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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Booster-Impfung Wer bekommt die dritte Anti-Corona-Dosis?
Noch steckt Deutschland mitten in der Impfkampagne. Doch mit dem Szenario einer vierten Welle werden jetzt schon Drittimpfungen ins Spiel gebracht. Für wen könnten sie nötig werden?
Es bleibt eine der großen Fragen in der Pandemie: Wie lange schützen die Impfstoffe vor einer Infektion mit dem Coronavirus? Müssen wir im Herbst oder Winter alle nachgeimpft werden? Nun kommen gute Nachrichten aus den USA. Forschungsergebnisse an der Washington University in St. Louis legen nahe: Die Wirkung könnte jahrelang anhalten. Die im Fachmagazin "Nature" veröffentlichte Studie zeigt, dass zumindest die mRNA-Impfstoffe (Biontech und Moderna) eine anhaltende Immunreaktion auslösen.
Das Team um den Studienleiter, den Immunologen Dr. Ali Ellebedy, untersuchte die Quelle der sogenannten B-Gedächtniszellen. Nach einer Impfung liegt diese in den Lymphknoten in der Achselhöhle. Dort bilden sich jene Zellen, die nach einem erneuten Kontakt mit einem Antigen (in diesem Fall das durch die Impfung verabreichte Fremdeiweiß des Virus-Spike-Proteins) mit der Bildung von Antikörpern reagieren. Somit verhindern sie eine erneute Infektion.
"Ein sehr, sehr gutes Zeichen"
Die Forscher entnahmen bei 14 Probanden, die doppelt mit Biontech geimpft waren, Proben aus den Achselhöhlen. Und zwar im Abstand von drei, vier, fünf, sieben und 15 Wochen nach der ersten Impfdosis. Dabei fanden sie heraus, dass die Quelle zur Bildung von B-Gedächtniszellen (das sogenannte Keimzentrum) auch nach 15 Wochen immer noch hoch aktiv war. Die Zahl der Gedächtniszellen, die das Coronavirus erkennen, war nicht zurückgegangen.
Das ist ungewöhnlich, denn in der Regel erreichen Keimzentren ein bis zwei Wochen nach der Impfung ihren Höhepunkt und nehmen danach wieder ab. "Normalerweise ist nach vier bis sechs Wochen nicht mehr viel übrig", sagte Deepta Bhattacharya, Immunologin an der University of Arizona, in der "New York Times".
"Die Tatsache, dass die Reaktionen fast vier Monate nach der Impfung anhielten, ist ein sehr, sehr gutes Zeichen", erklärte ihr Kollege Dr. Ellebedy in der Zeitung. Eine Auffrischungsimpfung sei laut Studie zunächst nicht notwendig. Voraussetzung sei aber, dass sich das Coronavirus durch Mutationen nicht grundlegend in seiner Struktur verändert.
Jahrzehntelanger Impfschutz?
Forscher der Universität Oxford, die den Impfstoff Astrazeneca entwickelt haben, bilanzieren, dass auch bei diesem Vakzin nach neuen Studien eine dritte Impfung bislang nicht nötig ist.
Das bestätigt auch Dr. Andreas Radbruch, Immunologe und Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin. "Ich gehe davon aus, dass der Immunschutz, den die Covid-19-Impfungen erzeugen, jahrzehntelang anhalten wird", erklärt er im Gespräch mit t-online. "Das Virus ist nicht sehr mutationsfreudig und bislang ist es auch immer so mutiert, dass der Mechanismus, mit dem das Virus in die Zelle eindringt, erhalten bleibt. Und genau dagegen wird ja geimpft."
Für bestimmte Gruppen kommt jedoch eine Dritt- oder Booster-Impfung infrage. Vor allem Ältere und Menschen, die unter einem geschwächten Immunsystem leiden (zum Beispiel bei einer Therapie mit sogenannten Immunsuppressiva) könnten eine schlechte Immunantwort auf die Impfung bilden. Der Schlüssel dazu liegt in den Prozessen, die zwischen der ersten und zweiten Impfung und nach der zweiten Dosis ablaufen.
Wie funktioniert das Immunsystem?
Dr. Stephan Borte, Immunologe am Leipziger St. Georg Klinikum erklärt: "Das Immunsystem überprüft ständig, ob Eindringlinge in den Körper gefährlich sein könnten oder nicht. Dabei handelt es sich nicht nur um Viren, sondern zum Beispiel auch um Pilze oder Bakterien. Es reagiert entweder mit einer Tolerierung dieser Eindringlinge oder mit einer spezifischen Immunantwort, um gefährliche Eindringlinge unschädlich zu machen."
Doch dafür brauche es Wiederholung, also mehrmalige Konfrontation mit dem Gegner. "Hat diese aber stattgefunden, wie zum Beispiel bei den Grundimmunisierungen gegen Masern, gegen die ja im Kindesalter zweimal geimpft wird, ist die Immunantwort sehr langlebig und hält 20 bis 30 Jahre. Nach dem gleichen Prinzip funktioniert die Corona-Impfung."
