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Corona: "Politik trägt Verantwortung für Todesfälle und Überlastung des Gesundheitssystems"


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Experten zum Corona-Gipfel
"Die Politik hat sich schon für Durchseuchung entschieden"


Aktualisiert am 02.12.2021Lesedauer: 3 Min.
Weihnachtsmarkt in Braunschweig: Was kann die steigenden Infektionszahlen noch aufhalten?Vergrößern des Bildes
Weihnachtsmarkt in Braunschweig: Was kann die steigenden Infektionszahlen noch aufhalten? (Quelle: Swen Pförtner/dpa)
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Lockdown mit harten Einschränkungen oder Durchseuchung und mehr Todesfälle – wie geht es in Deutschland weiter? t-online hat Experten gefragt und spannende Antworten bekommen.

Von vielen wurde sie unterschätzt – die vierte Corona-Welle. Ist es jetzt noch möglich, sie zu stoppen? Zwei Epidemiologen machen deutlich: Das wird extrem schwierig. Welche Maßnahmen dringend nötig wären, erläutern Prof. Markus Scholz von der Uni Leipzig und Prof. Rafael Mikolajczyk vom Universitätsklinikum Halle im Gespräch mit t-online.

Wie lässt sich die vierte Welle noch brechen?

Der Epidemiologe Markus Scholz findet deutliche Worte: "Die Politik hat sich schon für Durchseuchung entschieden und trägt somit die wesentliche Verantwortung für die Überlastungen des Gesundheitssystems und für viele weitere Todesfälle." Für einen erneuten Wechsel auf eine Eindämmungsstrategie sei es fast schon zu spät. Nur sehr harte Kontaktbeschränkungen über längere Zeit könnten die Fallzahlen noch effektiv absenken.

(Quelle: Universität Leipzig)


Prof. Dr. Markus Scholz leitet am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE) der Universität Leipzig eine Arbeitsgruppe zur Genetischen Statistik und Systembiologie. Seine Arbeitsgruppe untersucht aktuell auch die Corona-Pandemie.

Das bestätigt auch Mikolajczyk: "Eine generelle Senkung der Kontaktzahlen ist notwendig." Bereits jetzt sinke der R-Wert auf unter 1, der Prozess habe in der Bevölkerung bereits eingesetzt. "Die politischen Entscheidungen sollten es unterstützen", bekräftigt der Epidemiologe.

Die wichtigste Maßnahme sei nun eine Priorisierung der Booster-Impfungen für die Risikogruppen, denn "eine Boosterung der Gesamtbevölkerung ist aktuell nicht zu schaffen", ist sich Scholz sicher. Die vulnerablen Gruppen müssten bestmöglich geschützt werden, um die Auswirkungen der Durchseuchung so weit wie noch möglich abzufedern. Doch aufgrund der fehlenden Priorisierung sei mit vielen weiteren Todesfällen zu rechnen.


"Es ist überhaupt nicht zu verstehen, dass man in Deutschland aktuell weder auf effektive Eindämmung der Pandemie noch auf ausreichenden Schutz der Risikogruppen setzt", sagt Scholz t-online.

Helfen jetzt nur noch ein Lockdown und 2G plus?

Mikolajczyk grenzt an dieser Stelle ein: "Lockdown ist nicht nur ja oder nein – es gibt auch partielle Kontakteinschränkungen." G-Regelungen allein reichen seiner Meinung nach hingegen nicht aus.

Eine deutliche Absenkung der Infektionszahlen ließe sich nur noch mit drastischen Kontaktbeschränkungen erreichen, "da der Zeitpunkt für effektive Eindämmungsmaßnahmen bereits deutlich verpasst wurde", erklärt Scholz. Dazu müssten die wesentlichen Pandemietreiber wie Großveranstaltungen, Schulen, der Arbeitsbereich und Zusammenkünfte in überfüllten kleinen Innenräumen ausgeschaltet werden.


