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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampf gegen Corona Experte schließt Impfpflicht generell nicht aus
Frankreichs Präsident Macron verkündete am Montag einen radikalen Schritt: Wer im Gesundheitswesen arbeitet, muss sich impfen lassen. Droht die Impfpflicht auch in Deutschland? t-online sprach mit einem Experten.
Frankreich macht Ernst mit der Impfpflicht für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Wer im Gesundheitswesen oder in der Pflege arbeitet, muss sich bis Mitte September gegen das Coronavirus impfen lassen. Danach solle die Impfpflicht kontrolliert und Verstöße bestraft werden, erklärte Präsident Macron. Gesundheitsminister Olivier Véran präzisierte: Ungeimpftes Gesundheitspersonal könne dann nicht mehr arbeiten und werde nicht mehr bezahlt.
Ein radikaler Schritt und offenbar nicht das Ende der Fahnenstange. Auch über eine Impfpflicht der Gesamtbevölkerung müsse nachgedacht werden, so Macron. Bisher sind etwa 53 Prozent der Franzosen mindestens einmal gegen Corona geimpft. Seit Ende Juni steigt die Sieben-Tage-Inzidenz im Land wieder, zuletzt auf knapp 45 pro 100.000 Einwohner. Die ansteckendere Delta-Variante schlägt auch in unserem Nachbarland zu und macht dort 60 Prozent der Neuansteckungen aus.
Droht eine Impfpflicht auch in Deutschland? Gestern winkte bereits die Bundeskanzlerin ab. Eine Impfpflicht solle es nicht geben, so Angela Merkel. Allerdings: Auch Macron hatte eine solche noch im April ausgeschlossen.
Im t-online-Interview äußert sich der Medizinethiker Dr. Georg Marckmann über die Möglichkeit eines Impfzwangs hierzulande.
t-online: Herr Marckmann, aus ethischer Sicht: Was macht eine Impfpflicht für bestimmte Bevölkerungsgruppen so schwierig?
Dr. Georg Marckmann: Hier kollidieren zwei Prinzipien. Für Ihre eigene Gesundheit sind eigentlich nur Sie selbst verantwortlich. Sie entscheiden, ob Sie zum Beispiel rauchen oder sich gesund oder ungesund ernähren. Diese Entscheidungen betreffen nur Sie. Bei einer Impfung ist dies tatsächlich anders. Hier geht es nicht nur um Ihren eigenen Schutz. Wenn durch Ihre eigene Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, die Wahrscheinlichkeit erhöht ist, dass Sie das Virus weitertragen können, hat dies negative Auswirkungen auf andere Menschen.
Dann behindere ich durch mein Verhalten den Weg zur Herdenimmunität …
Ja, ein Schutz der gesamten Bevölkerung durch die Eliminierung des Erregers kann nur gelingen, wenn sich die meisten impfen lassen.
Dr. Georg Marckmann ist Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Und wie ist die Situation zum Beispiel im Pflegeheim? Aktuell wird ja eine Impfpflicht für das Gesundheitspersonal diskutiert.
Das Personal in einer Pflegeeinrichtung hat eine besondere berufliche Verpflichtung, sich impfen zu lassen, da es Menschen betreut, die in der Pandemie besonders gefährdet sind. Hier könnte man eventuell über eine Impfpflicht nachdenken, um die vulnerablen Menschen zu schützen. Aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt.
Es ist noch zu früh für die Debatte?
Zu diesem Zeitpunkt gibt es keinen Anlass, dies zu diskutieren. Eine Impfpflicht für das Gesundheitspersonal hierzulande einzuführen, ist auch ethisch aktuell nicht vertretbar. Umfragen aus dem Juni haben zum Beispiel gezeigt, dass bereits über 50 Prozent des Gesundheitspersonals in Deutschland vollständig geimpft waren. Knapp 30 Prozent gaben an, auf der Warteliste zu stehen. Eine Impfpflicht könnte man allenfalls dann erwägen, wenn alle eine Impfangebot bekommen haben und die Impfquote deutlich hinter den erforderlichen Werten zurückbleibt. Und selbst dann bleibt die Impfpflicht die Ultima Ratio.
Was muss vorher passieren?
