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Experte kritisiert Scheuer-Plan: Zehnfache Bußgelder wären immer noch zu wenig


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Experte kritisiert Scheuer-Plan
Neue Bußgelder: Zehnfache Erhöhung wäre noch immer zu wenig

InterviewVon Markus Abrahamczyk

Aktualisiert am 15.08.2019Lesedauer: 4 Min.
Polizeikontrolle: Verkehrsvergehen müssen deutlich härter geahndet werden, fordert ein Experte.Vergrößern des Bildes
Polizeikontrolle: Verkehrsvergehen müssen deutlich härter geahndet werden, fordert ein Experte. (Quelle: Florian Gärtner)

Vergehen am Steuer sollen teurer werden. Ein Experte sagt: Selbst zehnfache Bußgelder wären immer noch billig. Warum man sie nicht einfach am Gehalt bemisst wie anderswo? Dafür gebe es einen guten Grund.

Verkehrssünder sollen nach Plänen des Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer künftig härter bestraft werden. Die Bußgelder für falsches Parken und die Behinderung von Rettungskräften sollen deutlich erhöht werden.

Der ADAC sieht die Pläne weitgehend positiv: Die Richtung stimme. Ob aber zum Beispiel freie Busspuren für Fahrgemeinschaften die Straßen spürbar entlasten, müsse die Praxis zeigen. Und: Bußgelder für verschiedene Vergehen müssten in vernünftigem Verhältnis stehen.

Der Stuttgarter Verkehrspsychologe Reinhard Barth sagt gegenüber t-online.de zur Erhöhung der Bußgelder: "Länder mit höheren Strafen haben weniger Verkehrstote. Das ist ein Fakt." Er plädiert dafür, die Höhe der Bußgelder am Jahreseinkommen zu bemessen.

Das wird aber nicht passieren – zumindest nicht generell, erklärt Siegfried Brockmann. Dafür gebe es einen guten Grund. Dem Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV) geht die StVO-Reform längst nicht weit genug. Selbst wenn man die aktuellen Bußgelder verzehnfachen würde, wären sie noch billig. Zu t-online.de sagt Brockmann: Wir brauchen deutlich höhere Geldbußen und auch ein viel strengeres Punktesystem.

t-online.de: Wird sich durch die geplante Reform der StVO die Sicherheit und Rücksicht im Straßenverkehr erhöhen?

Siegfried Brockmann: Generell gilt: Autofahrer wägen ab zwischen dem Entdeckungsrisiko und der Bußgeldhöhe. An der einen Schraube können wir nicht drehen – die Polizei ist ja heute schon überlastet. Also müssen wir eben an der anderen drehen und die Bußgelder erhöhen.

Wir müssen aber auch untersuchen: Was sind die wirklich gefährlichen Delikte – aber das ist hier eben nicht gemacht worden. Etliche gefährdende Delikte sind immer noch extrem billig.

Sind enorme Bußgelder wie in anderen Ländern nötig, um abzuschrecken und zu erziehen?

Insgesamt ist das gesamte System – gemessen am Ausland – bei uns viel zu billig. Selbst wenn wir an jedes Bußgeld eine Null anfügen würden, wäre es im internationalen Vergleich immer noch nicht teuer. Wenn das geschehen ist, kann man je nach Gefährdungslage die Höhen variieren.

Ausgewählte Spitzen-Bußgelder unserer Nachbarn
Frankreich: Mehr als 50 km/h zuviel kosten 1.500 Euro.
Dänemark: Eine Alkoholfahrt kostet bis zu einem Monatsverdienst.
Großbritannien: Alkohol am Steuer bringt ein Bußgeld von bis zu 6.500 Euro.
Italien: Mindestens 155 Euro kostet das Telefonieren mit dem Mobiltelefon am Steuer.
Österreich: Mehr als 1,6 Promille bedeuten ein Bußgeld von 5.600 Euro.

Ja, in Maßen. In der Schweiz etwa ist die Einhaltequote von Verkehrsregeln deutlich höher, weil Vergehen eben so extrem teuer sind – insbesondere Geschwindigkeitsdelikte. Deutliche Effekte sieht man aber nur, wenn neben den Bußgeldern auch die Kontrolldichte spürbar erhöht wird. Das zeigt sich zum Beispiel in Frankreich. Der Effekt lässt aber in dem Moment wieder nach, in dem die Kontrolldichte sinkt – wenn sich also die Polizei wieder um andere Dinge kümmert.

Am Ende brauchen wir also immer das Paket aus beiden Teilen. Aber je kleiner der eine Teil wird, umso wichtiger wird der andere.

Höhere Bußgelder in Deutschland sind also wirkungslos, wenn die Polizeidichte nicht erhöht wird?

Nein. Die Polizei ist ja nicht nicht vorhanden. Aber: Das Ganze ist nicht beliebig ausweitbar. Höhere Bußgelder haben in jedem Fall einen Effekt. Wichtig ist die angemessene Höhe. So dass Autofahrer im Zweifel abwägen: 'Es mag zwar unwahrscheinlich sein, erwischt zu werden – aber wenn es doch geschieht, dann wird es mir zu teuer.'

Wo liegt diese Schwelle?

Das weiß man nicht. Und das ist je nach Einkommen natürlich sehr unterschiedlich.

Deshalb gibt es immer wieder die Forderung, Bußgelder nach Tagessätzen zu berechnen. Autofahrer mit viel Geld wären nicht mehr im Vorteil.

Das wird in der Praxis nicht funktionieren. Die Bußgeldstellen sind so ausgelegt, dass sie relativ schlanke Verfahren haben. Wenn die Behörde erstmal Einkommensermittlungen anstellen müsste, dann würde der Prozess endlos lange dauern und die Behörde bald kollabieren. Dass die Strafe zügig aufs Vergehen folgt, ist übrigens auch psychologisch wichtig.

Nochmal zurück zur Schweiz: Wenigstens bestimmte Delikte werden dort einkommensbezogen geahndet, und das geht reibungslos. Warum nicht auch bei uns?

Das könnten wir auch. Wenn wir Tempoverstöße ab 20 km/h nicht mehr als Ordnungswidrigkeit ahnden, sondern als Straftat, dann wäre die Buße einkommensbezogen. Bei allen Delikten geht das aber nicht – das würde die Behörden überfordern.

Es würde aber die soziale Ungleichheit bei den Bußgeldern aufheben.

Dafür haben wir bereits ein gutes Instrument: den Punktekatalog in Flensburg. Dieses Instrument nutzen wir aber noch zu wenig. Es sollten mehr Delikte mit Punkten geahndet werden – und auch mit mehr Punkten als bisher. So kann man Mehrfach- und Intensivtäter aus dem Verkehr ziehen. Das wirkt für alle sozialen Schichten gleichermaßen.


Bislang gilt: Erst mit acht Punkten ist die Fahrerlaubnis weg. Was wäre die bessere Variante?

Die acht Punkte sind nicht das Problem – die Frage ist eher: Wann sind diese acht Punkte erreicht? Die meisten Delikte bringen aber zwischen gar keinem und zwei Punkten ein. Das bedeutet: Wenn – nach allgemeiner Auffassung – die Entdeckungswahrscheinlichkeit bei 800 zu 1 liegt, dann muss ein Autofahrer schon ganz schön viele Vergehen ansammeln, bis er auf acht Punkte kommt. Es müssen also mehr Delikte bepunktet werden. Und öfter auch mal zwei Punkte statt einem vergeben werden.

Herr Brockmann, vielen Dank für das Gespräch.

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