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Migration | Streit in der Bundesregierung: So hoch sind die Asylzahlen


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In Deutschland und der EU
So hoch sind die Asylzahlen tatsächlich


Aktualisiert am 24.04.2023Lesedauer: 5 Min.
Flüchtlingsunterkunft in der Turnhalle des Gymnasiums in Bayern: Im vergangenen Jahr kamen mehr als eine Million Ukrainer nach Deutschland.Vergrößern des Bildes
Flüchtlingsunterkunft in der Turnhalle eines Gymnasiums in Bayern: Im vergangenen Jahr kamen mehr als eine Million Ukrainer nach Deutschland. (Quelle: Wolfgang Maria Weber/imago-images-bilder)
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Union und Ampelregierung streiten sich über die Flüchtlingszahlen. Doch wie sieht die Lage derzeit aus? Und warum steigt die Zahl der Asylanträge so stark an?

Wie wichtig bei der Betrachtung von Zahlen Zeiträume sind, zeigte vergangene Woche ein Streit zwischen der Union und Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Dieser hatte sich an einer Aussage von Faeser entzündet. "Acht von zehn Geflüchteten kommen aus der Ukraine", sagte sie.

Die Innenministerin bezog sich dabei auf die offiziellen Flüchtlingszahlen seit Anfang 2022 – und so weit stimmte ihre Aussage. Aus der Union kam allerdings vehementer Widerspruch. Denn die Tendenz ist eine andere: In den ersten drei Monaten dieses Jahres habe es in Deutschland fast genauso viele neue Asylanträge wie Neuankömmlinge aus der Ukraine gegeben – jeweils rund 80.000.

Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg warf der Innenministerin deswegen vor, die Bevölkerung in die Irre zu führen. Eine Kritik, für die Middelberg wiederum selbst kritisiert wurde: Es mache keinen Sinn, Flüchtlinge gegeneinander aufzurechnen, Migration müsse ganzheitlich betrachtet werden, sagte FDP-Politiker Stephan Thomae.

Die geflüchteten Ukrainer tauchen in der Statistik der Asylanträge nicht auf. Das hat bürokratische Gründe: Für diese Fluchtbewegung gilt die Massenzustromrichtlinie. Ukrainer müssen also keine Asylanträge stellen, sondern werden direkt als schutzbedürftig anerkannt. Seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 hat Deutschland mehr als eine Million Ukrainer aufgenommen.

Tatsächlich steigen die Zahlen der Asylanträge auch ohne die Fluchtbewegung aus der Ukraine bereits seit 2020 jährlich an, wie die folgende Grafik zeigt. Wie sind diese Zahlen zu verstehen? Und was sind die Gründe für den Anstieg?

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Zahlen stiegen 2022 deutlich an

Die gesamte Zahl der Asylanträge ist nicht gleichbedeutend mit Neuzugängen. Es wird zwischen Erst- und Folgeanträgen unterschieden: Letztere stellen Migranten, deren Asylgesuch zuvor abgelehnt wurde. Ein erneutes Verfahren wird dann aufgenommen, wenn es etwa erhebliche Änderungen im Herkunftsland gab, wie es etwa 2021 in Afghanistan mit der Machtübernahme der Taliban der Fall war.

Ausschlaggebend für die Frage, ob mehr Menschen derzeit nach Deutschland kommen, ist also die Zahl der Erstanträge. Diese Zahl lag 2022 bei 217.000 – deutlich höher als noch 2021 und 2020, aber deutlich niedriger als in den Flüchtlingsjahren 2015 und 2016.

Für dieses Jahr zeichnet sich allerdings bereits eine weitere, deutliche Steigerung ab: Bereits bis Ende März wurden in Deutschland knapp 81.000 Erstanträge gestellt und tendenziell steigen die Anträge ab Sommer noch mal deutlich an – auch weil dann durch die günstigeren Wetterbedingungen mehr Menschen etwa über das Mittelmeer in die EU flüchten.

Doch auch bei dieser Zahl gibt es eine Einschränkung: Ein Teil der Erstanträge stammt von hier geborenen Kindern, deren Eltern schon zuvor nach Deutschland geflüchtet waren. 2021 machte das rund 17,5 Prozent der Anträge aus.

Zunahme von mehr als 50 Prozent in der EU

Schaut man auf die gesamte EU, haben die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr noch stärker zugenommen als in Deutschland. Die Statistikbehörde Eurostat hat zwar bislang nur Zahlen bis einschließlich Ende 2022 veröffentlicht, doch sie zeigen einen eindeutigen Trend: Im Vergleich zum Vorjahr steigen sie um 64 Prozent auf 881.200 Erstanträge. Dazu kommen mehr als 4,3 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine, die vor allem in den östlichen EU-Mitgliedstaaten untergekommen sind.

