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Randale in Freibädern: Jugendliche unerzogen? Schuld liegt bei Erwachsenen


Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Ist wirklich die Jugend schuld?
Das Erziehungsversagen zeigt sich nicht im Freibad

MeinungEine Kolumne von Bob Blume

12.08.2023Lesedauer: 4 Min.
Viel Betrieb im Freibad (Symbolbild): In Bad Sobernheim musste die Polizei wegen Überfüllung anrücken.Vergrößern des Bildes
Viel Betrieb im Freibad (Symbolbild): In Bad Sobernheim musste die Polizei wegen Überfüllung anrücken. (Quelle: 7aktuell/Gruber/imago-images-bilder)
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Zu laut, zu frech: Der Jugend wird von den Älteren gern fehlende Erziehung vorgeworfen – dabei sind es gerade Letztere, deren Benehmen oft zweifelaft ist.

Wenn die Sommersonne so warm ist wie momentan, gehe ich gerne ins Schwimmbad. Waren Sie in letzter Zeit mal im Schwimmbad? Wissen Sie, was da vor sich geht? Ich kann es Ihnen sagen: Es wird ohne Ende Eis gegessen. Und Kinder springen ins Wasser. Viele bekommen einen Sonnenbrand. Hatten Sie etwas anderes erwartet?

Das, was vielleicht aufgrund prominenter medialer Berichterstattung in Ihrem Kopf zu sehen war, nennt sich Vorurteil. Natürlich gab es in einzelnen Bädern Situationen, die ernst genommen werden müssen. Doch in der überwiegenden Mehrheit der fast 3.000 Freibäder in Deutschland passiert nur sehr selten etwas, das in der Zeitung steht.

Denn Jugendliche, die sich in der Sommerhitze an die Gurgel gehen, sind meist nur dann interessant, wenn man dahinter einen sogenannten Migrationshintergrund vermutet.

Und wenn der nicht mehr ausreicht, weil es sich um Menschen aus der zweiten oder dritten Generation handelt, kann man immer noch Erziehungsversagen diagnostizieren. Und wenn man sich dem wieder erstarkendem Rassismus anschließen will, verknüpft man dieses Erziehungsversagen sogleich mit einer Kultur. Natürlich nicht der eigenen.

Schuld sind immer die anderen

Schuld sind immer die anderen. Das wird man doch wohl noch sagen dürfen.

Wenn man wie ich viel im Internet unterwegs ist, kommt man nicht umhin festzustellen: Ja, die Erziehung scheint großflächig versagt zu haben. Zumindest wenn man von dem gängigen Erziehungsbegriff ausgeht.

So sind sicher vielen deutschen Kulturbürgern Friedrich Schillers Briefe "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" ein Begriff, die sich auch heute noch als Schwimmbadlektüre eignen. "Ausbildung des Empfindungsvermögens ist also das dringendere Bedürfnis der Zeit, nicht bloß, weil sie ein Mittel wird, die verbesserte Einsicht für das Leben wirksam zu machen, sondern selbst darum, weil sie zu Verbesserung der Einsicht erweckt", schreibt Schiller da.

(Quelle: Thomas Clemens)

Bob Blume

Bob Blume ist Lehrer, Blogger, Podcaster und Aktivist. Er schreibt Bücher zur Bildung im 21. Jahrhundert und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. Man findet Blume auf Twitter und auf Instagram, wo ihm über 100.000 Menschen folgen. Sein Buch "10 Dinge, die ich an der Schule hasse" ist überall erhältlich.

Man wird also erzogen, indem man mehr empfindet. Und man verbessert die Einsicht. Heutzutage würde man sagen: Man reflektiert. Oder eben nicht. Umgekehrt: Dort, wo die Erziehung fehlt, mangelt es an Einsicht und Empfindungsvermögen.

Schiller hätte es sicherlich vor der Kommentarspalte in sozialen Netzwerken gegraut. Und längst ist keiner mehr überrascht ob der lachenden Emojis, wenn einmal mehr ein Boot voller Menschen im Mittelmeer kentert. Von fehlendem Empfindungsvermögen kann da keiner mehr sprechen, eher noch von einer bis ins Mark greifenden Gefühlskälte.

Was bitte soll "digitale Erziehung" sein?

