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Brexit – CSU-Politiker Manfred Weber über den EU-Austritt: "Ich bin es Leid"


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Manfred Weber über den Brexit
"Ich bin es leid"

InterviewEin Interview von Tatjana Heid und Jonas Schaible

Aktualisiert am 19.03.2019Lesedauer: 7 Min.
Manfred Weber (CSU): Der Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei hat gute Chancen, nächster Kommissionspräsident zu werden.Vergrößern des Bildes
Manfred Weber (CSU): Der Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei hat gute Chancen, nächster Kommissionspräsident zu werden. (Quelle: Axel Schmidt/reuters)

Das britische Parlament findet keine Lösung für den Brexit – ein zweites Referendum wäre ein Ausweg, sagt Manfred Weber. Auch noch vor der Europawahl im Mai.

Im Mai steht die Europawahl an – und der CSU-Politiker Manfred Weber hat als Spitzenkandidat der konservativen EVP die besten Chancen, danach das wichtigste Amt der EU zu besetzen: das des Kommissionspräsidenten.

Vorher aber stehen noch enorm wichtige Entscheidungen an: Großbritannien muss eigentlich die EU verlassen, will aber einen Aufschub. Ein Vorschlag, was das Land mit der gewonnenen Zeit anfangen will, gibt es jedoch nicht. Am Donnerstag und Freitag, wenn in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der EU zusammenkommen, soll über den Fortgang entschieden werden.

Und am Mittwoch will die EVP festlegen, ob sie die ungarische Fidesz-Partei des Ministerpräsidenten Viktor Orban wegen wiederholter Verstöße gegen demokratische Prinzipien aus der Parteienfamilie ausschließt.

Herr Weber, diese Woche erwartet Sie vermutlich Post: Wie wird die EU auf den Verlängerungsantrag aus Großbritannien reagieren?

Manfred Weber: Der Brexit und die Brexit-Entwicklung sind eine große Tragödie. Und wir müssen aufpassen, dass die Unsicherheit nicht auch auf die gesamte EU überschwappt. Die Bürger Europas entscheiden bei der Europawahl Ende Mai über die Zukunft der EU –und da kann es nicht sein, dass ein Land mitwählt, das diese Zukunft nicht will. Deswegen stehe ich einer Verlängerung sehr reserviert gegenüber, sollte es nicht ein eindeutiges Ziel dahinter geben. Alle Entscheidungen müssen also Planungssicherheit für Europa und rechtliche Sicherheit für die Europawahl gewährleisten.

Wie könnten die Briten Ihre Skepsis aufheben?

Wir verhandeln seit drei Jahren, alle 28 EU-Staaten – inklusive der britischen Regierung – haben zugestimmt, dazu die drei EU-Institutionen. Da bin ich nicht mehr bereit, dieses Spiel unendlich lange mitzuspielen. Die Optionen liegen auf dem Tisch: Wir haben die Schweiz oder Norwegen, die wirtschaftlich eng an die Europäische Union angebunden sind. Wir haben ein sehr weitgehendes Freihandelsabkommen mit Kanada. Es gibt genug Möglichkeiten, eng mit der EU zusammenzuarbeiten, ohne Mitglied zu sein. Die Politik in London muss sich für einen Weg entscheiden. Und wenn das britische Unterhaus dazu nicht in der Lage ist, ist es nur logisch, das Mandat an die britischen Bürger zurückzugeben und sie entscheiden zu lassen, ob der ausgehandelte Vertrag akzeptabel ist oder nicht.

Ist für ein zweites Referendum die Zeit nicht etwas knapp?

In Großbritannien kann die Premierministerin jederzeit Neuwahlen ausrufen, die dann innerhalb weniger Wochen stattfinden. Wenn das bei Wahlen funktioniert, kann man auch innerhalb von wenigen Wochen ein Referendum abhalten. Es ist allein eine Frage des politischen Willens. Und diskutiert ist das Thema ja wohl genug. Ich bin es leid, dass wir uns die gesamte europäische Agenda von der Innenpolitik in Großbritannien bestimmen lassen. Wir haben die Hand mehrfach ausgestreckt. Wir waren auch bei den letzten Verhandlungen bereit, auf Großbritannien zuzugehen. Und es wächst das Gefühl bei vielen: Es reicht. Jetzt ist London dran.

Sollte ein zweites Referendum ergeben, dass die Briten doch in der EU bleiben wollen: Wie sollen sie in der kurzen Zeit dann noch eine Europawahl auf die Beine stellen?

