Mercedes W116 Eine deutsche Luxus-Legende
Alain Delon hatte einen, Niki Lauda ließ sich mit ihm fotografieren und Bundeskanzler Helmut Schmidt steuerte seinen am liebsten selbst. Sie alle fuhren in den Siebzigern die Mercedes S-Klasse. Für den bis 1980 gebauten Mercedes W116 waren Superlative gerade gut genug. Als "das beste Auto der Welt" bezeichnete die Zeitschrift "Auto, Motor und Sport" im Oktober 1975 auf der Titelseite das Spitzenmodell Mercedes 450 SEL 6.9. Das US-Magazin "Road and Track" verlieh dem Sechsneuner einen weiteren Ehrentitel: "Colossus of the Road".
Mercedes W116: Präsenz durch Chrom
Seine Premiere erlebte die werksintern W116 genannte Luxuslimousine vor vierzig Jahren an der sonnigen Costa Brava. Dass Mercedes bei der Konstruktion des W116 zahlreiche Sicherheitsdetails wie ein Lenkrad mit großer Prallfläche berücksichtigt hatte, interessiert heute nur noch am Rande. Viel mehr fasziniert der Mercedes W116 heute im Zeitalter der lackierten Stoßfänger durch seine reichliche Verwendung von Chrom. Glitzerndes Metall rahmt nicht nur Kühlergrill sowie Türen und Fenster ein und verleiht Türgriffen, Scheibenwischern und Rückspiegeln Glanz und Herrlichkeit. Es verläuft auch in Form zweier dicker Stoßstangen um Wagenfront und -heck, wobei eine dünne Zierleiste die oberen Stoßstangen verbindet.
Mercedes W116: Behaglicher Salon hinter schweren Türen
Der Chrom betont den eindrucksvollen Auftritt des Mercedes W116. Vor vierzig Jahren wurde die Mercedes S-Klasse flach, breit und massiv. Vorbei war die Ära der gotischen Kühler und stehenden Scheinwerfer des Vorgängers. Dank gradliniger Grundform und feiner Gliederung der Flanken wirkt das Auto trotz seiner Ausmaße nicht protzig. Die Tendenz zu opulenter Sachlichkeit setzt sich im Innenraum fort. Das klar gegliederte Armaturenbrett wirkt auch dank Holz-Applikationen solide wie eine maßgefertigte Wohnzimmerwand. Das "Klack" der schweren Türen klingt wie das Schließen eines gepanzerten Geldschranks. Andere Autos haben Sitze, aber dieser Mercedes hat richtige Sessel. Die üppigen Polster sind auch heute noch straff und bequem. Hier möchte man gar nicht mehr aussteigen.
Mercedes W116 mit Feuer unter der Haube
Denn es gibt noch eine Steigerung gegenüber dem Drinsitzen. Nämlich dieses Auto zu fahren! Das Lenkrad wirkt nach heutigen Maßstäben riesig, vermittelt aber das beruhigende Gefühl, diesen Dampfer jederzeit im Griff zu haben, und passt damit perfekt zur Ausstrahlung eines Mercedes W116. Genau wie das kehlige Murmeln aus dem Motorraum und der etwas schwerfällige Antritt, nachdem man erstmals die Maschine gestartet hat. Zur Bauzeit hatte die Mercedes S-Klasse schon in der Basisversion 280 S mit Vergaser ausreichend Leistung. Aber was heißt schon ausreichend? Besser kann es der Sechszylinder mit Benzineinspritzung im Mercedes 280 SE in Kombination mit Handschaltung.
Auch im Hubraum mit Rekord
Die Achtzylinder 350 und 450 betören vor allem durch ihren Klang. Und mit dem riesigen Sechsneuner unter der Haube wünscht man sich glatt, die Fahrt möge niemals aufhören. Die fast sieben Liter Hubraum machten den V8 zum bis heute größten in Europa nach dem Krieg gebauten Serienmotor. Die Maschine wuchtet 286 PS auf die Kurbelwelle und greift auf der Autobahn bei nachdrücklichem Gasgeben zu wie eine Eisenfaust im Samthandschuh.
Kraft ohne sportliche Ambitionen
Fürstlich auch der Fahrkomfort. Unebenheiten nimmt der Mercedes beziehungsweise sein Fahrer höchstens beiläufig zur Kenntnis. Bei höherem Autobahntempo erinnern nur die leisen Zischelgeräusche des Fahrtwinds an das Alter der Karosserie. Nur sollte niemand eine Mercedes S-Klasse der siebziger Jahre für eine Sportlimousine halten. Plötzliche Richtungswechsel quittiert der Koloss mit schwankendem Aufbau und quietschenden Reifen. Das lässt sich zwar auch bei hoher Geschwindigkeit gut beherrschen, der Mercedes W116 ist und bleibt aber dennoch ein Fahrzeug für ruhige Genießer. Zum Sporttreiben gibt es andere Autos oder ein Fitness-Studio.
Ein Auto für vollkommene Sinnesfreude
Weniger gut ist es leider mit der Rostbeständigkeit des Mercedes W116 bestellt. Hohlraumkonservierung war ein Fremdwort und Vollverzinkung gab es damals nur bei Porsche und auch das erst ab 1976. Die verwinkelte Karosserie fing oft schon nach zwei salzigen Wintern an zu blühen. Zum Trost: Die Ersatzteilbeschaffung ist kein Problem, erst recht nicht beim Händler. Sicher ist ein Mercedes W116 auch heute noch kein billiges Vergnügen, aber nur wenige Luxusspielzeuge machen auch nach über drei Dekaden so viel Spaß wie dieser prächtige Sternenkreuzer.
Die Bilder zu diesem Beitrag stammen aus dem Bildband "Cars&Girls" von Werner Eisele aus der Collection Rolf Heyne.