Von den Asylbewerbern nimmt Deutschland die meisten auf. Rechnet man das auf die Bevölkerungszahl herunter, rangiert die Bundesrepublik (Stand 2021) allerdings an zehnter Stelle. Mit weitem Abstand auf Platz eins liegt der Inselstaat Zypern.

Besonders sichtbar ist dieser Anstieg derzeit in Italien. Die Zahl der Ankünfte über das Mittelmeer hat sich im Vergleich zu 2022 vervierfacht: Mehr als 35.000 Ankünfte zählte das Innenministerium bis Freitag – zur gleichen Zeit im vergangenen Jahr waren es rund 8.700. Auch die Zahl der Todesopfer auf der Route über das Mittelmeer ist drastisch gestiegen.

Mehr afghanische Asylbewerber

Doch weshalb haben die Zahlen so zugenommen? Ein Teil der Erklärung liegt in dem Corona-Knick: Während der Pandemie waren viele Grenzen geschlossen, eine Flucht über mehrere Staaten hinweg war deutlich erschwert. Dadurch kamen in den Jahren 2020 und 2021 viel weniger Menschen in die EU und nach Deutschland – und der Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren fällt dementsprechend größer aus.

In Deutschland machen zudem die Asylanträge aus Afghanistan einen großen Anteil aus – nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 sprang die Zahl sprunghaft hoch. Nach den Syrern stellen Afghanen derzeit die zweitgrößte Gruppe unter den Asylbewerbern in der Bundesrepublik.

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Bei Syrern und Afghanen spielt auch die sogenannte Sekundärmigration innerhalb der EU eine große Rolle. Heißt: Die Menschen lebten zuvor bereits in anderen Mitgliedstaaten, wie vor allem Griechenland. Weil sie dort aber meist schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und von Sozialleistungen ausgeschlossen sind, reisen sie weiter nach Deutschland.

Normalerweise dürften sie nach EU-Recht keinen weiteren Asylantrag in Deutschland stellen, Gerichte aber haben eine Abschiebung zurück in das südeuropäische Land bereits mehrfach untersagt – wegen der "ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung", wie das Oberverwaltungsgericht in Münster 2021 urteilte.

Italien beschuldigt Russland

Das erklärt allerdings nicht die steigenden Zahlen derer, die über das Mittelmeer derzeit Italien erreichen. Die italienische Regierung selbst machte das russische Söldnerunternehmen Wagner dafür verantwortlich. "Ich glaube, dass der Anstieg der Migrationsströme aus Afrika auch Teil einer Strategie des hybriden Krieges ist, den die Wagner-Gruppe für Russland führt", teilte Verteidigungsminister Guido Crosetto Mitte März mit. Diese mache ihren Einfluss etwa in Libyen geltend, um Migrationsströme zu lenken. Dabei berief sich Crosetto nach eigenen Angaben auf einen Bericht der italienischen Geheimdienste.

Tatsächlich ist Libyen eines der Länder, aus denen besonders viele Boote gen Italien ablegen. Zwar hat die libysche Küstenwache Geld von der EU und Italien erhalten, um die Menschen von einer Überfahrt abzuhalten. Viele Boote aber starten aus dem Osten des Landes, der von einer anderen Regierung kontrolliert wird und wo der von Russland unterstützte General Khalifa Haftar großen Einfluss hat.

Experten zeigten sich allerdings skeptisch, dass die italienische Theorie tatsächlich valide ist. Libyen-Experte Jalel Harchaoui sagte etwa im "Spiegel", er vermute, dass Haftar und seine Verbündeten mit den Schleppern gemeinsame Sache machten und so Geld verdienen. "Niemand braucht Russen, um ein Fischerboot nach Italien zu fahren", sagte er.

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Kritische Lage in Tunesien

Außerdem dürfte auch die instabile Lage in Tunesien zu dem Anstieg beitragen, wie der "Mediendienst Integration" berichtet. Das Land befindet sich seit der Pandemie in einer Wirtschaftskrise, in den vergangenen Monaten kam es immer wieder zu Ausschreitungen, Hetze und Hassgewalt gegen Migranten aus Subsahara-Afrika, die in dem Land arbeiten. Das wiederum führt dazu, dass immer mehr Menschen das Land verlassen.

Das passt zu den Zahlen, die das italienische Innenministerium veröffentlichte: Ein Großteil der Migranten, die derzeit in Italien ankommen, stammen aus der Region, also aus Staaten wie Elfenbeinküste, Guinea, Mali. Noch vor einem Jahr spielten diese Nationen eine eher untergeordnete Rolle. Die meisten Menschen kamen damals aus Ägypten, Bangladesch und Tunesien.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • Jahresberichte des BAMFs
  • Ministero dell'Interno: Statistiken zu den Ankünften über das Mittelmeer
  • spiegel.de: "Niemand braucht Russen, um einen Fischkutter Richtung Italien zu fahren"
  • mediendienst-integration.de: Warum versuchen mehr Geflüchtete, Italien zu erreichen?
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