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Nicht invasive Pränataltests: Das sollten werdende Eltern wissen


Umstrittene Untersuchung
Bluttest auf Trisomie: Das sollten werdende Eltern wissen

dpa, Von Dorothee Menhart

Aktualisiert am 27.01.2023Lesedauer: 7 Min.
Neu als Kassenleistung: Die nicht invasiven Pränataltests dienen der Früherkennung von genetischen Krankheiten des Embryos.Vergrößern des Bildes
Neu als Kassenleistung: Die nicht invasiven Pränataltests dienen der Früherkennung von genetischen Krankheiten des Embryos. (Quelle: SeventyFour/getty-images-bilder)

Nicht invasive Pränataltests sind freiwillig und gehören zu den medizinischen Kassenleistungen. Doch wie zuverlässig sind diese Untersuchungen tatsächlich?

Was möchten wir über die Gesundheit unseres ungeborenen Kindes erfahren? Diese Frage stellen sich werdende Eltern schon früh in der Schwangerschaft. Viele Untersuchungen sind Standard, andere optional. Dazu gehört der nicht invasive Pränataltest.

Jahrelang wurde darum gestritten, jetzt ist es Gesetz: Seit dem 1. Juli 2022 übernehmen Krankenkassen in Deutschland die Kosten für nicht invasive Pränataltests, kurz NIPT. Mit einer einfachen Blutentnahme sollen werdende Eltern damit in den ersten Wochen der Schwangerschaft Auskunft über genetisch bedingte Behinderungen ihres Kindes erhalten.

Der freiwillige Test ist ab der 10. Schwangerschaftswoche anwendbar und risikoarm für Mutter und Kind: Aus der Blutprobe der Schwangeren wird im Labor kindliche DNA gewonnen, die Aufschluss über genetische Veränderungen gibt. Etwa ob eine Trisomie vorliegen könnte, bei der bestimmte Chromosomen in den Zellen des Kindes statt zweifach dreifach vorhanden sind.

Wofür werden pränatale Bluttests durchgeführt?

Untersuchungen während der Schwangerschaft dienen grundsätzlich der Gesundheit der Schwangeren sowie der Früherkennung von Krankheiten des Embryos: Liegen genetische Abweichungen vor, die auf eine Behinderung oder Beeinträchtigung hindeuten könnten? Oder deuten der Pränataltest sowie andere pränataldiagnostische Verfahren eher darauf hin, dass der Embryo gesund geboren ist? Mit solchen Fragen kommen Schwangere in die Praxis von Frauenärzten und Pränatalmediziner.

"Ziel unserer Beratung ist immer die mündige Patientin", sagt Prof. Dr. Alexander Scharf. Bis 2010 arbeitete der Pränatalmediziner an verschiedenen Krankenhäusern, zuletzt als stellvertretender Direktor der Universitätsfrauenklinik Heidelberg. Heute ist er in eigener Praxis tätig.

"Mündig" bedeutet für Scharf, dass sich eine werdende Mutter darüber im Klaren ist, ob sie vor der Geburt überhaupt Aufklärung über mögliche Beeinträchtigungen ihres Kindes wünscht. Und falls ja: Wie weitgehend die Informationen sein sollen. Schließlich: Welche Konsequenzen will sie für sich persönlich ziehen, falls die Untersuchungen körperliche oder genetische Auffälligkeiten zeigen?

Wer hat Anspruch auf einen NIPT?

"Der Test gehört nicht zu den allgemein empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen", sagt der Gynäkologe Jochen Frenzel aus Saarbrücken. Er hat die sogenannte Zusatzqualifikation zur fachgebundenen genetischen Beratung. Sie ist verpflichtend, um Schwangere über den NIPT aufzuklären und ihn durchzuführen.

Damit die Kassen den Test bezahlen, muss eine Begründung vorliegen. Das kann beispielsweise ein auffälliger Ultraschallbefund sein. "Letztlich haben aber alle Schwangeren einen Anspruch auf die Kostenübernahme, solange sie ihre Sorge über mögliche Erkrankungen ihres Kindes zum Ausdruck bringen und diese Sorge sie psychisch belastet."

Jochen Frenzel klärt seine schwangeren Patientinnen bereits in der ersten Untersuchung über die Existenz des Tests auf. Dazu gehört für ihn, ausreichend über die Aussagekraft und mögliche Folgen des Befundes zu informieren und zu beraten.

Was sagt der Test aus?

Wichtig ist Jochen Frenzel, dass werdende Eltern die Aussagekraft des NIPT nicht überschätzen. "Viele Eltern glauben, dass ein negativer Befund ihnen ein gesundes Kind garantiert, das ist nicht der Fall", sagt der Gynäkologe, der auch Vorstandsmitglied des Berufsverbands der Frauenärzte ist.

Denn: Der NIPT kann nur die Wahrscheinlichkeit für die Trisomien 13, 18 und 21 bestimmen – die vielen hundert anderen genetischen Erkrankungen oder rein körperlichen Krankheiten, die keinen Bezug zu Genetik haben, bleiben außen vor.

