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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Seit 50 Jahren Ordensschwester Nonne: "Wir werden Missbrauch nicht ausrotten können"
Im Gespräch mit t-online.de erzählt Schwester Dominika Kinder, wie sich das Leben der Nonnen in den letzten Jahren verändert hat und spricht auch über Missbrauchsskandale der Kirche.
Man wünscht sich frischen Wind in der Kapelle der Schwestern von der heiligen Elisabeth – buchstäblich. Der Geruch von Schmerzsalbe vermischt sich mit dem von abgestandenem Weihrauch und Holzpolitur. Wenn etwa 30 Ordensschwestern zum Gebet in die Kapelle kommen, einige ihre Rollatoren im Gang abstellen und sich in die Reihen alter Holzbänke setzen, ist die Luft dick.
Altersdurchschnitt 80 Jahre
Frischen Wind braucht der Orden aber auch im übertragenen Sinn. "Neulich haben wir auch wieder eine Schwester beerdigt. Das geht schnell, weil der Altersdurchschnitt so hoch ist.", erklärt die Provinzoberin Schwester Dominika Kinder. Den Ordensschwestern fehlt der Nachwuchs. Im Schnitt sind die Frauen 80 Jahre alt. "Es sind sehr, sehr viele alte und nur ein paar junge Frauen.", erklärt Kinder.
Der steigende Altersdurchschnitt ist einer der Gründe, warum Kinder mit t-online.de spricht. "Es ist wichtig, zu zeigen, dass dieses Leben lebenswert ist", erklärt sie ihre Motivation. Immer weniger Menschen hätten im Alltag mit Nonnen zu tun. Kinder selbst ist 1968 dem Orden beigetreten, nachdem sie in einem Altenheim mit Nonnen zusammengearbeitet hat. "Damals habe ich gespürt, dass dieses Leben etwas für mich sein könnte."
Der dramatische Rollenwandel der Ordensschwestern
Knapp 50 Jahre später ist Kinder Provinzoberin und lebt mit knapp 30 anderen Frauen im Südwesten Berlins in einem Kloster mit Blick auf den Schlachtensee. In Deutschland hat die Kongregation insgesamt acht Standorte mit insgesamt 179 Schwestern. Der letzte Neuzugang zog vor 20 Jahren ein und ist heute selbst über 50. Die Schwestern brauchen im Alltag mittlerweile externe Unterstützung: "Für viele Tätigkeiten haben wir Mitarbeiter – Reinigungs- und Pflegekräfte, aber auch in der Küche. Das schaffen wir sonst selbst gar nicht."
Für die Frauen bedeutet das einen drastischen Rollenwandel. Denn vor ein paar Jahren noch waren sie selbst wichtige Stützen der Gesellschaft, wenn sie etwa als Lehrerinnen oder Krankenpflegerinnen arbeiteten. In einem Vorgespräch erzählt Kinder, dass genau diese Tätigkeiten einige Frauen dazu motiviert haben, einem Orden beizutreten. Sie konnten einen Beruf erlernen – und ihr Leben unabhängig von männlichen Verwandten führen. "Das ist jetzt ein Grund, warum weniger Mädchen sich heute für das Kloster entscheiden.", erklärt Kinder. Jetzt könnten Frauen auch ohne Orden berufstätig sein.
Welche Regeln im Kloster gelten
Es ist aber nicht nur die freie Berufswahl, die ein Leben im Kloster unattraktiver werden lässt: Es gibt auch einige Regeln, die die Schwestern beachten müssen. Das Ordensleben beruht auf drei Säulen: Gottgeweihte Keuschheit, Armut und Gehorsam. Was für Medien eine Schwester konsumiert, aber auch wie sie sich kleidet und wie sie Zerstreuung findet, muss mit diesen drei Grundsätzen in Einklang stehen.
Keuschheit bedeutet aber etwa nicht nur die Verpflichtung zum Leben in Ehelosigkeit und "vollkommener innerer und äußerer Enthaltsamkeit". Die Schwestern sollen laut der Ordenskonstitution auch alles meiden, was im "Wachstum in der Christusliebe hinderlich" sein könnte. Neben "zu engen menschlichen Bindungen" fallen darunter auch "ungute Einflüsse durch Lektüre, Radio oder Fernsehen".
