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EU-Asylplan: Migrations-Reform droht zu scheitern – das ist der Grund


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Asylbewerber
"Die Staaten vertrauen einander nicht"


Aktualisiert am 29.04.2023Lesedauer: 5 Min.
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Migranten kommen auf spanischem Boden an, nachdem sie die Zäune zwischen Marokko und der spanischen Enklave Melilla überwunden haben (Archivbild). (Quelle: Javier Bernardo/AP/dpa/dpa)
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Mehr Abschiebungen, mehr Kontrolle: Die EU will ihr Asylsystem reformieren. Doch sie scheitert daran, Probleme aus dem Weg zu räumen.

Es soll der große Wurf werden: Die EU will ihr Asylsystem reformieren. Das Ziel: Irreguläre Migration begrenzen, alle Ankommenden registrieren, Ausreisepflichtige schneller abschieben. Seit Jahren schon arbeitet Brüssel an einer solchen Reform, mehrere Versuche scheiterten bereits. Nun aber scheint der politische Druck groß genug zu sein, um eine Einigung zu erzielen.

Ein Kernstück der Reform sind die Neuregelungen an den Außengrenzen. Dort sollen künftig – so sieht es der Plan vor – alle irregulär eingereisten Migranten systematisch registriert werden. Neben diesem sogenannten Screening sollen auch beschleunigte Asylverfahren möglich sein – um die Person im Zweifelsfall schnell wieder abschieben zu können.

Was soll sich verbessern?

Von diesem Verfahren verspricht sich die EU einige Vorteile. So wird etwa die Einreise in die EU einheitlichen Standards unterworfen. Die Staaten wissen dann genauer, wer in die EU einreist – und verhindern damit, dass Menschen sich wochenlang unerkannt und unregistriert durch die EU bewegen. Außerdem, darauf pocht besonders das Parlament, soll die Menschenrechtslage an der Grenze stärker und stringenter überwacht werden. Denn immer wieder kommt es dort zu Rechtsbrüchen wie gewaltsamen Zurückweisungen von Migranten und illegalen Inhaftierungen an geheimen Orten, über die etwa das ARD-Magazin "Monitor" berichtete.

Doch es gibt viele offene und ungeklärte Fragen. Die EU-Staaten sind in der Migrationsfrage so tief gespalten, dass das gesamte Vorhaben zu scheitern droht. Ein Überblick über drei große Probleme:

Das Verantwortungsproblem

Die Asylbewerber werden an der Grenze registriert, und dann? In vielen Fällen ist der erste EU-Staat zuständig, in dem sie angekommen sind. Ausnahmen gibt es etwa, wenn Familienangehörige in einem anderen EU-Land leben. Reisen etwa in Italien erstregistrierte Personen dennoch weiter, zum Beispiel nach Deutschland, könnte die Bundesregierung diese Menschen theoretisch wieder nach Italien abschieben. So sieht es das sogenannte Dublin-Verfahren vor.

Doch die Zuständigkeitsfrage ruft seit Jahren Streit innerhalb der EU hervor. Besonders Staaten mit EU-Außengrenzen – Griechenland, Italien, Zypern – kritisieren, sie seien in diesem System den Binnenländern gegenüber benachteiligt, weil sie maßgeblich für die Erstregistrierung verantwortlich sind. Mittlerweile umgehen sie das Problem teilweise mit Tricks: So hat die italienische Regierung im Dezember eigenmächtig das Dublin-Abkommen ausgesetzt und nimmt nun keine in Italien registrierten Menschen mehr zurück.

Das Problem aber, dass die Mittelmeerstaaten übermäßig belastet sind, packt auch die Reform nicht an. Lediglich in Krisensituationen soll ein Solidaritätsmechanismus greifen: Die Länder sollen sich dann aussuchen können, ob sie Menschen aufnehmen oder Hilfe an die Grenze senden. Experten zweifeln deswegen daran, dass es zu einer Einigung kommt: "Die Staaten vertrauen einander nicht", sagt Constantin Hruschka, Experte für europäisches Migrationsrecht am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik.

Der Jurist hält es für unwahrscheinlich, dass Staaten wie Italien der Reform zustimmen werden, solange es keine Garantien gibt, dass andere Staaten Asylbewerber aus den Ankunftsstaaten übernehmen. "Dazu kommt, dass die aktuelle italienische Regierung generell Regelungen ablehnt, die die eigene Souveränität zusätzlich beschneiden", sagt Hruschka.

Das Zeitproblem

Fünf Tage fürs Screening, 12 Wochen für das beschleunigte Asylverfahren: So viel Zeit sollen die Behörden außerhalb von Krisenzeiten bekommen, um die Verfahren abzuschließen. In dieser Zeit darf das Ankunftsland die irregulär eingereisten Migranten festhalten. In Einzelfällen könnten die Menschen dazu inhaftiert werden, heißt es vonseiten der EU-Kommission. Kritiker etwa im EU-Parlament gehen hingegen eher davon aus, dass Inhaftierungen die Regel sein werden.