Was sagt der sogenannte NIPT also aus? "Er kann die Chromosomen-Abweichungen, die für eine Trisomie 13, 18 oder 21 verantwortlich sind, feststellen", sagt Oliver Harzer. Er ist Facharzt für Laboratoriumsmedizin und Geschäftsführer des Labors Bioscientia Healthcare GmbH.

Der Test sei sehr aussagekräftig und liefere in 99,9 Prozent der Fälle ein richtiges Ergebnis. Das liegt in aller Regel nach frühestens zwei Tagen vor und wird den Eltern meist vom behandelnden Gynäkologen oder der Gynäkologin mitgeteilt.

"Trotz der hohen Sicherheit handelt es sich beim NIPT-Ergebnis um keine Diagnose, sondern wird als Risikoeinschätzung verstanden", erklärt Johanna Tecklenburg, Ärztin in der Humangenetik bei der Bioscientia Healthcare am Standort Ingelheim.

Und wenn der Befund auffällig ist?

Für eine sichere Diagnose müssen sich nach einem positiven NIPT-Befund invasive Untersuchungen anschließen – die sogenannte Chorionzottenbiopsie, bei der Gewebe aus der Plazenta entnommen und im Labor untersucht wird. Oder die Amniozentese, bei der Fruchtwasser entnommen und untersucht wird.

Nur wenn diese invasiven Eingriffe stattgefunden haben und eine sichere Diagnose vorliegt, dürfen Schwangere eine Spätabtreibung aufgrund der Behinderung ihres Kindes vornehmen lassen, wenn sie sich dafür entscheiden.

Wichtig zu wissen: Eine bis vier von 1.000 Frauen erleiden ausgelöst durch die invasiven Untersuchungen eine Fehlgeburt.

Wie gehen werdende Eltern mental mit einem positiven Befund um?

"Ergibt sich aus dem Bluttest ein positiver Befund, versetzt dies Eltern häufig in einen Schockzustand, aus dem heraus sie weitere wichtige Entscheidungen treffen müssen", sagt Angelika Dohr, Frauenärztin und ärztliche Psychotherapeutin. Im Auftrag von Pro Familia leistet sie am Uniklinikum Münster psychosoziale Beratung zur Pränataldiagnostik.

"Es geht in der Beratung darum, das Unfassbare auszuhalten, Gedanken bewusst auszusprechen, Fragen zu beantworten und Zeit zu schaffen für eine Entscheidung und die Absicherung des Tests." Was genau heißt es, wenn mein Kind eine Trisomie 13, 18 oder 21 hat? Wie kann das Familienleben dann aussehen?

Wertneutrale Information und Zeit zum Nachdenken seien in dieser Situation das Wichtigste, sagt Angelika Dohr. Die Ärztin sieht die Frauen und Paare meist erst nach einem auffälligen Befund, obwohl das Beratungsangebot – wie auch andere – schon vor dem NIPT genutzt werden könnte. "Wichtig für Schwangere ist zu wissen, dass sie sich schon so früh an uns wenden können."

Wer gut auf die Entscheidungsmöglichkeiten nach einem auffälligen Befund vorbereitet sei, könne beispielsweise im Vorhinein auch frei entscheiden, auf den NIPT zu verzichten, so Dohr. Eine ebenfalls ausführliche Beratung nach positivem NIPT-Befund bieten außerdem Fachärzte für Humangenetik an.

Seit der Kostenübernahme des NIPT durch die Krankenkassen bemerkt Labormediziner Oliver Harzer ein höheres Test-Aufkommen in seinen Laboren. "Es gibt deutlich mehr Anfragen, wir mussten gerätetechnisch bereits jetzt aufrüsten."

Umso wichtiger sei es, dass die Netzwerke zwischen Gynäkologen, Humangenetikern und Beratungsstellen gut funktionierten. "Jeder von uns ist ein Mosaiksteinchen in der Betreuung und Beratung von Schwangeren", sagt Harzer. Von zentraler Bedeutung ist, dass werdende Eltern schon früh Beratungsmöglichkeiten kennen. Denn dann können sie den richtigen Weg für sich wählen.

Invasive versus nicht invasive Testverfahren

Der Vorteil der nicht invasiven Tests gegenüber invasiver Pränataldiagnostik wie der Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) und der Plazentapunktion (Chorionzottenbiopsie) scheint zunächst klar, denn letztere sind mit einem – wenn auch geringen – Fehlgeburtsrisiko verbunden. Und zumindest mit Blick auf die Diagnose Down-Syndrom sind sie zumindest bei Schwangeren ab 40 Jahren relativ genau.

Mit der Neuregelung werden die Bluttests auf die Trisomien 13, 18 und 21 aber nicht nur für ältere oder gesundheitlich vorbelastete Schwangere kostenlos verfügbar, sondern "dem Lowrisk-Kollektiv der knapp 800.000 jährlich entbindenden Schwangeren – und zwar ohne jegliche wissenschaftlich-medizinische Indikation", sagt Pränatalmediziner Scharf. Letzteres sei Folge der vom Gemeinsamen Bundesausschuss gewählten vagen, unpräzisen Formulierung zur Berechtigung der Inanspruchnahme.

