Urlaub in Europa Albanien entdecken: Ein Land zwischen Tradition und Moderne

In Albanien treffen alte Ruinen auf moderne Städte. Das kleine Land fasziniert durch seine bewegte Geschichte und zieht immer mehr Touristen an.
Die Straße ist schmal, kurvenreich, und der Bus holpert über Schlaglöcher. Unter uns fließt die grünblaue Vjosa, einer der letzten ungezähmten Flüsse in Europa. Auf der anderen Seite stapeln sich grünbepelzte Berge – eine Urlandschaft. Ein Bauer führt seine Kuh am Strick wie in einem der Grimmschen Märchen, Ziegen weiden am Straßenrand, und zwischendurch lugen Bunker wie riesengroße Champignons zwischen Grashalmen hervor. Enver Hoxha, Albaniens Diktator bis 1985, hat das ganze Land mit solchen Bunkern überzogen.
Albanien? Lange war das kleine Land Europas Nordkorea: Es war hermetisch abgeschottet. Das Ende des Regimes kam schleichend nach Hoxhas Tod. Das ist jetzt 40 Jahre her. Aber manche Wunden der Vergangenheit sind bis heute spürbar. Nicht in Tirana, der geschäftigen Hauptstadt mit ihren hippen Restaurants und den teuren Autos. Wohl aber im Gespräch mit den Menschen – und auf dem Land.
Nach dem Regimesturz
Artur Karami – dunkle Augen, dichte schwarze Haare – hat in Düsseldorf seinen Magister in Germanistik gemacht und unterrichtet in Tirana angehende Pfleger und Krankenschwestern in der deutschen Sprache. Er war zwölf, als das Regime stürzte, und er erinnert sich mit Stolz daran, dass der Aufstand in seiner Stadt begann. In der eigenen Familie hatte er die Macht des Regimes zu spüren bekommen. Als sein Onkel nach dem Wehrdienst über die Grenze nach Griechenland floh, wurde seine Großmutter von der Geheimpolizei bedrängt, den Sohn zu verraten.
"Die Partei wollte Menschen ohne Köpfe schaffen", sagt Artur bitter, "Menschen, die nicht denken." Und die gibt es seiner Meinung nach in Albanien immer noch – oder schon wieder. Denn der 47-Jährige beobachtet immer öfter Männer, die Plakate mit Hoxha-Fotos hochhalten. "Das hätte es vor ein paar Jahren nicht gegeben", ärgert er sich.
Seit 2014 Beitrittskandidat der EU
Auch wir sehen mit Staunen, dass Bücher des Diktators überall zum Verkauf stehen, im Buchladen an der Oper, beim Bücherstand am Kanal, auf dem Markt in Kruje. Nach einem Gang durch den Bunker, der als BunkArt zu einem Museum umgewandelt wurde und in dem die Gräuel des Regimes mit nahezu buchhalterischer Genauigkeit aufgelistet werden, ist uns diese Gelassenheit im Umgang mit Hoxhas Gedankengut noch unverständlicher.
Dabei ist der Wandel Programm. 2009 schon hat Albanien einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt, seit 2014 ist das Land Beitrittskandidat, und die EU unterstützt den Reformprozess auch finanziell. Allerdings sieht sie noch Handlungsbedarf, was Rechtsstaatlichkeit und den Schutz von Grundrechten und Umwelt betrifft. Auch die immer noch grassierende Korruption ist ein Hinderungsgrund.
Zwar sind die Preise im Land für unsere Verhältnisse niedrig, aber der Großteil der Albaner verdient auch wenig: im Durchschnitt 600 Euro monatlich. Da fragt man sich schon, woher das Geld für die dicken Autos kommt, an deren Steuer vorwiegend junge Männer mit coolen Sonnenbrillen sitzen.
Für Touristen immer beliebter
Auf dem Land werden die Autos bescheidener. Am Straßenrand bieten Verkäufer gegrillten Mais oder frisch geerntete Früchte an. Auf manchen Äckern sehen wir Bauern, die noch mit uraltem Gerät ihre Äcker bestellen und Strohbündel auf dem Rücken nach Hause tragen. Und selbst auf die Autobahn verirren sich Pferdekarren. Viele Felder liegen brach, die meisten Bauern besitzen kein Land, haben nur Nutzungsrechte auf oft sehr kleinteiligen Parzellen.
In den Dörfern verfallen die schönen alten Steinhäuser, die jungen Leute ziehen weg – nach Tirana oder gleich ins Ausland. Dafür kommen die Touristen, und sie werden von Jahr zu Jahr mehr. Berat, die Stadt der 1.000 Fenster, ist ein beliebtes Ziel, und die Festung mit der schönen Dreifaltigkeitskirche und dem Onufri-Museum sollte man sich nicht entgehen lassen. Die farbsatten Werke des berühmten Ikonenmalers könnten viele Geschichten aus alter Zeit erzählen. Rundum Verkaufsstände mit Selbstgemachtem, Gehäkeltem, Gestricktem. Kauffreudige und an der Kultur des Landes interessierte Urlauber helfen den Menschen von heute dabei, irgendwie über die Runden zu kommen.