Wann Frauen das Kloster verlassen
Kinder betont zwar: "Die Entscheidung, was sie lesen oder schauen, treffen die Schwestern selbst." So würden einige Schwestern durchaus auch moderne Filme schauen oder auch Fußball-Länderspiele verfolgen. Doch die Provinzoberin sagt ebenfalls: "Wenn jemand durch sein Verhalten permanent dem widerspricht, was er eigentlich geschworen hat, dann muss derjenige auch die Konsequenzen ziehen."
Für einige Frauen bedeutet das, das Kloster zu verlassen. Andere gehen, weil sie aus falschen Gründen in den Orden eingetreten sind. Es kommt aber auch vor, dass die Kloster Frauen nahelegen, die Kongregation zu verlassen. Trotz der Regel des Gehorsams sei es für eine Ordensschwester nämlich wichtig, eine eigenständige Persönlichkeit zu sein. "Jemand, der nur ins Kloster will, damit andere ihm sagen, was er machen soll: Der kann es gleich lassen."
Wo Schwester Dominika Gründe für Missbrauchsfälle sieht
Dass eine eigene Meinung durchaus zu einer Ordensschwester passt, macht Kinder immer wieder im Gespräch klar. So heißt es zwar in der Konstitution der Kongregation: "Den zuständigen Bischöfen und Bischofskonferenzen gegenüber sind wir nach Maßgabe der kirchlichen Rechtsvorschriften zu Ehrfurcht und Gehorsam verpflichtet." Sie möge den Papst, stellt Schwester Dominika Kinder klar. "Der Papst kann aber nicht unter allen Katholiken der klügste und beste sein. Der Bischof genauso wenig.", sagt sie.
Gehorsam zu sein, bedeutet für Kinder nicht, dass ihre Vorgesetzten unfehlbar sind: "Dass jene, die oben stehen, glauben, wichtiger zu sein als die darunter, das ist eine Gefahr." Für Kinder ist das auch einer der Gründe, warum es innerhalb der katholischen Kirche zu Missbrauchsfällen kommen konnte. Schuld seien nicht die Strukturen der Kirche, sondern Menschen, die sie ausnutzen. "Wir Menschen sind nicht nur gut. Nicht wahrhaben zu wollen, dass auch Kardinäle und Bischöfe Sünder sind: Dadurch passieren solche Sachen:"
Warum die Ordensschwester gegen die Frauenquote ist
Für Kinder steht eine Sache im Vordergrund: "Wir müssen alles tun, um die Opfer von Missbrauch zu schützen." Dazu gehören für sie Prävention, und dass Opfer zu ihrem Recht kommen. Aber: "Wir werden Missbrauch nicht ausrotten können. Das muss uns klar sein."
Kinder glaubt auch nicht, dass mehr Frauen in kirchlichen Führungsebenen das Problem lösen würden. "Frauen sind auch nicht besser. Eine Quote der Quote willen wäre deshalb sehr gefährlich. Da könnten die falschen Frauen hochkommen." Das bedeutet aber nicht, dass die Provinzoberin nicht für Gleichberechtigung wäre: "Dass die Frauen immer noch weniger verdienen als Männer, ist schrecklich. Es ist auch völlig klar, dass Frauen jeden Beruf ergreifen können." Als Feministin würde sich die Ordensschwester dennoch nicht bezeichnen: "Das ist mir zu einseitig. Ohne Männer bringt das nichts."
Wann das Leben als Nonne besonders schwer ist
Trotz der Skandale in der katholischen Kirche, den Regeln und den Herausforderungen sagt Kinder: "Ich halte das für ein schönes und erfülltes Leben." Die Provinzoberin gibt zwar selbst zu: "Das Leben in der Nachfolge Christi ist manchmal ein Opfer." So gibt es Zeiten, in denen sie sich Kinder, einen Partner oder mehr Unabhängigkeit gewünscht hätte. Doch: "Wenn man auf etwas verzichtet, kriegt man es hundertfach wieder." So habe ihre Arbeit in einem Kinderkrankenhaus sie sehr erfüllt, genauso wie ihre Arbeit mit Schülern und Jugendlichen.
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Nach dem gemeinsamen Abendessen ziehen sich die Provinzoberin und ihre Schwestern zurück – ob zum Schlafen oder Fernsehen, verraten sie nicht. Das weitläufige Gelände mit dem gepflegten Rasen und den säuberlich angelegten Gärten liegt dann verlassen da. "Wie ausgestorben", denkt man unwillkürlich – und wünscht dem Orden, dass dies keine Zukunftsprognose ist.
- Kongregation der Schwestern von der heiligen Elisabeth
- Deutsche Ordensobernkonferenz e.V.
- Eigene Recherche