Für diesen Beitrag haben wir alle relevanten Fakten sorgfältig recherchiert. Eine Beeinflussung durch Dritte findet nicht statt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sexting Entblößende Bilder im Netz
Es bereitet Eltern und Lehrern zunehmend Sorgen – das Phänomen "Sexting". Dabei machen Teenager erotische Fotos von sich und schicken diese dann per Handy an Freunde. Doch was privat gemeint ist, wird nicht selten an Dritte weitergeleitet oder sogar ins Internet gestellt. Das hat für die Betroffenen oft schlimme Folgen.
Eine 15-Jährige ist in einen Jungen aus ihrer Schule verliebt. Die beiden flirten miteinander, schicken sich unzählige SMS - bis er mehr von seinem Schwarm sehen will. Das Mädchen erfüllt seinen Wunsch, posiert nur noch im BH und Slip vor der Smartphone-Kamera und sendet das Bild an den Jungen. So oder ähnlich spielt es sich ab, wenn Jugendliche Sexting betreiben - ein Trend, der ursprünglich aus den USA kommt. Sexting ist ein Mischwort aus "Sex" und "texting", dem englischen Begriff fürs Nachrichten-Verschicken.
Jedes fünfte Mädchen hat Erfahrung mit Sexting
Angeschoben wurde das Phänomen vor allem durch die rasante Verbreitung von Smartphones. Rund 62 Prozent der minderjährigen Nutzer sind in Deutschland laut Studien erst zwischen 14 und 15 Jahre alt. Wie viele davon allerdings schon Erfahrung mit Sexting gemacht haben, ist bislang nicht genau untersucht. Erhebungen aus den USA und Großbritannien belegen aber, dass dort jeder vierte Teenager schon einmal freizügige Handyfotos von sich an vertraute Personen geschickt hat.
Zu ähnlichen Ergebnissen kam 2012 eine Umfrage der Hochschule Merseburg: Danach haben fast zwanzig Prozent der Mädchen und elf Prozent der Jungen zwischen 16 und 18 Jahren schon einmal erotische Fotos oder Filme von sich gemacht und versendet.
Problematisch werden die vertraulichen Aufnahmen, wenn sie ohne Einverständnis der abgebildeten Person weitergeleitet werden.
Foto an alle Klassenkameraden weitergeleitet
So erging es auch einer vierzehnzehnjährigen Schülerin aus der Nähe von Fulda, deren Fall letztes Jahr als einer von vielen in den Medien diskutiert wurde. Nachdem sie ihrem Freund ein sexy Foto von sich geschickt hatte, besaßen wenig später fast alle ihre Klassenkameraden das freizügige Bild, das eigentlich vertraulich gemeint war. Der Junge hatte die Aufnahme einfach ins Netz gestellt. Gefragt hatte er das Mädchen nicht und sie hatte keine Chance der Bloßstellung zu entgehen, so dass sie so zum Gespött der ganzen Schule wurde.
Cybermobbing durch freizügige Sexting-Fotos
Oft geschieht die digitale Streuung anzüglicher Sexting-Fotos einfach aus einer Laune heraus. Die Beteiligten machen sich keine Gedanken über mögliche Folgen. Sie verbreiten die Bilder schnell per Whatsapp oder mit einem anderen Messenger.
Nicht selten steckt aber auch eine negative Absicht dahinter, wie etwa Rachsucht oder Neid. Schlimmstenfalls werden die Fotos sogar missbraucht, um jemanden zu erpressen. Manchmal dienen sie aber insbesondere Jungs dazu, mit den anzüglichen Bildern anzugeben und sie wie eine Trophäe im Netz zur Schau stellen.
Dass Sexting zum Cybermobbing missbraucht werde, liegt nach Ansicht der Medienpsychologin Nicola Döring, die sich in einem Aufsatz dazu äußert, nicht nur an dem Verhalten derjenigen, die die Fotos zuerst verbreiten, sondern auch an den vielen anderen, die bedenkenlos sogar bei böswilligen Postings auf 'Weiterleiten' drücken. Erst dadurch könne überhaupt ein Schneeballeffekt in Gang gesetzt werden. Doch die meisten Jugendlichen fühlten sich nicht als Täter, könnten die Tragweite ihres Handelns nicht abschätzen, weil auch die vermeintliche Anonymität im Netz die Hemmschwelle herabsetze.
Unter den negativen Auswirkungen von Sexting leiden vor allem Mädchen. Sie sind in Erstellung und Versenden der Aufnahmen deutlich aktiver als Jungs. Dadurch werden sie auch häufiger Opfer von Anfeindungen und Schmähungen, wenn ihre freizügigen Posen ohne ihre Einwilligung öffentlich werden.
