Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Diskussion über autofreie Tage Das wird die Katastrophe nicht abwenden
Autofreie Tage gegen die Ölkrise: Ein wichtiger Autoboss hat sich dafür offen gezeigt. Aber ist das wirklich realistisch?
Audi-Chef Markus Duesmann hat sich angesichts der Energiekrise offen für Maßnahmen wie autofreie Tage und Tempolimits gezeigt. "Um uns in Deutschland besser einzustimmen auf die Lage und die Notwendigkeit des Sparens, könnte es wieder autofreie Tage geben, so wie in den 1970er-Jahren", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Einen guten Teil der Deutschen hätte er mit dieser Meinung hinter sich: 48 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage des Fernsehsenders "Welt" befürworteten im März dieses Jahres angesichts der Öl-Abhängigkeit von Russland autofreie Sonntage.
In der Redaktion von t-online sind die Meinungen gespalten:
Lasst es uns doch einfach mal machen!
Das Pro von Markus Abrahamczyk
Erst mal war alles wie üblich – es gab Sorgen und Streit. Und als es so weit war, geschah etwas Ungeahntes: Radfahrer und Wanderer eroberten die Autobahnen; Pferdekutschen die Innenstädte. Auf einmal herrschte Lust statt Frust. Das war 1973. Damals, als das Öl knapp war, gab es bereits autofreie Tage in Deutschland. An vier November-Sonntagen blieben die Autobahnen weitgehend leer.
Fast 50 Jahre später ist der Gedanke wieder da. Und die Welt natürlich eine komplett andere.
Putins Krieg gegen die Ukraine fordert eine klare Haltung – von uns allen. Und unser Klima steht vor dem Kollaps. Nun könnte sich endlich mal jeder Einzelne beweisen. Ein Zeichen setzen. Sich gerade machen, wie man so sagt. Ist das nicht viel eher eine Chance als eine Einschränkung?
Das Umweltbewusstsein vieler Menschen in unserem Land ist so groß wie die finanziellen Sorgen. Ein paar Tage ohne Auto allein können die Klimakrise selbstverständlich nicht abwenden und auch nicht das Energieproblem lösen. Sie würden trotzdem 120.000 Tonnen Sprit einsparen – an jedem einzelnen Tag. Sprit, der noch immer zu einem großen Teil aus russischem Öl hergestellt wird. Die Luft wäre sauberer, die Straßen wären ruhiger. Und so eine gemeinsame Aktion könnte die Menschen in unserem gespaltenen Land einander etwas näherbringen.
Wer hingegen schon den Gedanken an einen autofreien Tag als Gängelung betrachtet, wird nun aufs Jahr 1973 mit seinen Ausnahmeregelungen verweisen. Der autofreie Sonntag galt ja nicht für jeden, wird man schlaumeiern. Natürlich: Feuerwehr und Krankenwagen fuhren weiterhin, auch die Regale im Supermarkt blieben gefüllt. Sprechen solche – vollkommen berechtigten – Ausnahmen für wenige gegen eine Aktion der vielen? Natürlich nicht.
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Übrigens: In einigen Ländern Europas veranstaltet man teils mehrmals im Jahr autofreie Tage. Statt Wut und Schimpferei gibt es Fahrräder und Kuchen. Ganze Innenstädte sind buchstäblich auf den Beinen. Auch so kann man einem Problem begegnen. Ist das nicht viel schöner als endloses Lamentieren?
Nein, solche Fahrverbote bringen uns nicht weiter
Das Kontra von Christopher Clausen
Freie Straßen und Autobahnen einen ganzen Tag lang: Für Träumer und Romantiker mag das vielleicht der beste aller Zustände sein, und ehrlich gesagt war das auch mein erster Reflex, dass mir das als verkehrsgeplagter Großstädter ziemlich gut gefiele.
Klar ist: Der Autoverkehr muss langfristig drastisch reduziert werden, im Interesse der Ressourcen und des Klimas. Und nicht zuletzt sind wir in unsicheren Zeiten gut beraten, mit den vorhandenen Vorräten an Treibstoff sparsam umzugehen. Dabei kann jeder von uns einen Beitrag leisten, das Auto öfter stehen lassen.
Aber hektisch ausgerufene, pauschale Fahrverbote an einzelnen Tagen helfen uns nicht dabei und spalten die Gesellschaft nur noch mehr.
42 Prozent der Deutschen sind im Alltag aufs Auto angewiesen, hat eine Umfrage ergeben. Auch, weil der öffentliche Nahverkehr in vielen Regionen außerhalb der Metropolen schlichtweg keine Alternative ist. Auch ich möchte mir nicht durch aktionistische Fahrverbotstage vorschreiben lassen, an welchem Tag ich meine Großmutter auf dem Land ohne Zuganbindung mit dem Auto besuche.
Noch dazu gibt es Ausnahmen, Notsituationen, in denen Menschen schnell von A nach B fahren MÜSSEN und bei denen es keine Alternative zum Auto gibt. Wenn es genau an einem solchen autofreien Tag dazu kommt und man trotzdem fährt – wie will man nachweisen, dass es wirklich dringend ist? Und wer soll das kontrollieren?
Unsere Gesellschaft funktioniert nicht mehr wie im Jahr 1973, als wir schon einmal autofreie Sonntage ausprobierten. Damals gab es "nur" 16 Millionen Autos (heute sind es fast viermal so viele). Wir leben in der Ära des Pendelns: Fast 60 Prozent der Arbeitnehmer arbeiteten 2019 an einem Ort, der nicht in ihrer Kommune liegt. Und wo früher der Sonntag noch gesetzlicher Ruhetag war, arbeiten heute ein Viertel der Selbstständigen und gut zwölf Prozent der Angestellten laut Statistischem Bundesamt auch am Sonntag. Von Samstagen ganz zu schweigen.
Für Büromenschen mag es vielleicht kein Problem sein, an einem autofreien Tag im Homeoffice zu bleiben. Doch Ärzte, Pflegepersonal, Bauarbeiter, Bäcker, Verkäufer, Fabrikarbeiter und viele mehr können ihren Job nicht vom heimischen Computer aus erledigen. Und wenn sie nicht gerade in Hamburg, Köln, München oder einer anderen Großstadt wohnen, werden sie dank Sonntagsfahrplan auch mit den Öffis nicht weit kommen. Können sie deshalb nicht arbeiten, sieht es düster aus – für uns alle.
Für diese Menschen könnte man doch Ausnahmen schaffen, mag man argumentieren. Das hat man 1973 auch getan: Wo am ersten autofreien Sonntag nur Taxis, Ärzte und Frischwaren-Lieferanten fahren durften und die Straßen wirklich leer waren, wurden für jeden weiteren Sonntag ein paar zusätzliche – wahrscheinlich berechtigte – Ausnahmen geschaffen. Bis es am vierten "autofreien" Sonntag die ersten Staus gab.
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