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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rote gegen schwarze EU So verschieden sind die Europa-Ideen von SPD und Union
Mindestlohn und Mitbestimmung oder
Die Europawahl im Mai wird ziemlich wichtig. Da sind sich SPD und Union einig. Sie soll stark sein, diese Europäische Union, auch das sagen beide. Und mehr Zusammenhalt braucht es in Europa.
Das war es aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. SPD und Union ziehen mit bemerkenswert unterschiedlichen Themen in den Wahlkampf. Es ist nicht einmal so, dass sie unterschiedliche Antworten auf dieselben großen Fragen geben würden. Sie haben ganz andere Vorstellungen davon, wie die großen Fragen überhaupt lauten.
Während die SPD auf soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz zielt, spricht die Union vor allem über Migration und Wirtschaft. Was den einen wichtig ist, spielt bei den anderen kaum eine Rolle. Es stehen also nicht nur zwei Parteien zur Wahl, sondern zwei grundverschiedene Ideen der Europäischen Union, ihrer Aufgaben und Ziele: ein rotes Europa und ein schwarzes Europa.
Von Rechtsradikalen und "Lauen"
Die SPD hat ihr Europawahlprogramm am Samstag auf einem Parteikonvent in Berlin verabschiedet. Sie beschwor dabei ein Europa, das in Gefahr sei und warb für mehr Herzblut. Die Gefahr geht für sie von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen aus. An Herzblut für Europa mangele es aber nicht nur ihnen, sondern auch den "Lauen", wie SPD-Chefin Andrea Nahles es etwas gewöhnungsbedürftig formulierte. Denjenigen also, denen Europa eher egal ist, womit sie explizit die Union und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ansprach.
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Die SPD stellt ihre Vision eines "sozialen Europas" dagegen. Sie hat die soziale Spaltung als Grundproblem Europas ausgemacht und will mit deren Bekämpfung die Gefahren bannen. Es ist der sozialdemokratische Klassiker. Nicht Banken und Unternehmen, sondern die Menschen sollen in diesem Europa im Mittelpunkt stehen.
Herzstück europäischer Mindestlohn
Arbeitnehmer sollen mehr mitbestimmen können in ihren Betrieben, jeder junge Mensch soll einen Teil seiner Ausbildung im Ausland absolvieren können. Das Herzstück der Vorhaben zur sozialen Gerechtigkeit ist der europäische Mindestlohn. Wenn die SPD über ihn spricht, bemüht sie das Beispiel des Paketzustellers. Der arbeite selbst in Deutschland unter menschenunwürdigen Zuständen. Diese Ausbeutung wolle man stoppen – mit dem europäischen Mindestlohn. Das Argument geht so: Viele der schlechtbezahlten Zusteller kommen aus Osteuropa. Sie lassen sich hier nicht freiwillig ausbeuten, sondern sind in Deutschland, weil sie in ihrer Heimat noch unwürdiger leben müssten. Ein europäischer Mindestlohn soll das ändern.
Aber er soll auch die Löhne in Deutschland steigen lassen, wie die SPD betont. Sie stellt ihn sich nicht als absolute Zahl vor, es soll also nicht in jedem Land zehn Euro Mindestlohn geben. Das würde die Wirtschaft einiger Länder wohl überfordern. Der Mindestlohn soll für jeden EU-Staat eigens berechnet werden und nach Vorstellung der SPD bei 60 Prozent des Medianeinkommens liegen. Für Deutschland wären das laut SPD zwölf Euro. Deutlich mehr als derzeit.
Buchhändlerin zahlt Steuern, Amazon soll das auch tun
Doch nicht nur der Paketzusteller, auch die Buchhändlerin an der Ecke spielt für das "soziale Europa" der SPD eine große Rolle. Nämlich immer dann, wenn die Partei über Steuergerechtigkeit spricht. Wenn die Buchhändlerin brav ihre Steuern zahle, müssten das Amazon und Co. auch tun. Und wenn sich eine solche Digitalsteuer nicht europaweit durchsetzen lassen sollte, will die SPD sie zumindest zusammen mit einigen Staaten umsetzen.
Beim Klimaschutz sucht die SPD deutlich die Nähe der "Fridays for Future"-Bewegung. Sie lobt die Schüler und ließ einige auch auf dem Parteikonvent zu Wort kommen. Die europäischen Klimaschutzziele will die Partei anheben und den europäischen Energiemix stärker auf Erneuerbare ausrichten. Doch die SPD betont auch hier, dass man die einzige Partei sei, die Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit zusammenbringe. Die also auch schaut, was bei all dem Klimaschutz mit den Arbeitsplätzen in Deutschland passiert. Der Versuch einer Abgrenzung zu den Grünen.
