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Kolumne: Erziehung ohne Strafen – Wer nicht hören will, muss fühlen?


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Moderne Erziehung
Strafen schaden Ihrem Kind

MeinungEine Kolumne von Larissa Koch

27.12.2017Lesedauer: 6 Min.
Mutter schimpft mit Kind.Vergrößern des Bildes
Mahnen und Drohen: Die meisten Eltern sind so geprägt, dass Ausschimpfen dazugehört. (Quelle: LittleBee80/Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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"Wenn ihr euer Zimmer jetzt nicht endlich aufräumt, gibt es nichts zu Weihnachten!" Ja, ich gebe zu, so oder so ähnlich ist es mir über die Lippen gekommen. Strafen sind einfach so verführerisch. Sie funktionieren so verlässlich. Und selbst wenn es – wie so oft – doch nur bei einer solchen leeren Drohung bleibt, Strafen und ihre Androhung wirken wie Katalysatoren in der Erziehung. Aber kennen Sie den Preis dafür?

Zwei Wochen vor meinem 18. Geburtstag bekam ich eine Woche Stubenarrest. Ich dachte, ich spinne! Jetzt noch? Auf den letzten Metern? Meine Eltern nutzten die allerletzte Chance, mich für meine halbe Stunde nächtlicher Verspätung abzustrafen (mein Freund und ich suchten sein geparktes Auto). Schon zwei Wochen später würden sie in die Tatenlosigkeit rutschen und sich mit der Beobachterrolle begnügen müssen. Denn dann – mit 18 Jahren – konnte ich schließlich tun und lassen, was ich wollte, meine eigenen Entscheidungen treffen. So steht es im Gesetz. Die Erziehungszeit war vorbei. Was soll der Quatsch? Ist man mit der Volljährigkeit plötzlich von einem Tag auf den anderen erwachsen? Gestern noch Verbote und Hausarrest und heute Narrenfreiheit?

Auch wenn diese Form des Umgangs mit Kindern seltener geworden ist, große Teile unserer Gesellschaft begegnen ihrem Nachwuchs noch heute in ähnlicher Weise.

Was heißt eigentlich Erziehung?

Allein der Begriff Erziehung zeugt von einem Verständnis über die Art, wie wir unsere Kinder aufwachsen lassen, welches man überdenken sollte. Wir ziehen demnach so lange an unseren Kindern herum, bis sie gut erzogen sind. Manchmal zerren wir auch an ihnen. Leider auch im Wortsinne.

Aber welche Folgen hat eine solche Erziehung, die auf Drohungen, Ansagen und Strafen beruht, bei der Eltern oft noch das viel zitierte "Wer nicht hören will, muss fühlen." als Maßstab zumindest im Hinterkopf haben? Solch ein Umgang bringt Kinder hervor, die lernen, in Machtstrukturen zu denken und zu handeln. Der Stärkere ist der Chef und sagt mir, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich muss mich unterordnen. Tue ich das nicht, gibt es Ärger.

Leider werden bei dieser Art der Erziehung Gefühle von Kindern unterdrückt und verletzt, oft ganz beiläufig. Und das hat Folgen. Brüllt ein Kind laut durch die Wohnung, zum Beispiel, weil es etwas nicht bekommt, sagt man schon mal: "So, du gehst jetzt in dein Zimmer, bis du dich beruhigt hast!" und weist das Kind für sein vermeintliches Fehlverhalten zurecht, um sich "das Geschrei" nicht länger anhören zu müssen. Die Botschaft ans Kind: Deine Gefühle sind nicht berechtigt und stören.

Ja, schreiende Kinder sind anstrengend. Aber Fakt ist: Insbesondere kleine Kinder können noch nicht anders. Das gilt auch noch für die ersten Grundschuljahre. Ihre Gehirne verarbeiten Wut, Angst oder Trauer noch nicht auf eine Weise, wie wir es uns manchmal wünschen würden. Das Gehirn muss diese kognitiven Fähigkeiten erst erlernen. Schicken wir unsere Liebsten im Brüll-Fall rüde in ihr Zimmer, helfen wir ihnen aber nicht zu lernen, wie sie ihre Gefühle lenken und anders ausdrücken können. Wir würgen ihre Wut ab und deklarieren sie mit "Nervt!", "Ist falsch", "Wollen wir hier nicht".

Strafen sind schmerzhafte Erfahrungen, die Folgen haben

Wir sehen es ja an uns selbst, wie schwierig es ist, unsere Gefühle unter Kontrolle zu halten und in ruhiger, konstruktiver Weise zu zeigen. Denn oft schaffen wir es eben auch nicht und begegnen dem trotzenden Kind ebenso mit Trotz: "So, jetzt bleibst du hier sitzen, guckst zu und spielst nicht mehr mit!", nachdem ein wütendes Kind alle Spielfiguren vom Brett gefegt hat, weil es eine Runde aussetzen musste. Damit Kinder lernen, ihre Gefühle zu verstehen und zu steuern, ist es aber wichtig, sie dabei zu begleiten und Verständnis zu zeigen. Strafen, das Ausschließen aus Situationen oder verbale Zurückweisungen wie: "Ach stell dich nicht an, jeder verliert mal!" sind definitiv keine Hilfe, sondern schmerzhafte Erfahrungen, die das Selbstwertgefühl von Kindern verletzen oder es schlimmstenfalls in seiner Entwicklung empfindlich stören.

