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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mode & Beauty Die erste Weckerarmbanduhr der Welt
Lange bevor Tauchcomputer wichtige Informationen lieferten, nutzten Unterwassersportler mechanische Uhren, um sicher nach unten und wieder nach oben zu kommen. Ein Top-Instrument der sechziger Jahre war die "Vulcain Nautical" mit integriertem Dekompressionsrechner und Unterwasseralarm. Die Gesamttauchzeit und die Dekompressionszeiten sind die für den Taucher wichtigsten Zeitangaben.
Erstere wird durch den Vorrat der Atemluft in den Tauchflaschen begrenzt und muss akkurat eingehalten werden, damit man unter Wasser nicht erstickt. Letztere bezeichnet die Zwischenstufen, die ein Taucher einhalten muss, um die "Taucherkrankheit" zu vermeiden, die im schlimmsten Fall zum Tode führen kann. Der Unterwassersportler von heute löst diese beiden Probleme einschließlich der Tiefenmessung mit hochpräzisen Tauchcomputern.
In den sechziger Jahren gab es solche Computer natürlich noch nicht, und es waren mechanische Lösungen gefragt. So ersann der Wissenschaftler und Extremtaucher Hannes Keller zusammen mit den Entwicklern der Uhrenschmiede Vulcain eine neue Taucheruhr. Die "Cricket Nautical" war der weltweit erste Tauchwecker mit integriertem Dekompressionsrechner, dessen akustischer Alarm auch unter Wasser funktionierte. Dieser Alarm sollte die voreingestellte Auftauchzeit signalisieren. >>
Schließlich hatte Keller Großes vor, wie er am 3. Juli 1961 in einem Brief an die Vulcain-Geschäftsleitung schrieb: "Ich freue mich berichten zu können, dass es mir gelungen ist, einen neuen Weltrekord im Tauchen in Brissago am Nachmittag des 28. Juni 1961 aufzustellen." 222 Meter tief war Keller zusammen mit seinem Tauchpartner Kenneth McLeish, Wissenschaftsredakteur der amerikanischen Zeitschrift Life, im Lago Maggiore getaucht, beide mit einer "Cricket Nautical" am Handgelenk.
Keller zeigt sich in seinem Brief voll des Lobes über die Zeitmesser, die "außerordentlichen Strapazen", wie hohen Temperatur- und Druckunterschieden, ausgesetzt waren: "Beide Uhren überstanden den Test ausgezeichnet. Ich habe auch den Alarmmechanismus einer der beiden Uhren getestet. Der Ton war klar zu hören, obwohl mein Taucheranzug vollkommen geschlossen war …". >>
Auch die Ablesbarkeit von Zifferblatt und Dekompressionstabelle fiel zu Kellers vollster Zufriedenheit aus, sodass er zu folgendem Fazit kam: "In Anbetracht dieser außerordentlichen Leistung hege ich keine Zweifel, dass die "Vulcain Cricket Nautical"-Taucheruhr auf dem Markt ein großer Erfolg sein wird und dass die Uhr vielen Tauchern den gleichen unschätzbaren Dienst erweisen wird, den sie uns während dieser schweren Prüfung erwiesen hat."
Zugrunde liegt diesem Instrument eine Erfindung von Robert Ditisheim, dem Gründer der Schweizer Uhrenmarke Vulcain. Er nahm sich die Grille (englisch "cricket") erst als Vorbild und dann als Namensgeber für ein neues Produkt. Das kleine Tier schafft es, seine Artgenossen durch sein Zirpen über mehrere Meter auf sein Revier aufmerksam zu machen. So kam Ditisheim zu dem Schluss, dass es technisch bestimmt möglich sein müsse, auch in einem Armbanduhrengehäuse ein sehr lautes Geräusch zu erzeugen.