Der konservative "Markenkern"
CDU und CSU verabschiedeten ihr gemeinsames Programm nicht auf einem Parteitag, sondern in den Parteivorständen. Es klingt so, wie eine Union klingt, die sich komplett auf das besinnt, was heute gern "Markenkern" genannt wird. Also auf die Themen Wirtschaft, innere Sicherheit, Migrationskontrolle und Verteidigung. Das sind die Themen, in denen die Unionsparteien von den Wählern üblicherweise deutlich höhere Kompetenz zugeschrieben bekommen als die Konkurrenz. Es sind aber auch diejenigen Themen, die in den vergangenen Jahren im Zentrum standen, wenn bemängelt wurde, die Union sei nicht mehr sie selbst.
Im Wahlprogramm heißen die drei Schwerpunkte deshalb: Wohlstand, Sicherheit und Frieden. Unter Wohlstand versprechen die Unionsparteien soziale Marktwirtschaft, Freihandel, keine Staatsschulden, keine Vergemeinschaftung von Schulden, keine europäische Arbeitslosenversicherung, keine Bankenrettung, Schaffung eines europäischen Wirtschaftsfonds, Förderung von künstlicher Intelligenz und Digitalisierung. Außerdem zwar keine Lenkung durch den Staat, aber die Förderung von "Europäischen Champions", also Weltunternehmen.
Sicherheit bedeutet Terrorabwehr und Abwehr von Migranten
Im Kapitel zur Sicherheit geht es neben Terrorabwehr und einem europäischen FBI vor allem um Migration. Genauer: um die Abwehr von Migranten. Dazu soll Frontex zur Grenzpolizei ausgebaut, Schlepper sollen bekämpft, Grenzen intensiver kontrolliert werden. Was mit den Flüchtlingen passieren soll, wenn sie im Land sind, wird kaum thematisiert.
Im Kapitel Frieden fordern CDU und CSU eine Fortsetzung der Russland-Sanktionen, die Schaffung eines neuen EU-Sicherheitsrats und vor allem eine Verteidigungsunion – mit einer gemeinsamen Armee schon bis 2030. Das heißt auch: Mehr gemeinsame Rüstungsprojekte, mehr Kooperation, Reduktion der unterschiedlichen Waffensysteme und eine neue Cybereinheit.
Das Programm sei kurz, aber ein Vollprogramm, sagte CSU-Generalsekretär Markus Blume. Die anderen Themen werden aber deutlich schneller abgehandelt, die meisten davon in kurzen Absätzen in der Präambel. Überraschend: Im Programm findet sich die Forderung nach einer CO²-Bepreisung, wie sie der Unternehmerflügel der Union vertritt. Allerdings auf globaler Ebene, oder notfalls im Rahmen der G20. Einseitig vorangehen soll Europa nicht.
Das politische System bleibt weitgehend unangetastet
Weitgehend einig sind sich die Parteien in ihrer Vorstellung der EU als System: Die Union betont die Souveränität der Nationalstaaten und Regionen stärker, die SPD will ein Wahlrecht ab 16 – aber beide verteidigen das politische System, wie es ist. Beide wollen das Europaparlament stärken und ihm ein Gesetzesinitiativrecht geben. Beide setzen sich nicht für mehr direktdemokratische Entscheidungen ein.
Doch legt man beide Programme nebeneinander, fallen die Unterschiede auf, auch wenn es ausnahmsweise mal um die gleichen Themen geht: So spricht die Union ausführlich über die Begrenzung von Migration, sie interessiert sich vor allem für die Situation an der Grenze; die SPD befasst sich nur kurz mit dem Thema – und dann besonders mit der Situation der Flüchtlinge in Europa.
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Die SPD betont die Notwendigkeit des Klimaschutzes als Selbstzweck; die Union denkt Klimapolitik als Teil der Wirtschaftspolitik, die den Wirtschaftsstandort nicht schwächen darf. Die Union macht gemeinsame Verteidigung zu einem zentralen Teil der Kampagne; die SPD sagt, man wolle keine rüstungspolitischen Abenteuer. Also keinen europäischen Flugzeugträger.
- Eigene Recherchen
- Beobachtungen beim Parteikonvent der SPD zur Europapolitik
- Livestream der Unions-Pressekonferenz zum Europaprogramm
- Wahlprogramm der SPD (PDF)
- Wahlprogramm der Union (PDF)