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Vierte Corona-Welle: Welche Inzidenz können wir uns erlauben?


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Spahn-Vorstoß zu Corona-Maßnahmen
Warum die Krankenhauszahlen ein unsicherer Wert sind


Aktualisiert am 23.08.2021Lesedauer: 3 Min.
Intensivstation: Schwer kranke Covid-19-Patienten werden hier versorgt.Vergrößern des Bildes
Intensivstation: Schwer kranke Covid-19-Patienten werden hier versorgt. (Quelle: Sebastian Gollnow/dpa)
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Die 50er-Inzidenz habe ausgedient, meint Gesundheitsminister Jens Spahn. Noch gilt die Sieben-Tage-Inzidenz als Grundlage für Corona-Maßnahmen in Deutschland. Experten fordern aber schon länger andere Richtwerte.

Eine 50er-Inzidenz soll künftig kein Maßstab mehr sein, um über Corona-Maßnahmen zu entscheiden. Gesundheitsminister Jens Spahn stellte am 23. August im "ZDF-Morgenmagazin" dazu klar: "Die 50er-Inzidenz im Gesetz, die hat ausgedient."

Die Begründung des CDU-Politikers: Der Wert – nicht mehr als 50 neue Infektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen – habe für eine ungeimpfte Bevölkerung gegolten. "Der neue Parameter ist dann die Hospitalisierung", so Spahn. Damit ist die Zahl der Covid-19-Patienten gemeint, die im Krankenhaus liegen.

Seit Wochen steigt die Gesamtinzidenz für Deutschland: Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) von Montagmorgen lag sie bei 56,4 – in der Vorwoche betrug der Wert 36,2 und beim Tiefststand am 6. Juli nur 4,9.

Wie viel Aussagekraft haben die Inzidenzen?

Schon länger gibt es nicht nur vonseiten Jens Spahns an diesem Wert Kritik: Mit steigenden Impfraten würden die Inzidenzen an Aussagekraft verlieren. Eine Inzidenz von 50 entspreche nicht mehr einer Inzidenz von 50 in vorherigen Corona-Wellen. Noch immer aber entscheidet sie über Lockerungen oder strengere Maßnahmen.

Wie lässt sich also das aktuelle Infektionsgeschehen am besten abschätzen und eine mögliche Überlastung des Gesundheitswesens frühzeitig erkennen? Wissenschaftler und Politiker diskutieren verschiedene Parameter.

Schweizer Forscher schlägt 1.200 als Schwellenwert vor

Der Berner Epidemiologe Christian Althaus ging bereits im Juli davon aus, dass im Winter die Inzidenzen wieder hoch ausfallen dürften. Viele europäische Länder seien demnach bereits zum Sommerstart in eine Phase übergegangen, in der schon viele Menschen vollständig geimpft seien, das Virus sich aber wahrscheinlich dennoch stärker ausbreiten werde.

Vorläufig sei es demnach allerdings schwierig abzuschätzen, wie sehr das Gesundheitssystem dadurch belastet werde. Die Inzidenzen müssten deshalb in ein Verhältnis zu den Hospitalisierungen gesetzt werden, um an Aussagekraft zu gewinnen. Auch Althaus empfahl bereits im Juli – ähnlich wie Spahn jetzt – die Zahl der täglichen Krankenhauseinweisungen als Maßgabe für eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen zu nutzen.

Orientieren könnte man sich dafür an der Schweiz, wo 120 tägliche Neuaufnahmen von Covid-19-Patienten als Schwellenwert für weitere Maßnahmen dienten. "Auf Deutschland bezogen würde das dann um den Faktor zehn höher sein, also etwa 1.200 Hospitalisierungen pro Tag als Schwellenwert", sagte der Experte bei einer Veranstaltung des Science Media Center.

Indikator Krankenhausaufnahme – in Deutschland ein Problem

Für den Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen von der TU Berlin, Reinhard Busse, liegt der entscheidende Punkt bei der aktuellen und verlässlichen Datenbasis. Ein Problem sei, dass in Deutschland im Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) fallbezogene – und keine personenbezogenen – Daten erhoben würden.

"Ein Patient, der verlegt wird von einem Krankenhaus in das andere, der zählt doppelt, und das passiert bei den Covid-Patienten relativ häufig", so Busse ebenfalls im Juli. Hinzu komme, dass die Verweildauer nicht gezählt werde.

Aktuell (Stand: 22. August 2021) befinden sich laut Divi rund 700 Covid-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, im Vergleich zum Vortag gab es 45 Neuaufnahmen. Den bisher höchsten Stand an Covid-Intensivpatienten gab es im Januar 2021 mit mehr als 5.700. Die aktuellen Zahlen entsprechen in etwa denen von Mai/Juni sowie Oktober 2020.

Inzidenz bleibt wichtig – aber wie hoch ist noch verkraftbar?

Laut dem Modellierer Andreas Schuppert von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen ist es hier höchste Zeit, gute und belastbare Daten zu bekommen. Die Sommermonate sollten für die Optimierung genutzt werden, kündigte er im Juli an. Bis dahin biete die Sieben-Tage-Inzidenz aber weiter eine gute Orientierung.

Bereits im Juli hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angekündigt: "200 ist das neue 50". Während im Herbst 2020 bei Erreichen einer Inzidenz von 50 strengere Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens greifen mussten, seien mit Fortschreiten der Impfkampagne 200 tolerierbar, sollte das heißen.

Doch diese Beurteilung war laut Experte Schuppert bereits im Juli auch von anderen Faktoren abhängig. Die Wirksamkeit der Impfstoffe etwa liege nicht bei 100 Prozent – folglich könnten sich auch vollständig Geimpfte weiterhin infizieren. "In diesem Fall werden wir mehr Infektionen sehen, die aber dann milde verlaufen. Wir können dann eine höhere Inzidenz formal verkraften, weil sie nicht auf die Intensivstation durchschlägt", erklärte Schuppert.

Aktuell steigen zudem besonders die Fallzahlen bei den 15- bis 29-Jährigen. Diese jüngeren Personen weisen aber auch ein geringeres Risiko für schwere oder tödliche Verläufe auf. Die Belastung des Gesundheitssystems dürfte deshalb bei Inzidenzen wie im Winter 2020 deutlich geringer ausfallen. Eine konkrete Zahl, wann eine Überlastung definitiv erreicht wäre, können die Experten aber bisher nicht nennen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Robert Koch-Institut (RKI)
  • Science Media Center: Pressebriefing vom 27. Juli 2021
  • Ärztezeitung: "Deutschland sucht die neuen Pandemie-Marker", 27. Juli 2021
  • Deutschlandfunk: "Kann Deutschland vom britischen Infektionsgeschehen lernen?", 27. Juli 2021
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Eigene Recherche
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