Die Geschichte Albaniens reicht weit zurück in graue Vorzeit: Die Griechen waren hier, die Illyrer und natürlich die Römer. Apollonia, heute eine Ruinenstadt, wurde 588 v. Chr. gegründet und war bis 500 n. Chr. eine wichtige illyrische Hafenstadt und einer der Ausgangspunkte der Via Egnatia. Es war wohl ein Erdbeben, das die Geschichte der Stadt beendete.
Heute ist Apollonia ein archäologischer Park, und im Museum sind einige der wichtigsten Funde zu sehen. Aus den Steinen des großen Theaters wurde im 14. Jahrhundert die Klosterkirche erbaut. Wir haben Glück und erwischen ein Zeitfenster zwischen zwei Besuchergruppen. Drinnen flackernde Kerzen, meditative Stille, ein Moment zum Innehalten.
Größte Moschee des Balkans
Unter Enver Hoxha, der Albanien zum ersten atheistischen Staat der Welt ausrief, wurden Kirchen und Moscheen zerstört oder zumindest zweckentfremdet. Von dem Kahlschlag haben sich manche Orte bis heute nicht erholt. Nicht so Korce, wo sich seit 1995 die prächtige Auferstehungs-Kathedrale erhebt, erbaut mit finanzieller Hilfe von Griechenland.
Und in Tirana steht die größte Moschee des Balkans, die 4.500 Gläubigen Platz bietet. Finanzielle Unterstützung für den Riesenbau mit vier Minaretten kam auch aus Erdoğans Türkei. Noch gibt es keinen religiösen Extremismus in Albanien, religiöse Toleranz ist Alltag, wir sehen auch kaum Kopftücher.
Unesco-Weltkulturerbe
Die Ruinenstadt Butrint nimmt uns mit in eine Zeit, als es Festspiele gab und Bäder, eine Prachtstraße und Villen. Butrint ist Unesco-Weltkulturerbe. Auch die Christen haben hier sehenswerte Spuren hinterlassen. Alles lässt sich auf schattigen Wegen erwandern, und trotz der vielen Touristen haben wir zwischendurch das Gefühl, allein zu sein mit der Geschichte. Nur das berühmte Löwentor, durch das alle müssen, die hinauf wollen zum höchsten Punkt, ist ein Nadelöhr. Es ist kein Löwe mit Hörnern, der hier zu sehen ist, sondern der Angriff eines Löwen auf einen Stier.
Und ein Stier gehört auch zum Gründungsmythos von Butrint. Demnach wollte Helenos, ein Sohn des Priamos, nach der glücklichen Flucht aus Troja in der Bucht vor dem heutigen Butrint einen Stier opfern. Das Tier entkam, brach aber am Ufer tot zusammen. So kam Butrint zu dem Namen, der so viel bedeutet wie verwundeter Stier. Vor der Festung weht stolz die albanische Flagge.
Ausblick über Land und Berge
Wie Butrint ist Gjirokaster, die Stadt mit den schiefergrauen Dächern, Unesco-Weltkulturerbe. Dort wurde Enver Hoxha geboren, sein Geburtshaus ist heute Heimatmuseum. Die Einrichtung stammt aus den 1950er-Jahren, Fotos zeigen den jungen Hoxha und den alten Diktator. Nicht nur er stammt aus Gjirokaster, auch der Literaturnobelpreisträger Ismail Kadare kommt aus dem Örtchen, das von einer gigantischen Festung überragt wird.
Heute sind in den Gängen des Heimatmuseums Kanonen und andere Waffen ausgestellt. Diese Gänge sind verwirrend, der Ausblick vom Gelände ist faszinierend. Man schaut weit übers Land und in die Berge. Auch in Gjirokaster wird neu gepflastert und viel gestrichen. Das Städtchen macht sich hübsch für die vielen Touristen, die in den Souvenirläden stöbern oder in den kleinen Restaurants entspannen. Sie sind gern gesehen in Albanien.
Unser letzter Besuch gilt dem Mann, auf den sich Enver Hoxha so gern berufen hat, Albaniens Freiheitshelden Skanderbeg. Ihm begegnet man nicht nur in Tirana, wo er vom Sockel aus den gleichnamigen Platz überwacht, sondern vor allem in Kruje, wo Hoxhas Tochter in der alten Festung das Skanderbeg-Museum hingestellt hat, das 1982 eröffnet wurde.
Auf Monumentalgemälden werden die Taten des Helden gefeiert – auf einem davon hat sich Pranvera Hoxha als Gattin verewigt. Ihr Vater inszenierte sich als direkter Nachfolger des Freiheitshelden, der Albanien von den Osmanen zu befreien half. Als wir die Monumentalgemälde betrachten, erschüttert ein Erdbeben das Museum. Es wirkt wie ein Symbol.
- Reiseredaktion srt