Es müssen sehr niederschwellige Impfangebote gemacht werden. Wenn es für einige zum Beispiel aufwendig ist, einen Termin im Impfzentrum zu bekommen oder dorthin zu kommen, sollte man dem Gesundheitspersonal am Arbeitsplatz die Impfung anbieten. Wenn trotz aller Aufklärung und Impfangebote sich zu wenige impfen lassen, um die betreuten vulnerablen Personen zu schützen, könnte man eine Impfpflicht erwägen. Ich würde sie nicht generell ausschließen, sie muss aber sehr gut begründet sein.
Wie könnte das begründet werden?
Man muss zunächst einmal festlegen, welche Impfquote erforderlich ist. Das wird zum Beispiel in Macrons Dekret nicht deutlich. Auf welche Zahlen im Gesundheitswesen stützt er sich denn? Ohne eine nachvollziehbare, überzeugende Begründung sorgen solche Erlasse für Verunsicherung und können ernstzunehmende Gegenbewegungen provozieren.
Die Menschen empfinden das dann schnell auch als Affront?
Ja, denn die Grundbotschaft ist ja: Wir vertrauen euch nicht. Die Menschen reagieren sehr sensibel auf das Thema Impfungen. Das sehen Sie auch an der Debatte um Kinderimpfungen. In den USA zum Beispiel müssen Kinder selbstverständlich geimpft sein, bevor sie in die Schule kommen. Das funktioniert offenbar, weil die Bevölkerung eine überwiegend positive Einstellung gegenüber den Impfungen hat. Die Erfahrung zeigt: Wenn es eine hohe Impfbereitschaft in der Bevölkerung gibt, gibt es auch keine Probleme mit einer Impfpflicht. Wo die Bevölkerung Impfungen kritischer gegenübersteht, lassen sich hohe Impfraten auch schwer durch eine Impfpflicht erzwingen.
Was vermuten Sie hinter dem Vorstoß von Macron?
Es wirkt tatsächlich etwas hilflos angesichts steigender Inzidenzen der SARS-CoV-2-Infektion. Dabei sind für die aktuelle Ausbreitung der Delta-Variante ja nicht Ausbrüche in Kliniken oder Pflegeeinrichtungen verantwortlich. Vielmehr infizieren sich vermehrt junge Menschen, die noch nicht geimpft wurden. In diesem Zusammenhang kann man nur begrüßen, dass auch hierzulande nicht mehr nur noch starr auf die Inzidenzen geschaut wird, sondern die Kapazitäten des Gesundheitswesens als Maßstab genommen werden. Wenn sich vermehrt Jüngere infizieren, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die Anzahl schwerer Krankheitsverläufe und Hospitalisierungen ebenfalls stark ansteigt. Junge Menschen erkranken in der Regel nicht schwer an Covid-19.
Macron geht ja noch einen Schritt weiter und will die PCR-Tests kostenpflichtig machen. Die Botschaft ist ja: Lasst euch impfen, dann braucht ihr die nicht mehr und kommt auch noch billiger dabei weg. Das erhöht den Druck zusätzlich.
Das finde ich ebenfalls problematisch, solange noch nicht alle eine Chance zur Impfung hatten. Sonst bekommen wir schnell eine soziale Schieflage: Wer sich die Testung finanziell leisten kann, kann auch ohne Impfung die Freiheiten genießen, die den weniger Wohlhabenden verwehrt bleiben.
Wolfram Henn vom Deutschen Ethikrat fordert eine Impfpflicht für Lehrer. Wie stehen Sie dazu?
Das kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht richtig nachvollziehen. Man sollte zunächst abwarten, welche Impfquote beim Lehrpersonal zu Beginn des neuen Schuljahrs erreicht wurde. Dann muss man eventuell nachjustieren, zunächst mit niederschwelligen Impfangeboten. Sollten sich dann Einzelne nicht impfen lassen wollen, müssen die Betroffenen mit dem erhöhten Risiko leben. Es wäre für sich genommen zumindest kein Grund, nach den Sommerferien nicht mit regulärem Präsenzunterricht zu beginnen.
Herr Marckmann, wir danken Ihnen für das Gespräch!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview mit Georg Marckmann (13. Juli 2021)
- Eigene Recherche