Den Beleg dafür erbrachte er 1947 mit der Vorstellung der "Vulcain Cricket". Schnell verwarf Ditisheim ein Konzept mit Tonfedern, weil die Tests nicht den gewünschten Erfolg brachten. Stattdessen experimentierte er nach dem bereits erwähnten Vorbild der Grille – Schallverstärkung durch Resonanzkörper – mit einem doppelten Boden. Der innere Schallboden, der auch das Gehäuse verschließt, ist für die Erzeugung des Rasselgeräuschs zuständig. Durch einen Hammer in Schwingung versetzt, erzeugt er die Schallwellen. Die werden nun durch den Resonanzraum zwischen innerem und äußerem Boden verstärkt, sodass die "Cricket" ihren Weckton laut und vernehmlich erklingen lässt – gleichgültig, ob sie auf dem Nachttisch liegt oder am Handgelenk des Tauchers befestigt ist.
Die erste Weckerarmbanduhr der Welt wurde, wie eingangs erwähnt, auch zum ersten Tauchwecker der Welt – mit dem Namenszusatz "Nautical". Dazu wurde das Kaliber "120" in ein Gehäuse verpflanzt, das bis 300 Meter Tauchtiefe Dichte garantierte. Geradezu revolutionär für diese Zeit war die von Hannes Keller ersonnene Dekompressionstabelle im Zifferblattzentrum. >>
Über die Krone bei "4 Uhr" kann diese Scheibe in beide Richtungen gedreht werden. So erscheinen im mitdrehenden Zifferblattfenster die Angaben über die Dekompressionszeiten. Auch wenn sich heute wohl kaum ein Taucher noch auf die Hinweise der mechanischen Uhr verlassen wird, sieht sich Vulcain veranlasst, die Käufer einer neuen "Nautical" in der Bedienungsanleitung zu warnen: "Achtung, Ihre Uhr ist eine exakte Replika des 1961 hergestellten Originalmodells. Inzwischen haben sich die Angaben der Dekompressionstabellen geändert. Bitte konsultieren Sie einen Tauchspezialisten, um die heute geltenden Normen zu überprüfen."
Ganz exakt ist die Replika allerdings dann doch nicht. Aber die Veränderungen sind eigentlich nur kosmetischer Natur. Erscheint das Zifferblatt des Originals in Schwarz, so leuchtete das der 2006 erschienenen Replika in einem eleganten Dunkelblau. Passend und zeitgemäß das Armband aus dunkelblauem Kautschuk mit funktioneller Faltschließe. Das Original wird hingegen mit einem "Tropicband" – ein Kunststoffgewebeband mit Stiftschließe – am Handgelenk befestigt.
Auch wenn das aus 157 Einzelteilen bestehende Uhrwerk einen neuen Kalibernamen erhielt – es heißt jetzt "V-10" statt wie früher "120" –, ist es in seiner Konstruktion und Funktion vollkommen identisch. Es verfügt über zwei Federhäuser für Uhr- und Weckwerk, die beide mit einer Krone aufgezogen werden. Wird die Krone im Uhrzeigersinn gedreht, erhält das Weckwerk Kraft, in die andere Richtung das Uhrwerk. Eine weitere Besonderheit sei noch erwähnt: Sowohl die Zeiger für die Uhrzeit als auch für die Weckzeit lassen sich nur vorwärts verstellen, weshalb beim Stellen ein ruhiges Händchen vonnöten ist.
Stellt sich wie immer in einem solchen Fall die Frage: Original oder Replika? Und wie immer lautet die Antwort: Das ist Geschmackssache. Der Käufer der Replika erhält für 3000 Euro ein tadellos verarbeitetes Manufakturprodukt, das angesichts der heutigen Preisentwicklung bei komplizierten mechanischen Uhren schon als günstig einzustufen ist. Wer dagegen den Hauch der Geschichte atmen will, muss für ein gut erhaltenes Original mindestens 1000 Euro mehr ausgeben. Wer sich zum Kauf eines Originals entschlossen hat, der sollte dabei gut aufpassen. Denn wie Vulcain-Kenner Michael Horlbeck weiß, sind bei dieser unter Sammlern durchaus gesuchten Uhr einige Blender im Umlauf (wie das leider auch bei anderen begehrten Originalen der Fall ist).
Schauen Sie sich einige Modelle von Vulcain in unserer Foto-Show an. Weitere tolle Taucheruhren finden Sie in unserem Artikel über die besten Exemplare auf dem Markt.