Was passiert nach der ersten Impfung?
Radbruch erklärt: "Immunologisch betrachtet ist es so, dass bei einer ersten Impfung Gedächtnis-B- und T-Lymphozyten gebildet werden. Dazu Millionen von Plasmazellen, die nach einem Kontakt mit dem Bestandteil des Virus, wie er in der Impfung verabreicht wird, Antikörper bilden. Und zwar in enormen Größenordnungen: Produziert werden mehrere Tausend pro Sekunde. Und dazu noch sehr unterschiedliche Arten, die die Viren attackieren und sie ausschalten."
Doch die erste Immunantwort ist meist sehr unspezifisch. Borte: "Über 90 Prozent der produzierten Antikörper sind für die Virusbekämpfung nicht brauchbar. Wichtig sind die neutralisierenden Antikörper, die die Bindung des Virus an die Zelle verhindern. Diese machen jedoch nur zwei bis fünf Prozent der gebildeten Abwehrstoffe aus."
Der hohe Antikörperspiegel flaut mit der Zeit also ab, die meisten Plasmazellen sterben nach der Immunreaktion.
Was bewirkt die zweite Impfung?
Sie boostet gewissermaßen die Produktion der Antikörper, die für den Eindringling – den verabreichten Virusbestandteil – maßgeschneidert sind. Radbruch ergänzt: "Nach einer zweiten Impfung werden noch mehr Gedächtnislymphozyten gebildet, jetzt auch viele Gedächtnis-Plasmazellen, die im Knochenmark jahrzehntelang überleben und uns mit ihren Antikörpern schützen." Die Menge dieser maßgeschneiderten Antikörper reicht meist aus, um uns vor normalen Viruskontakten zu schützen. Diese zweite Impfung ist also dringend nötig, um den Prozess abzuschließen. "Ohne eine Erinnerung an den Eindringling entwickelt das Immunsystem keine oder nur wenige schützende Antikörper, da es eine erneute Konfrontation ausschließt", so Borte.
Bietet der Einmalimpfstoff von Johnson & Johnson den gleichen Schutz?
Unter den Experten ist das Vakzin von Janssen umstritten. "Bei einer Einfachimpfung wie bei Johnson & Johnson ist es anzuzweifeln, dass ein ausreichender, anhaltender Schutz aus Antikörpern und Abwehrzellen aufgebaut wird. Es würde mich überraschen, wenn nach dieser Einmalimpfung tatsächlich ein dauerhafter Schutz aufgebaut wird", so Borte.
Wer braucht eine Booster-Impfung?
Vor allem bei Älteren oder immungeschwächten Menschen könnte sie nötig werden. Im Alter nimmt die Leistungsfähigkeit des Immunsystems ab (Fachbegriff: Immunoseneszenz), das heißt, die oben beschriebenen Prozesse laufen langsamer oder weniger intensiv ab. Leif Erik Sander, Infektionsimmunologe an der Berliner Charité erklärt: "Ich gehe davon aus, dass wir bei älteren Menschen, die zu Beginn dieses Jahres ihre Erst- und Zweitimpfung erhalten haben, eine nachlassende Immunantwort sehen werden."
Sander vermutet, dass es ohne Auffrischungsimpfung im Winterhalbjahr zum Beispiel in Alten- und Pflegeheimen zu zusätzlichen Infektionen kommen könnte, "einem gewissen Jo-Jo-Effekt". Eine solche Auffrischung beziehungsweise "Booster" sollte dann nicht nur Senioren, sondern auch Menschen mit einem geschwächten Immunsystem angeboten werden, etwa zum Zeitpunkt der Grippeschutzimpfung im Oktober.
Eine generalisierte Drittimpfung wird es vermutlich also nicht geben. Auch Radbruch findet das richtig: "Die beiden Dosen der Erst- und Zweitimpfung zeigen eine sehr gute Wirksamkeit auch gegen alle bekannten Mutanten. Statt generell zur Booster-Impfung in Deutschland aufzurufen, sollten wir uns lieber darum kümmern, dass auch andere, ärmere Länder mit Impfstoff versorgt werden. Denn sonst müssten wir unsere Grenzen dauerhaft schließen, um uns vor immer neuen Varianten zu schützen."
Wie können Risikogruppen ermittelt werden?
Radbruchs Vorschlag sind exemplarische Antikörpermessungen, also etwa Antikörpertests bei Älteren. Von diesen Stichproben könnte dann abgeleitet werden, wer eine Drittimpfung braucht. "Fallen da besondere Gruppen auf, die bislang eine schlechte Immunantwort entwickelt haben, sollten diese Menschen nachgeimpft werden."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview mit Andreas Radbruch (29. Juni 2021)
- Interview mit Stephan Borte (29. Juni 2021)
- Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Recherche