Medienexpertin Döring begründet dies unter anderem mit traditionellen Geschlechterrollen, wo von Mädchen immer noch sexuelle Zurückhaltung erwartet werde. Sonst liefen sie Gefahr, als billige Schlampe beschimpft zu werden und damit zugleich die Schuld für ihre kursierenden Fotos zu tragen. Jungs werde dagegen nach wie vor mehr sexuelle Eigeninitiative zugestanden.
Das können Betroffene tun
Rechtlich erfüllt Sexting in Deutschland nicht den nach §184 StGB strafbaren Tatbestand der Kinder- beziehungsweise Jugendpornographie, der die Produktion, Verbreitung und Besitz solcher Materialien verbietet. Denn bei den allermeisten Bildern werden die Merkmale der Pornographie nicht erfüllt, weil die Teenager sich typischerweise in Unterwäsche oder oben ohne ablichten und zudem die vertraulichen Bilder nur an einen Adressaten senden.
Strenger ist die Rechtsprechung in den USA. Hier sind Jugendliche, die entsprechende Aufnahmen ausgetauscht hatten, wegen Kinderpornographie als Sexualstraftäter zu Haftstrafen verurteilt worden.
Kritischer wird es allerdings auch hierzulande, wenn es um die Weiterleitung freizügiger Fotos geht. Das ist nämlich aufgrund der Persönlichkeitsrechte, etwa dem Recht auf das eigene Bild, ohne das Einverständnis der abgebildeten Person strafbar.
Sofern es sich nicht um Wiederholungstäter handelt, kommen Jugendliche bei uns meist mit Sozialstunden davon. Bei einer Veröffentlichung im Internet haben Betroffene Unterlassungsanspruch gegenüber dem Betreiber der Webseite. Auch können zivilrechtlich Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden. Bei minderjährigen Opfern muss ein Strafantrag jedoch durch Erziehungsberechtigte gestellt werden - was voraussetzt, dass sich die Jungen und Mädchen ihren Eltern oder Lehrern anvertrauen.
Scham und Angst verhindern Anzeigen
Wie häufig geschädigte Familien tatsächlich rechtliche Schritte einleiten, ist nur schwer zu konkretisieren. Laut dem hessischen Landeskriminalamt wurden 2013 in dem Bundesland 120 Fälle als Folge von Sexting zur Anzeige gebracht. Doch die Behörde geht dabei von einer hohen Dunkelziffer aus, da sich die minderjährigen Opfer häufig aus Scham und Angst niemandem anvertrauten. Zudem sei ist es oft auch schwer, Täter, die Fotos online stellen, zu ermitteln und ihre wahre Identität eindeutig nachzuweisen.
"Sexting kann dich berühmt machen"
Die Schweizer Initiative "Pro Juventute" kämpft schon länger mit offensiver Aufklärungsarbeit gegen die unerwünschten Auswüchse von Sexting an. So lautet der sarkastische Slogan einer Plakat-Kampagne "Sexting kann dich berühmt machen. Auch wenn du es gar nicht willst." Mit einer eigens entwickelten App können Jugendliche testen, wie riskant ihr Medienverhalten ist. Zudem können betroffene Jugendliche auf einer Notrufnummer um Hilfe bitten.
Die "Generation Kassettenrekorder" ist oft ahnungslos
Auch immer mehr Eltern und Lehrer schlagen mittlerweile Alarm, zumal die Sexter immer jünger werden. Manche sind erst zwölf Jahre alt. So startete ein Schulleiter im niedersächsischen Cloppenburg mittels eines offenen Briefes eine übergreifende Kampagne, die Lehrkräfte, Eltern und Schüler für die Risiken bei Sexting sensibilisieren sollte.
Ebenfalls besorgt ist die Hamburger Schulbehörde, die zusammen mit Beratungsstellen und dem Jugendinformationszentrum den Internetauftritt "Zu nah dran" plant. Und auch der Landeselternbeirat von Hessen wies gerade auf "die digitalen Entgleisungen" hin, die durch Sexting ausgelöst werden können. Deshalb fordert er mehr regelmäßige medienpädagogische Aufklärung an Schulen, zumal viele Eltern und Lehrer der "Generation Kassettenrekorder" oftmals keine Ahnung von der digitalen Geschäftigkeit ihrer Kinder hätten.
Tipps für Safer Sexting
Die Generation der "Digital Natives" mindert indes auf ihre Weise die Risiken von Sexting. So kann man im Netz unter dem Stichwort "Safer Sexting" nützliche Tipps bekommen: Wie etwa beim Fotografieren am besten nicht das Gesicht in die Kamera zu halten oder individuelle Kennzeichen wie Muttermale und Tattoos, anhand derer man identifiziert werden könnte, unsichtbar zu machen. So können die intimen Bilder wenigstens nicht mehr für alle Ewigkeit im Netz zugeordnet werden.