Und leider sind die genannten Muster, die wohl die meisten Eltern bei sich mehr oder weniger wiedererkennen, weil sie selbst so aufgewachsen sind, noch das kleinere Übel. Die polizeiliche Kriminalstatistik aus dem Jahr 2016 bringt ans Licht, dass häusliche Gewalt gegenüber Kindern gestiegen ist. Täglich werden mindestens zwölf Kinder misshandelt, drei Kinder sterben pro Woche infolge häuslicher Gewalt. Es sind nur die Fallzahlen, die angezeigt werden. Die Dunkelzahl dürfte um ein Vielfaches darüber liegen. Und die Gewalt findet in ALLEN gesellschaftlichen Milieus statt: In Familien von Sozialhilfeempfängern und in Akademikerhaushalten.

Hunderttausende Kinder in Deutschland erfahren zu Hause Gewalt

Was nicht erfasst wird, weder vom sogenannten Hellfeld (polizeiliche Statistik) noch vom Dunkelfeld (die tatsächliche Fallzahl) sind niedrigschwellige Gewaltformen, die wohl den meisten von uns Eltern mal unterlaufen, dem einen mehr, dem anderen weniger: Drücken, Ziehen, Schubsen, der berühmte Klaps auf den Po, Anschreien oder verbales Herabsetzen. All diese oft im Alltag eingeflochtenen kleinen Aktionen können Kinder massiv verunsichern und in ihrer Entwicklung behindern. Und all das sind dann massive Störfeuer in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Kinder, die zurückgewiesen werden, lernen selbst keine oder nur unzureichend Empathie und einen konstruktiven Umgang mit Konflikten. Und Kinder, die von ihren Eltern immer wieder hart sanktioniert werden, empfinden ihre Eltern manchmal nicht mehr als das, was sie eigentlich sind: die wichtigsten Menschen in ihrem Leben.

Ich erinnere mich noch genau, wie ich im Spätsommer auf einem Spielplatz Zeugin einer wohl sehr alltäglichen Situation wurde: Ein vierjähriger Junge geriet in einen Streit mit einem Altersgenossen und zeigte seinen Unmut mit einem Schlag gegen den Bauch des anderen. Die Eltern des "Schlägers" sahen das, sprangen von der Bank auf, spurteten im Doppel zu ihrem Sohn, packten ihn gemeinsam und die Mutter rief: "Kein Eis!" Der Vater schrie hinterher, als würde er ihren Satz vervollständigen: "Kein Fernsehen!" Es klang wie aus einem Munde, wie einstudiert und automatisiert abgerufen: "Kein Eis, kein Fernsehen!" Das saß. Der Junge weinte und wollte nicht mehr weiterspielen. Der Tag war gelaufen. Die Eltern setzten böse Mienen auf, um ihrer Sanktion Nachdruck zu verleihen, und zogen sich zurück auf ihren Beobachterposten. Was hat der Junge gelernt? Wenn ich haue, dann gibt es richtig Stress. Wirkt. Und was hat der Junge nicht gelernt? Eine Konfliktstrategie. Eine von vielen verpassten Chancen, kleinen Kindern eine Streitkultur beizubringen. Viele von uns beherrschen den konstruktiven Umgang mit Konflikten deshalb auch im Erwachsenenalter nicht. Die erschöpften Streithähne treffen sich dann nicht selten später beim Paarberater wieder (das ist der konstruktive Fall). Andere liefern sich schlimmste Rosenkriege oder schlagen sich wirklich die Köpfe ein (Stichwort: häusliche Gewalt).

Wer sein Kind in der Wut oder Trauer begleitet, hilft ihm

Das Kind ins Zimmer zu schicken oder mit Verboten zu überziehen, ist zwar meist wirksam, aber es ist nicht konstruktiv. Konstruktiv wäre ein Gespräch, bei dem man das Kind zum Beispiel fragt, warum es wütend geworden ist und Verständnis für die Wut oder Trauer zeigt, diese mit dem Kind zusammen aushält und dem Kind zeigt, dass diese Gefühle ok sind.

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Wer sein Kind beim Großwerden begleitet, hilft, Gefühle zu erkennen und zu lenken, im Konfliktfall gemeinsame Lösungen erarbeitet und Absprachen trifft, statt Sanktionen auszusprechen, der hat beste Chancen, zufriedene und selbstbewusste Persönlichkeiten an seiner Seite zu haben, zu denen er vor UND nach dem 18. Lebensjahr eine liebevolle, vertraute Beziehung hat, die von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist und auf Augenhöhe stattfindet.

Ich schließe mit einem Zitat der Pädagogin Katharina Saalfrank, das so schlicht wie wahr ist, aber manchmal gerät der Inhalt dieser Worte in Vergessenheit: "Für uns ist es nur der Alltag mit unseren Kindern. Für die Kinder ist es ihre Kindheit – sie haben nur die eine."

Larissa Koch ist Redakteurin bei t-online.de und hat zwei Kinder im Alter von fünf und sieben Jahren. In ihrer Kolumne "Der ganz normale Wahnsinn" beschreibt sie regelmäßig, was Eltern durchmachen müssen oder dürfen – je nachdem.

Quellen und weiterführende Informationen:

- Buch: "Kindheit ohne Strafen" von Katharina Saalfrank, Beltz Verlag, 2017

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