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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verwirrende Herkunftsbezeichnung Welche Lebensmittel kommen wirklich "aus der Region"?
Ob Thüringer Leberwurst, Münchner Bier oder Allgäuer Bergkäse: Die Deutschen sind stolz auf ihre Spezialitäten. Dass die Produkte in ihren Namen einen geografischen Bezug herstellen, bedeutet jedoch nicht automatisch, dass sie auch wirklich aus der Region stammen. So kommt das Fleisch für den Schwarzwälder Schinken mittlerweile meist gar nicht aus dem Schwarzwald - es wird dort lediglich geräuchert. Juristisch gesehen ist das vollkommen korrekt, denn der Schinken gehört laut EU-Richtlinien nicht zu den Produkten mit "geschützter Ursprungsbezeichnung".
Verbraucherschützer kritisieren, dass die Kennzeichnungen der Lebensmittel verwirrend seien. Sie fürchten außerdem, dass durch das Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) manche geschützte regionale Spezialitäten ihren Status verlieren.
Drei Gütezeichen der EU-Kommission
Europaweit gibt es drei Gütezeichen, die die Herkunft der Produkte zeigen und diese vor Missbrauch und Nachahmung schützen sollen: die geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.), die geschützte geografische Angabe (g.g.A.) und die garantiert traditionelle Spezialität (g.t.S.). Um eines der Zeichen zu bekommen, müssen interessierte Hersteller zunächst in ihrem eigenen Mitgliedsstaat einen Antrag einreichen. Dieser wird nach erfolgreicher Prüfung an die EU-Kommission weitergeleitet und wird dort weiteren Prüfverfahren unterworfen - und dann gewährt oder abgelehnt.
Die "geschützte Ursprungsbezeichnung" (g.U.)
Auch wenn Spezialitäten wie Schwarzwälder Schinken oder Münchner Bier einen regionalen Bezug im Namen tragen, stammen sie nicht zwangsläufig aus diesen Regionen. Die g.U. ist das strengste Zeichen. Produkte die es tragen, müssen in einem bestimmten geografischen Gebiet erzeugt, verarbeitet und hergestellt worden sein. In Deutschland sind derzeit neun Produkte mit dem Siegel gekennzeichnet.
Dazu gehören der Allgäuer Bergkäse und die Stromberger Pflaume. Doch auch der Allgäuer Emmentaler, der Altenburger Ziegenkäse und Fleisch von der Lüneburger Heidschnucke stehen auf der Liste. Ebenso alle Weine aus deutschen Qualitätsweinanbaugebieten.
Die "geschützte geografische Angabe" (g.g.A.)
Weitaus weniger streng ist die g.g.A. Sie schützt Produkte, die laut EU-Kommission in einem "bestimmten geografischen Gebiet" nach einem "anerkannten und festgelegten" Verfahren hergestellt wurden. Darunter fallen in Deutschland derzeit rund 70 Produkte, etwa Schwarzwälder Schinken, Schwäbische Maultaschen, Dresdner Christstollen und Kölsch. Im Gegensatz zur g.U. müssen die Zutaten nicht aus der angegeben Region kommen. Das Fleisch für den Schwarzwälder Schinken könne "theoretisch auch aus Neuseeland kommen", kritisiert Andreas Winkler von der Verbraucherorganisation Foodwatch.
Die "garantiert traditionelle Spezialität" (g.t.s.)
Das dritte Gütesiegel kennzeichnet Lebensmittel, die in einem traditionellen Verfahren hergestellt wurden. Über regionale Herkunft sagt es nichts aus. In Deutschland trägt derzeit kein Produkt das Siegel; europaweit sind es nur sehr wenige.
Produkte ohne Herkunftspflicht
Grundsätzlich gibt es in Europa nur wenige Lebensmittel, für die eine Kennzeichnung verpflichtend ist. Bei frischem Obst und Gemüse sowie Rindfleisch muss das Herkunftsland angegeben werden. Tiefkühlgemüse oder -obst muss dagegen keinen Hinweis auf der Verpackung haben. Ab dem 1. April 2015 gelten für Fleisch allerdings strengere Regelungen: Bei frischem oder tief gefrorenem Fleisch von Schwein, Geflügel, Schaf und Ziege muss der Ort der Aufzucht und Schlachtung angegeben werden.
Scharfe Kritik seitens der Verbraucherschützer
Allerdings kennen sich die meisten Verbraucher bei den Gütesiegel und den einzelnen EU-Regelungen gar nicht aus. Bei Produktbezeichnungen mit Orts- oder Regionsbezug wissen daher nur wenige, ob es sich tatsächlich um ein zu hundert Prozent regionales Produkt handelt.
Foodwatch bezeichnet die EU-Vorgaben daher als "völlig unzureichend". Die Verbraucher könnten die einzelnen Gütesiegel kaum voneinander unterscheiden. Derzeit könnten Hersteller in der EU "ganz legal" mit Regionalität werben und ihre Produkte dementsprechend teurer verkaufen, obwohl diese damit nichts zu tun hätten, bemängelt Winkler. Eine rein freiwillige Lösung, wie sie in Deutschland unter anderem mit dem "Regionalfenster"-Siegel gesucht werde, helfe nicht weiter. Foodwatch fordert stattdessen eine "klare, verbindliche Herkunftsbezeichnung".
"Erster Schritt zu mehr Transparenz"
Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordert die Europäische Kommission auf, eine verbindliche, europaweit einheitliche Herkunftsbezeichnung durchzusetzen. Die verschärften Regelungen ab dem 1. April seien nur ein "erster Schritt zu mehr Transparenz", erklärt der Verband auf seiner Internetseite. Der Großteil der Verbraucher wolle grundsätzlich deutlich mehr über die Herkunft der Produkte wissen.