Er spricht sich für eine flächendeckende Einführung von 2G plus aus, da dies "auf jeden Fall sicherer ist als 2G oder 3G". Corona-Tests seien auch bei 2G erforderlich, da sich diese Personengruppen auch anstecken könnten. Diese Maßnahme diene jedoch nur der Abfederung der Welle.

Sollten die Maßnahmen gleichermaßen für Ungeimpfte und Geimpfte gelten?

Epidemiologe Scholz hält es für denkbar, dass für Geimpfte größere Freiheiten gelten könnten. "Die Impfungen schützen hauptsächlich vor schweren Verläufen. Die Wirkung gegen Ansteckung nimmt mit der Zeit zwar ab, ist aber auch nicht null", sagt er t-online. Und: Nach der Booster-Impfung sei der Schutz vor einer Ansteckung mit dem Virus nochmal deutlich verbessert.

Dem widerspricht Mikolajczyk zumindest in Teilen. Kontakteinschränkungen müssten alle umfassen, "weil sie anders an vielen Stellen nicht praktisch umsetzbar sind", so der Experte. Und er bekräftigt auch: Da Geimpfte und Genesene weiterhin die Infektion übertragen könnten, spielen sie auch eine Rolle in Übertragungsketten.

Sollten Schulen wieder geschlossen werden?

In der Altersgruppe der Kinder- und Jugendlichen gibt es aktuell die höchsten Inzidenzen. Verwunderlich sei dies aufgrund geringer Impfquoten in diesem Altersbereich nicht, sagt Scholz. "Ohne Schulschließungen werden Lockdowns deshalb ineffizient bleiben."

(Quelle: imago images/Steffen Schellhorn)


Prof. Dr. Rafael Mikolajczyk ist Direktor des Instituts für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Doch sein Kollege Rafael Mikolajczyk bekräftigt auch: "Die Schulen sind mit Testpflicht eine relativ kontrollierte Umgebung." Zudem sei unklar, ob Schulschließungen wirklich einen Effekt außerhalb eines strengen Lockdowns hätten. Anders als Scholz spricht sich Mikolajczyk auch "in Anbetracht der Auswirkungen auf die Kinder" dafür aus, Schulschließungen erst als letzte Maßnahme zu ergreifen.

Sollten der gesamte Freizeit-, Kultur- und Sportbereich sowie der Einzelhandel geschlossen werden?

Im Freizeitbereich sieht Mikolajczyk vor allem eine Gefahr in Großveranstaltungen. Sie bergen "Risiken für Übertragungen, die nicht gut nachverfolgbar sind". Dahingegen sei der Betrieb im Einzelhandel mit beschränkter Besucherzahl aus seiner Sicht weiterhin möglich. "Mehr Homeoffice, Einschränkungen der Gastronomie und in öffentlichen Transportmitteln sind weitere mögliche Maßnahmen", erklärt der Epidemiologe.

Scholz zufolge kommen generelle Schließungen dort nicht infrage: "Wenn 2G-plus- und AHAL-Regeln eingehalten werden, könnten viele Bereiche weitgehend sicher sein." Das Schließen kleiner Einkaufsläden und Dienstleister habe keinen Effekt.

Was wird jetzt wichtig?

Auch wenn der R-Wert aktuell sinkt, sind die Zahlen insgesamt weiterhin dramatisch hoch. Die neue Omikron-Variante beunruhigt viele Experten zusätzlich. Auch auf den Intensivstationen bleiben die Betten knapp und täglich werden neue Corona-Patienten eingeliefert.

Rafael Mikolajczyk hat deshalb eine klare Handlungsempfehlung, wie wir jetzt am besten durch den zweiten Corona-Winter kommen: "Notwendig ist eine schnelle weitere Senkung der Reproduktionszahl. Die Reproduktionszahl um 1 zu halten wird kumulativ die Intensivstationen belasten. Mit Blick auf die noch unklare Gefahr der Omikron-Variante ist es wichtig, die Epidemie bis zum Frühjahr zu kontrollieren."

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Anfragen an Markus Scholz und Rafael Mikolajczyk
  • Eigene Recherche
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