Die Fristen sind aus einem bestimmten Grund so knapp von der EU-Kommission angesetzt worden: "Eine der umstrittensten Diskussionen dabei war und ist, wie lange und unter welchen Bedingungen man Menschen an der Grenze im Einklang mit dem Völkerrecht festhalten kann", sagt Hruschka. Auch Raphael Bossong, Experte für EU-Innenpolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), weist auf diese grundsätzliche Frage hin: "Darf man Menschen einsperren, nur weil sie Asyl beantragen?" Er sagt: "Die EU könnte es schwer haben, dies rechtsstaatlich zu begründen."

Schreckensbild Moria

Und auch die Zeit dürfte zu knapp bemessen sein. "Auch in gut organisierten Staaten dauern die Verfahren derzeit oft länger", sagt Bossong. "Selbst wenn die Staaten die Verfahren straffen und Einspruchsmöglichkeiten der Migranten einschränken, wird das sportlich." Doch was passiert, wenn die Staaten die zeitliche Frist für die Verfahren nicht einhalten können? Lassen sie die Menschen dann einfach weiterziehen – ohne Registrierung?

Bossong hält das durchaus für möglich. Auch derzeit werden an den Außengrenzen nicht alle Menschen erfasst, auch, weil es die Staaten sonst überfordern würde. "Im Vergleich zu heute würde sich also nicht so viel ändern", sagt er. Denkbar ist außerdem, dass die Staaten die Menschen länger an der Grenze festhalten – und dort dann wieder große Flüchtlingslager entstehen.

Davor warnen Hilfsorganisationen, als Schreckensbild gilt dabei das 2020 abgebrannte Elendslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Auch Experten wie Bossong und Hruschka halten es für möglich, dass neue Lager entstehen.

Das Abschiebeproblem

Ein weiteres Problem ist die Abschiebe-Frage. Was passiert mit den Menschen, deren Asylantrag im Schnellverfahren an der Grenze abgelehnt wird? Der Plan sieht vor, dass die Menschen so schnell wie möglich abgeschoben werden.

Dafür, so will es zumindest die EU-Kommission, könnte eine Art Grauzone an der Grenze eingerichtet werden. Heißt: Die Migranten sind zwar de facto auf europäischem Boden, sie gelten aber als nicht eingereist. So soll es einfacher werden, Menschen ohne Aussicht auf Asylverfahren schneller zur Ausreise zu zwingen – etwa, weil die Einspruchsrechte gegen die Entscheidung so eingeschränkt werden können.

Auch dabei stehen EU und Mitgliedsstaaten vor ungelösten Fragen. Zwar hat die EU ihre Anstrengungen, mehr Menschen abzuschieben, zuletzt deutlich erhöht. So soll Druck auf Staaten ausgeübt werden, die ihre Staatsangehörigen nicht zurücknehmen wollen. Dennoch gibt es in vielen Fällen Probleme: Etwa, weil Papiere fehlen oder weil es keine Abkommen mit den Herkunftsstaaten gibt. Im Jahr 2021 etwa wurden in der EU nur 21 Prozent der ausreisepflichtigen Ausländer abgeschoben – im Vergleich zur Zielmarke von 70 Prozent.

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EU setzt auf Abschreckung

"Es bräuchte eigentlich ein Modell wie in Deutschland mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht", sagt EU-Experte Bossong. Also ein System, das Menschen eine Perspektive bietet, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die aber nicht abgeschoben werden können. "Das ist bislang auf EU-Ebene aber nicht vorgesehen." Nach Bossongs Einschätzung setzt die EU mit den schnellen Asylverfahren an der Grenze vor allem auf Abschreckung: Migranten mit wenig Aussicht auf Asyl sollen fernbleiben.

Ob das eintritt, bleibt abzuwarten. Für die Zeit dazwischen aber fehlt es an einer Lösung – und die Gefahr, dass es zu Lagern an der Grenze kommt, steigt.

"Der Druck, irgendetwas zu verabschieden, ist groß"

Derzeit befindet sich die Reform noch in der Diskussion. Das Parlament hat seine Position zum Kommissionsvorschlag von 2020 in der vergangenen Woche vorgestellt. Nun müssen sich noch die Mitgliedsstaaten auf einen gemeinsamen Ratsentwurf einigen. Ein entsprechendes Papier existiert bereits. Doch da scheint es noch enormen Redebedarf zu geben.

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Das Portal "Statewatch" veröffentlichte kürzlich ein Dokument, das die Kommentare und Änderungswünsche der Mitgliedsstaaten beinhaltet – es ist 106 Seiten lang. "Der Druck, irgendetwas zu verabschieden, ist nach all den Jahren der Verhandlung groß", sagt Bossong, und auch Hruschka teilt diese Meinung.

Dass aber die Reform tatsächlich der große Wurf wird und das bestehende Asylsystem nachhaltig verbessert, daran zweifelt Bossong. Auch Hruschkas Urteil fällt deutlich aus: "Bislang ist man sich nur einig, dass es notwendig wäre, für Krisensituationen eine Lösung zu finden."

Verwendete Quellen
  • Pressegespräch mit Constantin Hruschka, organisiert durch den Mediendienst Integration, 21. April
  • Telefon-Interview mit Raphael Bossong, 24. April
  • statewatch.org: Tracking the Pact: Member state comments on the Asylum and Migration Management Regulation and Asylum Procedure Regulation
  • Europäisches Parlament: REPORT on the proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council introducing a screening of third-country nationals at the external borders and amending Regulations (EC) No 767/2008, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240 and (EU) 2019/817
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