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Er gehe davon aus, dass mehr als 90 Prozent eines Geburtsjahrgangs an Schwangeren den kostenlosen Test in Anspruch nehmen, so der Mediziner. "Doch weil im medizinischen Sinne indikationslos und quasi in der Gesamtheit der Schwangeren gesucht wird, kommt es zu einem hohen Anteil an Auffälligkeiten bei tatsächlich Gesunden. "Wirklich zutreffend seien die Ergebnisse dann lediglich bei zehn bis 15 Prozent. Das heißt: "Nur jeder siebte bis achte Test, der auffällig ist, bedeutet tatsächlich ein krankes Kind."

Je jünger die Schwangere, desto unzuverlässiger ist der Test. Deshalb biete der Test auch keine Diagnose, aus der eine medizinische oder soziale Konsequenz gezogen werden könne. Dafür seien eine Fruchtwasseruntersuchung oder eine Plazentapunktion unerlässlich. "Ein Test kann diese Diagnosen nicht ersetzen, auch wenn das oft behauptet wird", sagt Scharf. Im Gegenteil: "Ich fürchte, die Punktionszahlen werden – getriggert durch NIPT – weiter ansteigen."

Nachteile der nicht invasiven Pränataltests

Auch die Erziehungswissenschaftlerin und Heilpädagogin Prof. Dr. Marion Baldus von der Hochschule Mannheim geht davon aus, dass der verstärkte Einsatz von NIPT zu mehr Punktionen führen wird. Sie kritisiert vor allem regelhafte NIPTs bei jungen Frauen mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie.

Außerdem: Neben den jetzt kassenfinanzierten Tests auf Trisomien gibt es auf dem Markt auch Bluttests, die eine falsch-positiv Rate von bis zu 90 Prozent aufwiesen. So berichtet Baldus von Studien aus den Niederlanden, die zeigten, dass bei Tests, die nach genetischen Anzeichen für eine Behinderung oder Beeinträchtigung suchen und dafür das komplette Genom untersuchen, die Fehlerquote bei sehr selten auftretenden chromosomalen Veränderungen bei 89 Prozent liegt: "Das heißt, dass von 100 Frauen 89 Frauen unnötigerweise beunruhigt wurden, sie könnten ein Kind mit einer Behinderung gebären."

Die ganz überwiegende Zahl von NIPT sorgt aus Sicht von Scharf und Baldus für Verunsicherung, nicht für Klarheit. Damit widerspricht NIPT dem Ziel der Pränataldiagnostik, die informieren und eine Entscheidungsgrundlage bieten will", so Alexander Scharf. Durch die Einführung von NIPT als Leistung der Krankenkassen werde der Test aber offiziell geadelt und zum Standardverfahren erhoben.

Und Baldus meint: Wenn solche Tests von der Solidargemeinschaft finanziert werden – wie das der Fall ist, wenn Krankenkassen die Kosten übernehmen – dann setze der Staat damit ganz klar eine Botschaft: "Wir haben ein Interesse daran, dass möglichst viele Frauen die Tests nutzen."

Kritik: NIPT sucht ausschließlich nach genetischen Erkrankungen

Das ruft Behindertenverbände auf den Plan, aus deren Sicht die Kostenübernahme für Bluttests das Signal sendet, dass Menschen mit Trisomie nicht zur Welt kommen sollten. Das führe zu Ausgrenzung und Diskriminierung. Andere vorgeburtliche Untersuchungen wie der Ultraschall hätten das Ziel, Eltern Informationen über medizinisch sinnvolle Handlungsoptionen für den weiteren Verlauf der Schwangerschaft, für die Geburt oder die Zeit danach mitzugeben.

Wer weiß, was dem Kind fehlt, kann dann gegebenenfalls in einer Spezialklinik entbinden oder sich schon Wochen vor der Geburt um wichtige Unterstützung bemühen. NIPT suchten jedoch ausschließlich nach genetischen Varianten wie dem Down-Syndrom, die nicht therapierbar seien und auch nicht behandelt werden müssten. Die einzige Handlungsoption, die sich für werdende Eltern aus einem solchen Testergebnis ergebe, sei die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch.

Die Kritik der Verbände und verschiedener Zivilgesellschaftlicher Organisationen, dass dies selektiven Charakter habe, ist auch aus Sicht von Marion Baldus nicht von der Hand zu weisen: "Nach einer Diagnose auf Trisomie 21 werden in Europa 90 Prozent der Schwangerschaften abgebrochen, nur zehn Prozent der werdenden Eltern entscheiden sich für ein Kind mit Trisomie 21."

Damit müsse die Gesellschaft sich auseinandersetzen, ist Alexander Scharf überzeugt: "Denn Sicherheit oder eine Garantie auf Perfektion wird es nie geben."

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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