Wenn man von Vorneherein alles für unmöglich erklärt, wäre oftmals eine vernünftige Lösung nicht mehr möglich. Das will ich nicht. Wir haben noch zweieinhalb Monate bis zur Europawahl. Das ist eine sehr lange Zeit, wenn man politisch will. Theresa May und Jeremy Corbyn, Regierung und Opposition müssten sich in dieser Schicksalsstunde ihres Landes zusammensetzen und einen Kompromiss finden.


Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass der Brexit der EU noch mehr schadet, als er es ohnehin schon tut? Dass die Einigkeit der EU ganz am Ende doch noch zerbricht?

Sowohl im Europäischen Parlament als auch zwischen den Staats- und Regierungschefs herrscht nach wie vor große Geschlossenheit. Auch der Frust über die Nichtentschlossenheit unserer britischen Freunde wird breit geteilt, das kann man ja nicht wegdiskutieren. Es ist so offensichtlich, dass die EU und Großbritannien miteinander besser dran wären. Die Tragödie hat aber auch einen positiven Effekt: Die Zustimmung zur EU wächst europaweit deutlich. Auch die Bereitschaft der Deutschen, sich an der Europawahl zu beteiligen, ist Umfragen zufolge so hoch wie nie, weil die Menschen jetzt spüren, wie wichtig die EU ist. Ich würde sogar noch weitergehen: Wir haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren in der Verteidigungspolitik Fortschritte erzielt, weil Großbritannien nicht mehr beteiligt ist und eine Blockadenation wegfällt. Aus dem Schock des Brexits kann auch eine positive Dynamik für die EU entstehen.

Also ist der Brexit die beste Werbung für die EU?

Der Brexit bleibt eine Tragödie und alle Seiten verlieren. Der ausgehandelte Vertrag ist für beide Seiten kein Gewinn, aber ein guter Kompromiss. Jetzt müssen wir den Weg auch gehen.

Zur zweiten Streitfrage dieser Woche: Ihre Parteienfamilie, die Europäische Volkspartei (EVP), entscheidet am Mittwoch, ob sie die Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban ausschließen soll. Wie lautet Ihre Empfehlung?

Für uns ist wichtig, dass wir als Parteienfamilie gemeinsame Werte teilen. Ich habe als Grundlage drei Kriterien definiert, die erfüllt sein müssen, damit weitere Gespräche mit Viktor Orban überhaupt Sinn ergeben. Eine Entschuldigung bei der EVP. Ein Ende der Anti-EU- und Anti-Juncker-Plakatkampagne. Und ein Weiterbestehen der Central European University (CEU) in Budapest. Natürlich gibt es viele weitergehende Fragen der Rechtsstaatlichkeit und von demokratischen Grundprinzipien, die darüber hinaus debattiert werden müssen.

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Verstehen wir das richtig: Erfüllt Orban diese Kriterien nicht, fliegt der Fidesz raus. Erfüllt er sie, wird weiter gesprochen – aber mit ungewissem Ausgang?

Ich wollte wissen: Macht es überhaupt noch Sinn, miteinander zu reden, oder hat Viktor Orban daran gar kein Interesse mehr. An dieser Stelle möchte ich klarstellen: Es geht dabei nicht um Migrationspolitik. Es geht um Anti-EU-Stimmung und um Rechtsstaatlichkeit.

Die Venedig-Kommission des Europarats hat schon nach den ungarischen Verfassungsreformen 2011 festgestellt, dass Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verletzt werden. Orban hat 2014 erklärt, er wolle eine illiberale Demokratie, obwohl sich die EVP zur liberalen Demokratie bekennt. Der Fidesz müsste neun Jahre Regierungspolitik rückgängig machen – was gibt es da noch zu bereden?

Mit vielen dieser Fragen hat sich die EVP, hat sich die EU bereits befasst. Verfassungsreform, Ausscheiden von Richtern, Mediengesetz: Da hat die EU-Kommission Vertragsverletzungsverfahren angestoßen, Ungarn hat die Gesetze angepasst, die Verfahren wurden abgeschlossen. Das müssen wir akzeptieren.

Viktor Orban war der Erste, der in der EU Demokratie und Rechtsstaat geschleift hat und damit durchkam. Man hätte als EVP schon früher mit Ausschluss drohen können. Sie hätten 2017, als es um die CEU ging, für das Artikel-7-Verfahren stimmen können. Das haben Sie nicht getan. Haben Sie zu lange zugeschaut?

Ich finde, dass die EU generell neue Instrumente braucht, um unseren European Way of Life zu schützen. Es geht darum, das gegenwärtige EU-Recht durchzusetzen, und das ist passiert. Viktor Orban ist immer einen Schritt zu weit gegangen, aber er war auch immer verhandlungsbereit. Das hat sich offenbar geändert. Als er im vergangenen Herbst nicht mehr bereit war, auf die EU zuzugehen, habe ich gesagt: Jetzt ist Schluss. Daraufhin hat die EVP der Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens nach Artikel 7 zugestimmt.