Frei nach einem der größten deutschen Poeten könnte man aber eben auch von fehlender Erziehung sprechen. Oder braucht es für diese speziellen Fälle auch eine spezielle "digitale" Erziehung?

Ich habe da meine Zweifel. Ein vorangestelltes "digital" ist doch oft nur Augenwischerei. "Digitale Bildung" etwa oder "digitale Mündigkeit" beschreiben eigentlich nichts, was digital ist, sondern was innerhalb der digitalen Welt stattfindet.

Eigentlich müssten allgemein geltende menschliche Werte und Tugenden übertragbar sein ins Web. Könnte man meinen. Aber dem ist nicht so. Und das liegt nicht an "der Jugend", der man regelmäßig die Erziehung abspricht, sondern an denjenigen, die es besser wissen müssten: den Erwachsenen. Den Alten. Den "Boomern", einem Begriff, der weniger mit der Generation als mit dieser Haltung zu tun hat: Ich urteile, aber muss mich selbst nicht mehr ändern.

Ich kann pöbeln und beleidigen, so wie es "die heutige Jugend" angeblich dauernd im Freibad tut.

Eine befreundete Anwältin, die regelmäßig in Webinaren über Cybermobbing, Sexting und Pornografie aufklärt, erzählte mir einmal von einer Begebenheit in einer Klasse. Sie bat Kinder, schlimme Flüche und Beleidigungen, die sie schon gehört oder selbst benutzt hatten, über einen Chat zu schreiben. Danach fragte sie die Kinder einzeln, ob sie ihr das, was sie ihr gerade geschrieben hatten, nun laut ins Gesicht sagen würde. Vor der Klasse. Kein Kind wollte dies tun. Das Digitale hatte die Grenze des Sagbaren verschoben.

Das Digitale verschiebt die Grenze des Sagbaren

Und das ist es, was wir jeden Tag sehen und erleben. Wobei man selbst mit einem solchen Wir aufpassen müsste. Denn obwohl jeder, der Inhalte ins Internet postet oder Kommentare und Kolumnen schreibt, die sogenannte Hatespeech kennt, ist der Hass dennoch ungleich verteilt.

Wehe, die schreibende Person ist eine Frau. Oder ein Homosexueller. Dann kocht der Hass um ein Vielfaches mehr über und endet in vielen Fällen in Bedrohungen und Anfeindungen. Diejenigen, die sich auf jede alarmistische Nachrichten stürzen und unhinterfragt Pauschalurteile über fehlende Kultur und Erziehung übernehmen, verdeutlichen nur allzuoft mit Hetze und Pöbelei, dass sie der vermeintlich ungezogenen Jugend in nichts nachsteht.

Was lernen wir daraus?

Wenn es um die Digitalisierung an Schulen geht, wird oftmals vermutet, dass es um Excel, Mails oder selbst gedrehte Filme geht. Alles Inhalte, die durchaus in die Schule gehören. Aber viel wichtiger erscheint es doch, Kindern so früh es geht klarzumachen, dass Sprache auch dann real ist und bei anderen ankommt, wenn wir ihnen nichts ins Gesicht schauen.

Damit sie es später als Erwachsene verinnerlicht haben und nicht in die Kommentarspalte boomern. Dass ein verletzender Kommentar den anderen trifft, unabhängig davon, ob wir ihn oder sie sehen oder nicht. Letztlich ist die Kommentarspalte also Teil des Erziehungs- und Bildungsauftrags. Das sollte in der Schule adressiert werden – und auch noch danach.

Die Kommentarspalte als Spiegel des Versagens

Warum ich das glaube? Weil ich in der Kommentarspalte oftmals ein großflächiges Erziehungsversagen wahrnehme, das eben altersunabhängig ist.

Ist es vorstellbar, dass sich junge Leute aus unterschiedlichen Backgrounds in der Sonnenhitze aufplustern und anrempeln? Ja, sicherlich ist es das. Sollte eine Erziehung gewährleistet werden, die dies, wenn möglich, verhindert? Absolut.

Aber vielleicht, ganz vielleicht, sollten wir alle, die auf die neueste Nachricht reagieren, einatmen, genau lesen und eine andere Quelle hinzuziehen, ausatmen und dann: zeigen, dass man auch kritisch sein kann – ohne dabei zu beweisen, dass es einem ausgerechnet an jener Erziehung mangelt, deren Fehlen man bei den anderen feststellt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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