift. Er blickt in die Zukunft. Nicht alles ist heute sofort politisch durchsetzbar, aber von Macrons Impulsen dürfen wir uns auch ab und zu anstecken lassen.

Was sind Europas dringendste Probleme?

In den nächsten Wochen müssen wir dafür sorgen, dass es nach der Wahl konstruktive, proeuropäische Mehrheiten gibt. Wir brauchen schnell eine neue handlungsfähige EU-Kommission. Wir stehen vor einem neuen Handelskonflikt mit den USA. Der scheidende EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat mit dem gesamten Gewicht der EU im Weißen Haus erreicht, dass dieser Konflikt eingefroren ist. Da wird es nach der Europawahl wieder Verhandlungen geben müssen.

Was steht danach an?

Die Frage der technologischen Entwicklung ist entscheidend. Wenn wir mit China etwa bei der künstlichen Intelligenz mithalten und die Entwicklung nach unseren Wertestandards gestalten wollen, dann brauchen wir hier eine Bündelung aller Forschungsaktivitäten, eine Vernetzung unserer Kompetenzen. Außerdem steht die große Frage an, die gerade viele junge Menschen zu Demonstrationen auf die Straße bringt: Was können wir zum Klimaschutz beitragen? Auch da helfen europäische Antworten.

Sie sprechen den EU-Kommissionspräsidenten an. Viktor Orban hat angekündigt, den EVP-Kandidaten Manfred Weber nicht zu unterstützen. Was halten Sie davon?

Das ist ein schlechtes Signal und schlechter Stil. Die EVP hat viel Geduld mit seiner Partei Fidesz aufgebracht. Das Rennen um den Posten des EU-Kommissionspräsidenten wird das aber nicht entscheiden.

Kann Fidesz so noch Teil der EVP bleiben?

Das wird sich zeigen. Ich finde aber: Abgeordnete, die der EVP-Fraktion angehören wollen, sollten jedenfalls auch den Kommissionskandidaten der EVP unterstützen.

Die Mehrheit für Manfred Weber dürfte so oder so sehr knapp werden. Wenn es am Ende Spitz auf Knopf steht, muss man dann kompromissbereit für andere Kandidaten bleiben? Der Brexit-Chefverhandler Michel Barnier wird ja zum Beispiel als Alternative zu Manfred Weber gehandelt.

Die EVP hat sich für einen sehr guten Spitzenkandidaten entschieden, aus Deutschland, mit viel Erfahrung im europäischen Parlament. Das Parlament – unabhängig von den Parteien – sagt: Wir haben das Modell des Spitzenkandidaten als Schritt zu mehr Demokratie durchgesetzt. Ich glaube nicht, dass das Parlament jetzt leichtfertig Hinterzimmergeschacher akzeptieren wird.

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Sie haben den Klimaschutz als wichtiges EU-Thema genannt. Muss die EU beim Klimaschutz mehr tun?

Die EU hat für den Energiesektor schon einen europäischen Zertifikatehandel etabliert. Der funktioniert im Grundsatz. Die Kernfrage ist: Wie können wir das auf das Wohnen und den Verkehr übertragen. Dort findet allein ein Drittel des CO2-Ausstoßes statt. Der Energiesektor hat seinen Beitrag zu den Klimaschutzzielen geleistet und wird ihn in Deutschland durch den Ausstieg aus der Kohle weiter leisten. In den Bereichen Verkehr und Wohnen können wir noch viel mehr tun. Hier ist die EU als Ganzes gefragt. Vor allem aber muss jeder Mitgliedstaat seinen Beitrag leisten.

Sind Sie für eine CO2-Steuer?

Die Frage ist: Was meint CO2-Steuer konkret? Wenn es darum geht, die Mineralölsteuer zu erhöhen, dann ist das keine besonders originelle Idee. Die Gutverdienenden können es locker bezahlen, wenn der Sprit teurer wird, Menschen mit weniger Einkommen bekommen Probleme. Eine solche CO2-Steuer hätte auch keine Lenkungswirkung. Sie muss einen Anreiz schaffen, CO2 zu reduzieren. Sie darf nicht zum Abkassieren des Staates führen und muss sozial ausgewogen sein.

Wie könnte das funktionieren?

Da gibt es verschiedene denkbare Wege. Man könnte den Gedanken des europäischen Zertifikatshandels auf den Verkehr und das Wohnen ausweiten. Man könnte in der energetischen Gebäudesanierung Anreize schaffen. Man könnte die Stromsteuer senken und CO2 höher bepreisen. Wir müssen jetzt jedenfalls konstruktiv versuchen, ein tragfähiges Modell zu finden.

Die Ausweitung des europaweiten Emmissionshandels auf andere Sektoren würde ja eine Zustimmung in anderen EU-Staaten erfordern. Ist das realistisch?

Es gibt Modelle, in denen sich einzelne Staaten an das Zertifikatesystem anschließen können. Die EU muss ihre europäischen Ziele im Klimaschutz erreichen. Aber die einzelnen Länder müssen auch ihre eigenen Ziele erreichen. Wenn das einem Land nicht gelingt, muss es Strafzahlungen an die EU leisten. Da geht es um viele Millionen Euro. Das Geld sollten wir lieber aktiv in Maßnahmen investieren, die effektiv zur CO2-Reduktion führen. Und zwar mit marktwirtschaftlichen Mitteln und nicht mit Verboten.

Deutschland sollte also vorangehen, auch wenn es keine europäische Lösung gibt?

Wir haben Klimaziele, die wir erreichen wollen, die auch festgeschrieben sind. Mit Blick auf 2020 sehen wir klar, wir müssen künftig mehr tun. Wir haben den Anspruch, diese Ziele 2030 zu erfüllen, wie sie völkerrechtlich vorgeschrieben sind. Da brauchen wir für uns Entscheidungen und können nicht auf andere warten.


Auch im Energiesektor bleibt noch eine Frage: Wo bekommen wir künftig den Strom her, wenn wir uns nicht von Russland abhängig machen wollen?

Wir brauchen in der politischen Debatte über den Klimaschutz mehr Realismus. Ich höre immer nur Beispiele, woraus wir angeblich alles aussteigen müssen. Wir sind Ende 2018 aus der Steinkohle ausgestiegen, wir steigen 2022 aus der Kernenergie aus, wir wollen bis 2038 aus der Braunkohle aussteigen. Wenn neue Stromtrassen vom Norden in den Süden Deutschlands gelegt werden, demonstrieren Bürgerinitiativen dagegen, gegen die Nord-Stream-2-Leitung für Gas aus Russland gibt es ebenfalls Protest, Fracking-Gas aus den USA wollen einige auch nicht – zugleich wissen wir aber, dass Norwegen und die Niederlande ihre Gasproduktion zurückfahren. Man kann ein Industrieland wie Deutschland nicht betreiben, indem man zu allem Nein sagt. Deshalb brauchen wir jetzt für eine Übergangszeit Gas, weil es umweltfreundlicher als Kohle ist. Und dann brauchen wir dringend neue Speichertechnologien und Stromtrassen für die regenerativen Energien. Das Speichern ist der Schlüssel zur Energiewende.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit dem Ministerpräsidenten am Telefon
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