Sie haben einen neuen Mechanismus vorgeschlagen, um Verstößen gegen Demokratie und Rechtsstaat künftig begegnen zu können. Sie schlagen ein Expertengremium aus neun ehemaligen Richtern vor. Wer soll die bestimmen?

Das müssen wir im Gesetzgebungsverfahren mit Rat und Parlament klären. Das wäre etwa im Konsens möglich zwischen Kommission, Rat und Parlament, aber da bin ich noch nicht festgelegt. Entscheidend ist, dass es sich um anerkannte, unabhängige, parteipolitisch neutrale Experten handelt. Ich stelle mir beispielsweise ehemalige Verfassungsrichter oder Richter am EuGH vor.

Der Rat müsste aber formal ins Institutionengefüge eingebunden werden, oder? Bräuchte es da nicht dann Vertragsänderungen?

Nicht unbedingt. Erst einmal würde ich als Kommissionspräsident einen Gesetzgebungsvorschlag auf den Tisch legen, der auch Sanktionen garantiert, sodass wir Geld aus Fonds kürzen können. Sollte schon der Gesetzesvorschlag blockiert werden, kann ich als Kommissionspräsident trotzdem den Expertenrat berufen und auch die Kommission darauf verpflichten, dessen Empfehlungen dem EuGH vorzulegen. Das würde ich so machen.

Das ist ein Projekt für eine mögliche Amtszeit. Wir haben vier zentrale Fragen herausgesucht und wüssten gern knapp, wie Sie sich als Kommissionspräsident dazu verhalten würden. Sie haben gesagt, Sie träumen von einem Europa, in dem alle den gleichen Lebensstandard haben. Wie wollen Sie das erreichen?

Es geht um Chancengerechtigkeit in Europa. Ich will die Regionalförderung überarbeitet fortführen und stärken, die gerade in Mittel- und Osteuropa enorme Schübe gebracht hat. Wir müssen zum Beispiel Hochtechnologie und Exzellenz in der Forschung auch nach Bukarest und Krakau bringen. Die EU kann außerdem Geld, Weiterbildungen, Schulungen und Umstrukturierungen anbieten, um die sozialen Härten auszugleichen, wenn Branchen und Regionen unter Handelsverträgen leiden. Diesen Globalisierungsfonds sollten wir mehr nutzen.

Durch Steuerflucht und Steuervermeidung entgehen den Staaten jedes Jahr Dutzende Milliarden, zugleich profitieren EU-Staaten wie Luxemburg, Irland, Niederlande oder auch Deutschland. Was tun?

In Steuerfragen geht aktuell der Egoismus vor Gerechtigkeit. Alle EU-Staaten müssen einstimmig beschließen, das Steuerrecht zu reformieren – so ändert sich nichts. Zumindest im Bereich der Unternehmensteuer und dem Abschreibungsrecht muss es gelingen, die Einstimmigkeit zu überdenken.

Dazu müssten dann allerdings alle zustimmen, dass künftig nicht mehr alle zustimmen. Wie kann der Kommissionspräsident davon abgesehen Druck machen?

Ich würde zum Beispiel mal zum Finanzministerrat fahren, auch auf Arbeitsebene, was bisher noch nie vorgekommen ist. Und dann sagen: Es geht so nicht mehr weiter, Freunde. Wir müssen Steuerflucht zum Topthema machen.

Sie wollen die Beitrittsgespräche mit der heute autokratischen Türkei beenden. Wie sieht es mit den realistischeren Beitrittskandidaten aus: Montenegro, Serbien, auch Nordmazedonien und Albanien?

Es gibt viel Skepsis gegenüber Erweiterungen in der EU. Der westliche Balkan braucht eine EU-Perspektive, ohne Frage. Aber wir sollten besser Schritt für Schritt vorgehen: Erst einmal die Länder wirtschaftlich anbinden, den Studentenaustausch intensivieren, Roaming-Gebühren abschaffen oder in Energiefragen enger kooperieren, statt alle Themen gleichzeitig zu verhandeln. Und erst am Ende stünde eine Erweiterung. Das würde Ängste und Sorgen vor Erweiterungen mindern.


Schließlich die Menschheitsfrage Klimaschutz: Was wären Ihre wichtigsten Maßnahmen als Kommissionspräsident?

Die EU ist das Flaggschiff des Klimaschutzes, wir haben schon viel auf den Weg gebracht, wir sind ambitioniert. Diesen Weg möchte ich fortsetzen. Es geht jetzt um Umsetzung vor neuen Ankündigungen.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Interview in München
  • t-online.de: Überblicksseite zur Europawahl
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